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Oktober 2008
Twin Murder
von Herbert Dutzler

Zu fünft waren wir hier angekommen, zu zweit reisten wir wieder ab. Zwei Reihen vor mir saß Jason, der uns das alles eingebrockt hatte. Ich, Pol, hatte eigentlich kein Interesse an Vegas gehabt, aber mein Bruder Cas hatte mich überredet. Wir sind – waren – sehr verschieden. Cas liebte die Casinos, die Mädchen mit tiefen Ausschnitten und kurzen Röckchen, die dir gratis Bier brachten, wenn du genug verlorst, die anderen Mädchen, die man sich aufs Zimmer kommen lassen konnte. Außerdem hatte er kein Problem mit seinem dämlichen Namen. Unsere Eltern hatten uns Castor und Pollux genannt, er kürzte zu Cas ab, ich zu Pol – mir war es aber lieber, wenn man mich Paul nannte und schrieb. Wenn mich an Vegas etwas interessierte, waren es gutes Essen und guter Wein, das konnte man hier wesentlich billiger bekommen als zu Hause.
Während sich das Flugzeug auf die Startbahn drehte, kam die Pyramide des Luxor ins Blickfeld, wo wir die letzten Tage zusammen verbracht hatten. Jason, Cas und ich, Iden und Lyn, ein weiteres Zwillingspaar, das wir vor Jahren auf einem Zwillingstreffen kennen gelernt hatten. Cas verstand sich prächtig mit ihnen, ich weniger. Dennoch unternahmen wir häufig etwas zusammen.
Diesmal also Vegas. Von Anfang an gingen wir mehr oder weniger getrennte Wege. Die anderen vier verbrachten ihre Tage vor den Spielautomaten und in den Casinos, ich an den Pools, bei den Shows und abends in den all-you-can-eat Buffets. Vor allem im Mirage, das war dieses Jahr eindeutig das beste. Wenn ich auch selten allein am Tisch blieb, so war doch keine dabei, die mich so weit interessiert hätte, dass ich sie mit ins Zimmer hätte nehmen wollen.
Dafür war Cas umso aktiver. Zu den verschiedensten Tageszeiten hing das don’t-disturb-Schild heraußen, wenn ich mal ins Zimmer wollte. Sein Tag-und-Nacht-Rhythmus war durch den 24-Stunden- Betrieb vollkommen gestört.
Bis zum vergangenen Donnerstag. Wir hatten uns zusammen im Zimmer ein Football-Match angesehen, währenddessen Cas Bündel von Dollarnoten stolz durch seine Finger gleiten ließ. Er hatte – was selten genug vorkam – ein paar Tausender gewonnen.
Nun wollte er ins Hofbräuhaus. Er liebte auch das – deutsche Atmosphäre, Würste, die in der Suppe schwammen, Riesenbierkrüge, Kellnerinnen in traditionellen deutschen Kleidern und die unvermeidliche Humptata-Musik, die das alles begleitete. Ich sage noch zu ihm, Cas, lass das Geld hier, im Safe. Aber er musste es unbedingt Iden und Lyn zeigen, die mit ihm zum Hofbräuhaus wollten.
