Peggy Wehmeier zeigt in diesem Buch, dass Märchen für kleine und große Leute interessant sein können - und dass sich auch schwere Inhalte wie der Tod für Kinder verstehbar machen lassen.
"Mein Augenstern", flüsterte er, wenn er – selten genug – zwischen den Feldzügen, an denen er teilnahm, in unser Dorf kam.
Einst seine Heimat, heute die Ruhe vor der nächsten Schlacht.
Und - Zeit mit mir.
"Mein Abendstern", raunte er, der rauhe, in brutalen Kämpfen gnadenlose, eisenharte Kriegsknecht, wenn er zur Nacht schwach wurde in meinen Armen.
"Mein Morgenstern … Ade, meine Schöne, ade…", sagte er mir,
"Ich komme wieder, das weißt du…", und, während er sein Gemächt hinter Leder und Eisen verstaute, legte er mir einen prall gefüllten Beutel auf mein Kissen, und diesen Beutel liebte ich genauso wie nach und nach immer mehr ihn selbst.
Ich nenne mich Venus.
Ich war bis vor kurzem die einzige in unserem Dorf.
Nun ist eine Neue gekommen, jünger und schöner, und sie gehen fast alle zu ihr.
Aber ich weiß, wenn er, mein Kriegsknecht, mein Geliebter, wiederkommt, werde ich in Sicherheit sein.
Er wird mich retten vor der Einsamkeit und dem Elend.
... ... ...
Ein schäbiges Hinterzimmer in Nordflandern.
Spielkarten überall verstreut und überall Lachen von Bier.
Zwischen den umgestürzten Stühlen liegt mit offenem Mund,
aus dem das Blut in Stößen quillt,
der Kriegsknecht.
Und die schrecklichste Wunde von allen ist auf seiner Stirn.
Sein eigener Morgenstern steckt tief in seinem Hirn.
Ein Mörder nahm sein Leben und sein Geld
und floh.
Durchs Fenster leuchtet das Licht des Abendsterns.
Venus spiegelt sich in seinen blanken blicklosen Augen.
Für immer unerlöst.
... ... ...
"Mein Augenstern", flüsterte er…
Letzte Aktualisierung: 20.10.2008 - 13.50 Uhr Dieser Text enthält 1532 Zeichen.