Die Welt ist ein Aquarium von Tanja Muhs
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Verdammte Eisklumpen, diese Dinger, die da am Ende der Beine hängen wie Zementklötze trotz des zweiten Paar Socken, das sie vorsorglich angezogen hat, trotz der gefütterten Stiefel. Schneidender Wind ist vom Fluss heraufgezogen, findet immer mehr Gefallen daran, an ihren Mantelschößen zu spielen. So allein hier, schöne Frau? Keine Angst im Dunkeln? Er zwinkert, seine Augenpartie bewegt sich wie eine fette Fliege dabei. Darf ich Sie nach Ihrem Sternzeichen fragen? Er hat einen ehrlichen Blick. Sie sieht es im Flackerlicht der Leuchtreklame, als sie von einem Bein auf das andere wechselt und Blicke können nicht lügen, Miriam weiß, sie kann ihm vertrauen. Jungfrau., sagt sie, er nickt. Pragmatisch, ordnungsliebend und zuverlässig, nie wechselhaft in ihrer Meinung. Jetzt nickt sie. Er klopft an die schwere Tür, sagt ein paar Worte, das ist sein Metier, seine fleischige Fliege schwirrt hinein ins rot blinkende Getümmel, auf der Suche nach dem versprochenen Stückchen Zucker. Er sieht sich nicht mehr um nach ihr, es ist nicht nötig, alles ist gesagt, alles wird getan. Ein Blick auf die Uhr, eine halbe Stunde noch.
Miriam läuft auf und ab wie ein Tiger im Käfig, biegt hier rechts ab, da links, eine Mischung aus Kälte und Genugtuung, Genugtuung, die wechselt mit Furcht, mit Liebe, die wechselt mit Scheu, mit Liebe, mit Schmerz. Wieder Genugtuung dann. Sie traut nicht jedem, nein, wahrlich nicht, typisch Jungfrau. So vorsichtig und sie weiß, warum, aber wenn sie vertraut, sich öffnet, dann unerschütterlich und ganz. Lange hat es gedauert, Monate, so viele, Ralf, der so anders ist als sie, erfrischend unbekümmert, so offen, so frei. Tanzen sind sie gewesen und essen und aus, einfach nur, um zu reden. Sie steht am Fluss, die Uhr am Hafen schlägt die nächste Viertelstunde, Zeit für den Rückweg, er hat es verdient. Wissen hätte sie es müssen, hätte es sehen müssen in seinem unsteten Blick, der mehr an den tanzenden Frauenleibern haftet als an ihr, mehr an der Kellnerin mit dem breiten Hintern und an seiner Armbanduhr, als sie über sich redet und er meint, er müsse nun heim, er habe noch Arbeit zu tun. Ja, nun keine falsche Reue, keine falsche Scham. Sie sagt es sich auf wie ein Mantra, als sie weiter geht, zurück zu diesem Etablissement, keine falsche Reue, keine falsche Scham.
Der Seiteneingang steht einen Spalt breit offen, die Fliege hat ihr Zuckerstück gefunden, die Gasse ist dunkel, keine Leuchtreklamen hier. Wer hier ist, weiß, wo er sich befindet und was er hier will. Mit der Fingerspitze stößt sie die Türe auf, an den Wänden rote Stofftapeten, sie tritt ein, eindeutige Laute, der schwere Teppich verschluckt ihre Schritte. Ein weiß getünchtes Haus, Stuck am Hauseingang, offen, groß und freundlich im hellen Sonnenschein. Lange hat es gedauert, der Weg bis hierher, doch nun ist sie da. Dort oben im vierten Stock, da wohnt er hinter den hellblauen, einladenden Gardinen. Im Hausflur riecht es feucht - sie bemerkt es erst, als sie wieder geht -, das Linoleum auf den Stufen ist abgetreten, auf den Zwischenetagen fristen vertrocknete Blumen ihr Dasein. Seine Wohnung, so unbekümmert offen wie er, offen und leer. Die hellblauen Vorhänge wehen im Durchzug, kein Bild an den kalkweißen Wänden, mitten im Raum ein Aquarium. Er hat Kaffee gekocht. „Die Welt ist ein Aquarium, in dem viele Fische schwimmen“, sagt er und lächelt, „klein, süß, niedlich, adrett und bunt. Pittoreske Haustierchen“, und er pocht mit dem Finger gegen die grünliche Scheibe. „Ihr gleichmütig-demutsvolles Öffnen und Schließen ihrer Mäulchen schlägt dem geneigten Betrachter sehr beruhigend aufs Gemüt. Und so pflegeleicht. Hin und wieder ein paar Bröckchen ins Wasser geworfen und schon schwimmen sie wieder. Immer im Kreis, pressen ihre großen Augen an die Scheibe, schauen hinaus in die Welt, die viel zu groß und gefährlich für sie ist.“ Sie denkt sich nichts dabei.