Als ich zwei, drei Stunden später vom Pool hinauf kam, blinkte der Anrufbeantworter, die Polizei wollte mich sprechen, man hatte Cas erschlagen hinter dem Hofbräuhaus gefunden, sein Geld war weg. Man bat mich um eine Identifikation. Fast taub und blind vor Schmerz nannte ich dem Taxifahrer die Adresse der Gerichtsmedizin. Sie hatten Cas so hergerichtet, dass es mir erspart blieb, das schlimmste zu sehen. Es konnten nur die Zwillinge gewesen sein. Ob man die beiden schon befragt habe, die mit ihm im Hofbräuhaus gewesen seien, wollte ich wissen. Man hatte. Sie gaben sich gegenseitig Alibis, niemand hatte sie den Saal verlassen sehen, sie waren noch hinter ihren Maßkrügen gesessen, als man Cas aufgefunden hatte. My ass. Ein paar Maßkrüge voll Bier, und keiner war jemals am Klo gewesen. Jedenfalls hatte die Polizei sie laufen lassen. Sie wollten von mir wissen, wo ich gewesen sei, ob ich Zeugen habe. Hey, da waren tausend Leute am Pool. Keiner von denen würde aussagen, ich sei die ganze Zeit dort gewesen. War ich auch nicht. Ich war mal im Wasser, mal an der Poolbar. Eine halbe Stunde hatte ich mit einem Mädchen gequatscht, aber ich wusste nicht einmal, wie sie hieß. Nur, dass ich nach zwanzig Minuten völlig das Interesse an ihrem dummen Gelaber verloren hatte, obwohl sie wunderschöne lange, blonde Haare und tolle Titten hatte.
Alles, was ich wollte, war Rache. Sehr vorsichtig musste ich dabei sein, und gleichzeitig sorgfältig und schnell planen. Ich ließ mich zurück ins Hotel fahren und nahm den Lift schnurstracks zum Zimmer der Brüder.
Meinen Schmerz musste ich ihnen nicht vorspielen, und ich hatte dabei die Gelegenheit, sie auszuhorchen. Ich musste meinen Hass tief in mir vergraben, damit er bei mir blieb. Sie erzählten mehr oder weniger das gleiche wie die Polizei. My God, die beiden waren Schauspieler. Sie heuchelten sogar noch Mitleid, gerade, dass ihnen nicht die Tränen kamen.
Dann allerdings machten sie einen Fehler. Lyn schlug mir vor, wir sollten doch einen Ausflug machen, um uns von dem traurigen Vorfall – er sagte wirklich „trauriger Vorfall“ – ein wenig abzulenken. Wie abgesprochen half ihm Iden aus: Warum nicht einen Geländewagen mieten und einen Ausflug ins Death Valley machen. „Du interessierst dich doch ohnehin mehr für Natur als für die Casinos.“ My ass. Mehr für die Natur als für die Casinos. Es dauerte nur Sekunden, bis ich mich gefangen hatte. Death Valley. Der Name war das Stichwort. Am nächsten Morgen saßen wir im Jeep. Ich durfte ans Steuer. Die Polizei hatte sich zwar gewundert, aber keine Einwände dagegen erhoben, dass wir Las Vegas verließen. Die Trottel hatten Junkies im Visier.
In der kurzen Zeit, die mir zur Vorbereitung geblieben war, hatte ich den geeigneten Ort ausgesucht. The Racetrack. Ein Gebiet fernab von Hotels und größeren Camps. Felsen wanderten dort, man wusste nicht wieso, über den Grund eines ausgetrockneten Sees und hinterließen dabei Schleifspuren.
Wir spulten mein Programm ab. Sie hofften wohl, mich irgendwann niederschlagen und an einem einsamen Ort ablegen zu können. Niemand würde mich finden, bevor ich verdurstet war. Ich würde ihnen zuvorkommen müssen.
Dante’s view. Erträglich heiß, Aussicht, Fotos. Zabriskie point. Die paar Höhenmeter, die du hinaufgehen musst, werden dir zur Qual. Du glaubst, Feuer zu atmen und keine Stunde länger ohne Klimaanlage überleben zu können. Dennoch steht da eine Bank. Eine Bank – wie um Picknick zu machen. Du fasst es nicht.
Ich schleppe sie noch auf eine Runde durch die Harmony Borax Works. Drei, vier Wagen auf dem Parkplatz, immer Leute in Sichtweite. Noch keine Gefahr fĂĽr mich. Ich schwitze, wie ich noch nie in meinem Leben geschwitzt habe.
Auf der Fahrt zum Racetrack schmeiĂźen die BrĂĽder unsere leeren Wasserflaschen aus dem Jeep. Nicht mein Stil. Ich trenne den MĂĽll.
