Der Cousin im Souterrain
Der Cousin im Souterrain
Der nach "Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten" zweite Streich der Dortmunder Autorinnengruppe "Undpunkt".
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Oktober 2008
Folge mir bis auf den Meeresgrund!
von Eva Fischer

Als Martin die Tür zu seiner Wohnung aufschloss, fehlten die gewohnten Geräusche. Marina war offensichtlich nicht damit beschäftigt, das Abendbrot vorzubereiten. Er ging in die Küche, das Wohnzimmer und das Schlafzimmer. Von Marina fehlte jede Spur. Er betrat das Badezimmer und da sah er mit einem Blick, dass auch die kosmetischen Utensilien von Marina verschwunden waren. Er kehrte zurück in das Schlafzimmer und öffnete den Kleiderschrank. Sämtliche Kleidung von Marina war nicht mehr da.
Es gab keinen Zweifel mehr. Marina hatte ihn verlassen.
Er dachte an den Streit, den sie heute morgen beim Frühstück gehabt hatten. Marina hatte ihm vorgeworfen, dass er auf Leas Flirtversuche bereitwillig einging.
Lea war eine gemeinsame Freundin, die gerade Patrick vor die Tür gesetzt hatte. „ Er ist ein hoffnungsloser Langweiler,“ hatte sie gemeint. „Am liebsten hockt er zu Hause. Wie alt bin ich denn?“ hatte sie rhetorisch gefragt, denn jeder in der Runde wusste, dass sie 37 Jahre war. „Ich will etwas von meinem Leben haben, bevor es zu spät ist.“
Tatsächlich verkörperte Lea das pralle Leben, passend zu ihrem prallen Busen, den sie keineswegs züchtig verhüllte und mit ihren dunklen Augen hatte sie Martin angesehen, so dass auch er das Feuer spürte.
„Marina hat es mir einfach gemacht,“ dachte Martin, griff zum Handy und rief Lea an. „Marina hat mich verlassen,“ sagte er und seine Stimme verriet, dass er es für eine Freudenbotschaft hielt. „Ist ja super!“ antwortete Lea auch prompt. „Das sollten wir feiern. Ich komme zu dir und bringe eine Flasche Champagner mit.“
Lea war die Frau, die wohl immer eine Flasche Champagner im Kühlschrank kalt stehen hatte, dachte Martin und ging unter die Dusche. Lea ließ ihn noch einige Stunden warten, aber ihr Outfit entschädigte ihn für alles. Sie trug hochhackige rote Pumps, einen schwarzen Minirock, ein enges champagnerfarbenes Top und einen weinroten taillierten Seidenblazer. Die dunklen Augen wurden durch einen Kajalstift und lange schwarze Wimpern betont, der Mund hatte die gleiche Farbe wie die Pumps.
Mit dieser Frau Sex zu haben, muss ein Hochgenuss sein, ging es Martin durch den Kopf. Es war das letzte, was sich in seinem Kopf abspielte. Die Flasche Champagner auf leeren Magen verfehlte ihre Wirkung nicht und bevor sie ausgetrunken war, fand sich Martin in dem Bett wieder, in dem er noch heute morgen mit Marina aufgewacht war.
Doch welch ein Unterschied! Alles war neu und prickelnd. Eine neue Zeit begann. Sein Blick fiel zufällig auf den Kalender an der Wand. Es war der 18. Mai. Heute vor fünf Jahren hatte er Marina kennen gelernt, die dann zwei Jahre später auf seinen Wunsch hin bei ihm eingezogen war. Welche Marina, dachte Martin verächtlich, als Lea auf ihm ritt . „Sei mein feuriger Widder“, flüsterte sie ihm ins Ohr.

„Setze jemandem jeden Tag sein Lieblingsgericht vor und irgendwann fängt er an zu kotzen“, hatte einmal Marina gesagt.
Seit sechs Wochen verbrachte Martin keinen Abend ohne Lea. Sie brauchte wohl offensichtlich immer eine Flasche Champagner, um sich zu stimulieren, aber nach der ersten gesponserten Flasche erwartete sie nun von Martin, dass er sie täglich parat hielt.
Lea erwartete noch viel mehr. Nach dem Liebesspiel hatte sie regelmäßig Heißhunger, den sie nur in einem edlen Lokal ihrer Wahl stillen konnte. Treffsicher gelang es ihr immer das teuerste Gericht auszuwählen und dann ging man natürlich noch in die Disko, alles auf seine Rechnung. Schließlich wollte man ja kein Langweiler sein und Gefahr laufen, wie der arme Patrick abserviert zu werden.