Sie ist jetzt die Treppe hinunter gegangen, das Summen der Fliege leitet sie, allein hätte sie ihr Mut verlassen, aber sie vertraut ihm, er hat einen ehrlichen Blick. Ein kleiner Raum, die Wände wie grob behauener Stein, nachgebildete Fackeln in Fugen, Gerätschaften aus Holz und Eisen. Dort kniet er, Ralf, und sie fühlt sich deplatziert, deplatziert in der Hitze der Luft in ihren Winterstiefeln, als sie ihn anblickt, Ralf, außer einer Kapuze, über sein Gesicht gezogen, trägt er nichts. Sie trägt nichts, Ralfs Blick auf ihrer nackten Haut. Er hat ihr die Kleidung ausgezogen, langsam, doch stetig, mit fordernden Händen, ein Gefühl von Unwohlsein, kriechende Kälte im Durchzug, der mit den blauen Gardinen spielt. Sie sitzt auf seinem Bett, will, dass es warm wird. Sie ist eine analytische, reservierte Jungfrau, braucht lange, bis Vertrauen und Freundschaft wachsen, hält ihre Gefühle im Zaum, so sehr im Zaum, dass es schnürt. Es ist so unerträglich, Ralfs Körper so nah, die Analytik geht über Bord wie unnötiger Tand auf einem Schiff, das Ballast abwirft, weil es zu versinken droht. Heiß, so heiß hier drinnen. Er, dem sie vertraut, sieht sich zu ihr um, sie stapft von einem Stiefel auf den anderen wie durch hohen Schnee, doch nickt. Er reicht ihr den Mantel, ihr, der anderen Frau in rotem Leder, sie macht ihre Arbeit und sagt Willst du jetzt den Büßermantel tragen? Ralfs Stimme ein Zittern, sein Atem riecht nach Alkohol Ja, das will ich, ich habe es mir verdient. Das hast du wohl, denn sonst wärst du nicht hier, sagt sie, Miriam schweigt still, ihr Blick ruht auf dem Spektakel. Dann spüre den Schmerz, den die eiserne Jungfrau dir zufügt. Die Andere legt ihm den Mantel um den nackten Körper, die Nägel im Innern funkeln im künstlichen Fackellicht. Die Fliege summt mit der Anderen hinaus, lässt die Beiden allein, der einzige Laut jetzt Ralfs Stöhnen. Sie betrachtet ihn, angebunden an die eisernen Ringe in der Wand. Sie betrachtet ihn, wie er neben ihr liegt, seine Haut wärmt ihre in seinem zugigen Zimmer. „Ich liebe dich. Ich habe es immer getan. So lange hat es gedauert, bis ich es dir gestehen konnte.“ sagt sie. Ralf schaut sie an, lange, dann lächelt er. „Schwimm weiter, meine kleine Süße, immer im Kreis in deiner naiven Welt und schau hinaus in die Realität, die viel zu groß und gefährlich für dich ist, denn das ist das einzige, wofür du taugst, demutsvoll dein kleines Mäulchen zu öffnen. Frauen sind Fische, Männer ihre Angler und Angeln ist ein Sport, ein Spiel.“ Miriam läuft hinaus in den Sonnenschein, hinaus in die Wärme, die Kälte der dunklen Gasse trifft sie wie ein Schlag. Sie stapft auf und ab, Genugtuung, wartet, Genugtuung, wartet auf das Summen der Fliege. Hätten Sie mal Feuer? Zu rauchen ist unvernünftig, sie raucht nicht und nickt. Verdammter Wind, der die Mantelzipfel hoch wirbelt, der Brandflecken macht, als gäbe es kein Morgen.
Es gibt kein Morgen, nicht für ihn. Morgen ist alles vorbei und sie selbst wieder ganz Jungfrau, vernünftig und unbefleckt, und wenn die Polizei ihn in ein paar Tagen flussabwärts herausfischt, werden sie ihre Köpfe schütteln, seine Wunden sehen, murmeln vielleicht Unfall und zu wildes Spiel , während er rücklings auf dem Wasser schwimmt, mit totem Blick gen Himmel starrt und dem Aquarium der Welt schon lange Lebwohl gesagt haben wird. |
Letzte Aktualisierung: 19.10.2008 - 22.18 Uhr Dieser Text enthält 7427 Zeichen. Druckversion |