Vorbei an Furnace Creek, wo ein paar Wahnsinnige Golf spielen. Stovepipe Wells. Am Ubehebe Crater steigen wir nochmals aus. Die Sonne steht tief. Ich überrede die beiden, noch bis zum Racetrack zu fahren. „Es wird kühler. Wir sollten uns das heute noch ansehen.“ 50 Kilometer. Auf einer Wüstenpiste. Ich schaffe es, sogar Begeisterung zu heucheln. Immer wieder packe ich meine Kamera aus. Kurz vor Sonnenuntergang steigen wir in das Becken hinunter, in dem die Felsen unerklärliche Spuren hinter sich herziehen. Ich gehe langsam, ich weiß, hier werden sie es versuchen. Kein Auto mehr da. Kein Wasser, kein Mensch auf fünfzig Kilometer. Ich lasse mich ein wenig zurückfallen, als Lyn auf den ersten Felsen zusteuert. Iden dreht sich um. „Komm!“
„Ich habe meine Kamera im Jeep vergessen.“ Ich drehe um. He! Sie haben meinen Plan durchschaut. Ich laufe. Ich habe die Wagenschlüssel. Iden mir nach, nun auch Lyn. Ich keuche. Ich kann nicht mehr, Feuer, ich breche zusammen. Die Wagentür, das Schloss, die Innenverriegelung. Der Motor heult auf. Iden, winkend, hinter mir. Nach drei-, vierhundert Metern halte ich noch einmal an. Sie kommen näher. Langsam. Ich lasse das Fenster herunter. „Für Cas!“, schreie ich, und fahre weiter. Sie laufen. „Für Cas!“ Die Brüder verschwinden in einer Staubwolke.
Nach Stovepipe Wells biege ich links ab, es ist bereits dunkel geworden. Sobald die Sonne hinter den Bergen im Westen verschwindet, geht das hier schnell. Ich parke meinen Wagen an der Keane Wonder Mine. Jetzt heiĂźt es, die Nacht durchhalten. Hoffen, dass die beiden nicht mehr lebend gefunden werden. Wie lange halten sie ohne Wasser durch? Versuchen sie, zu FuĂź zurĂĽck zu gehen? Bleiben sie am Parkplatz, um morgen frĂĽh gefunden zu werden? Wenn sie so schlau sind, habe ich zu viel riskiert. Nein. Sie werden panisch umher irren, niemand wird sie finden.
Die Nacht ist kaum auszuhalten, an Schlaf nicht zu denken. Obwohl ich genug Wasser habe, fühle ich mich wie ein Verdurstender. Ständige Atemnot.
Am Morgen fahre ich in den Echo Canyon. Ein paar Stunden noch durchhalten, bis ich sie vermisst melden kann. Ich lasse den Motor laufen, solange wie möglich. Der Sprit darf nicht ausgehen. Kühlung durch die Klimaanlage.
Um zwei Uhr nachmittags betrete ich völlig erschöpft die Rezeption der Furnace Creek Ranch. Ich melde die Zwillinge vermisst. Habe sie auf einer Wanderung im Echo Canyon verloren. Eine Fotopause gemacht. Dann waren sie weg. Nicht mehr zu finden. Stundenlang gesucht.
Man gibt mir ein Zimmer, sagt mir, man werde sich auf die Suche machen. Bis zum nächsten Morgen – kein Ergebnis. Ich habe gegessen, mich geduscht, geschlafen.
Ich nahm die Zeitung zur Hand, die auf meinem Sitz gelegen hatte. Las Vegas Sun. Gerade, als der Vogel abgehoben hatte, landete ich auf Seite 5. Hofbraeuhaus Murder. Sie hatten den Junkie gefasst, der meinen Bruder umgelegt hatte. Er hatte bereits gestanden, ihm die viertausend Dollar in bar abgenommen und ihn mit einem MaĂźkrug erschlagen zu haben.

Letzte Aktualisierung: 16.10.2008 - 20.47 Uhr
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