.
Es war ein warmer Julimorgen, als Martin allein am Strand entlangging, denn Lea war Langschläferin, als er von weitem eine bekannte Silhouette sah.
Marinas Kleid flatterte im Wind. Ihr Blick ging auf das weite Meer. Marina, die Romantikerin, die stundenlang träumen konnte. Martin spürte, wie sein Herz zu pochen begann und er ging auf sie zu.
„Guten Morgen, Marina,“ sagte er, so als ob sie noch immer zusammen wären, so als ob kein tiefer Graben zwischen ihnen durch die Nächte mit Lea entstanden wäre.
Marina schaute ihn weder wütend noch vorwurfsvoll an, sondern fragte freundlich, wie es ihm ginge. „Sie muss mir nur in die Augen sehen, dann weiß sie alles“, dachte Martin, denn er sah ziemlich erschöpft aus.
Lea hatte es sich nicht nehmen lassen, ihn auch als Langweiler hinzustellen, weil er die Diskobesuche auf die Dauer einfach nicht mehr durchhielt. Er hatte einen Job und musste am nächsten Tag funktionieren. Woher Lea die Power nahm, blieb ihm ein Rätsel.
„Lea ist für mich ein paar Nummern zu groß“, sagte er, obwohl sie ihn gar nicht danach gefragt hatte. „Setze jemandem jeden Tag sein Lieblingsgericht vor, “ begann sie „und irgendwann fängt er zu kotzen“, fuhr er fort. „Du hast ja so Recht, Marina.“ Martin wollte sie umarmen, aber Marina wich zurück. Sie drehte sich zur Strandpromenade hin und zeigte auf ein weißes Haus mit einem Balkon. „Da wohne ich jetzt.“ –„Darf ich dich mal besuchen kommen?“ setzte er erneut an.
„Weißt du noch, wie wir uns sonntags Morgen hier getroffen haben, um gemeinsam zu schwimmen? Schön war das. Wir waren ganz allein im Meer und haben uns über die Langschläfer lustig gemacht.“ Und ob sich Martin erinnerte. Anschließend hatten sie gemeinsam gefrühstückt und waren wieder ins Bett gegangen, wo er ihre salzige Haut auf seinen Lippen gespürt hatte.
„Kommst du noch immer hierher, um zu schwimmen?“ fragte er voller Hoffnung. Sie schaute ihn lächelnd an. „Ja, natürlich. Willst du nächsten Sonntag mit mir schwimmen?“
Das war mehr, als er sich erträumt hatte. „Also abgemacht, bis nächsten Sonntag um sieben.“ Er verabschiedete sich schnell, weil er fürchtete, Marina könne es sich anders überlegen.

Lea lag noch im Bett, als Martin in seine Wohnung kam. Sie hatte übelste Laune. „Wo kommst du her?“ fragte sie misstrauisch. „Hast du mir wenigstens Brötchen mitgebracht? Wie kann man so bekloppt sein und sich zur nachtschlafender Zeit am Strand herumtreiben,“ fügte sie hinzu, als er ihr von seinem Meeresspaziergang erzählte.
Er nahm allen Mut zusammen. „Lea, ich muss dir etwas sagen,“ begann er. Sie sprang plötzlich aus dem Bett und kam auf ihn zu. „Du brauchst gar nicht weiter zu reden,“ und ihre dunklen Augen funkelten ihn zornig an. „Mit dir Langweiler bin ich fertig. Scher dich zum Teufel!“ Würdevoll spazierte sie zum Bad, packte ihre Sachen und verschwand, nicht ohne die Haustür mit einem lauten Knall ins Schloss fliegen zu lassen. „Mich siehst du nie wieder!“ rief sie ihm triumphierend zu. Er seufzte erleichtert.
Er hoffte, sie hielt Wort.

Der Sonntag versprach, schön zu werden. Martin hatte sich vorsichtshalber den Wecker gestellt. Um sieben Uhr war er an der verabredeten Stelle, aber Marina war anscheinend noch nicht da. Er ging den Strand entlang. Da sah er ihr Kleid im Sand liegen und daneben ihr Höschen, ihren BH und ihre Schuhe.
Martin schaute erneut auf das Meer. In einiger Entfernung sah er etwas im Wasser schwimmen. Er erkannte den Strohhut mit der breiten Krempe, den er Marina einst geschenkt hatte. Wo war Marina? War sie untergetaucht? Sie war eine gute Schwimmerin.
Dennoch Unruhe bemächtigte sich seiner. Er zog hastig seine Anziehsachen aus und legte sie neben Marinas Kleid. Dann stürzte er sich in das Wasser. Mit schnellen Zügen wollte er sich dem Strohhut nähern, aber eine Welle erfasste ihn und trug ihn weiter ins Meer hinaus. So sehr er sich abmühte, dieser verflixte Hut war immer schneller als er, tanzte spöttisch vor seinen Augen auf und ab. Er drehte sich um. Mein Gott, wie weit war er denn geschwommen?
Er musste umkehren. Er konnte kaum noch das Land sehen. Es hatte keinen Zweck. Er schwamm auf die Mole zu.
Da spürte er, wie etwas aus der Kontrolle geriet. Er konnte die Richtung nicht halten. Eine gefährliche Strömung? Nein, das war doch nicht der Atlantik, nur die harmlose Ostsee. In dem Augenblick überspülte ihn eine Welle, als ob sie ihm den Mund stopfen wollte.
„Hilfe!“ schrie er, als er wieder Luft bekam und schaute angespannt auf den weit entfernten Strand. Noch immer war alles menschenleer.
Nun klatschten die Wellen mit aller Wucht gegen sein Gesicht, schienen ihn zu ohrfeigen.
Wie lange konnte er sich über Wasser halten? Wann konnte er mit Hilfe rechnen?

Patrick umarmte Marina zärtlich. „Es war eine gute Idee, sich hier um acht zu treffen. Am Sonntag Morgen hat man den Strand ganz für sich allein.“- „Ich weiß“, lächelte Marina. „Warte, ich komme gleich zurück,“ sagte sie und entschwand zum Ufer. Patrick konnte sehen, wie sie etwas Blaues in eine Tüte stopfte. “Was ist das?“ fragte er neugierig. „Ach nur wertloses Strandgut.“
Sie hakte sich bei ihm unter. „Findest du nicht auch, dass Fische und Krebs besser zusammenpassen?“ „Besser als was?“ „Besser als Fische und Widder oder als Krebs und Löwe.“ Patrick lachte. Mit Marina der Fischefrau fühlte er sich entschieden wohler als mit Lea, der anstrengenden Löwefrau.

Letzte Aktualisierung: 01.10.2008 - 14.54 Uhr
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