Der Cousin im Souterrain
Der Cousin im Souterrain
Der nach "Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten" zweite Streich der Dortmunder Autorinnengruppe "Undpunkt".
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Oktober 2008
Mord im siebten Haus
von Chris Lind

„Glauben Sie an Horoskope?“
Schon viel habe ich in meiner Arbeit als Kriminalhauptkommissarin zu hören bekommen, aber das ist neu. Normalerweise reden sich meine Kunden um Kopf und Kragen, wollen mich austricksen oder mir unbedingt ihre Unschuld erklären. Eine Tatverdächtige, die ihren Mord mit Astrologie begründet, damit kann ich bei der nächsten Dienstbesprechung sicher einen Lacher erzielen.
Da sie geständig schien und auf einen Anwalt verzichtete, bin ich ganz Ohr und nicke ihr zu. Sie wirkt nicht wie eine der Esoterikerinnen, mit denen ich mich herumplagte, als ich noch bei den Kleinkriminellen war. Keine Glaskristalle, keine bunten Tücher. Eher erinnert sie an eine Lehrerin. Deutsch und Geschichte, nicht meine Lieblingsfächer.
„Ich habe nie an den Quatsch geglaubt. Als ob es eine Bedeutung hätte, wann man geboren wird!“ Sie schaut mich auffordernd an und ich signalisiere Verständnis. Jahrelanger Erfahrung verdanke ich diesen Blick, den ich auf Flaschen ziehen sollte, wie die lieben Kollegen raten. Ich gähne und versuche, mich auf ihre Geschichte zu konzentrieren. Verdammter Nachtdienst, raubt mein Leben.
„Klar habe ich spaßeshalber Horoskope in der Zeitung gelesen. Wer tut das nicht?“ Wieder ein Appell an mich zu nicken. Ich tue ihr den Gefallen. Für einen in Nullkommanichts aufgeklärten Doppelmord, würde ich auch singen oder tanzen.
„Als ich Mira kennen lernte, hielt ich ihr Tierkreisgerede für eine Marotte. Sie war so sehr das Gegenteil von mir, dass wir uns anzogen wie Licht die Motten, verzeihen Sie das Klischee. Ich, die Beamtin, stets ordentlich, immer pünktlich, nie auffallen. Mira - Sie haben sie ja gesehen.“
Etwas in meinen Augen muss mich verraten haben. Sie schluckt und lächelt entschuldigend. „Na ja, Sie werden Fotos von ihr finden. Unglaublich, wie lebendig sie wirkte. Das war das Erste, was mir auffiel. Bei Freunden habe ich sie getroffen.“
Sie schweigt und versinkt in Erinnerungen. Ich halte die Stille aus. Nur nicht drängeln, dann schmollen sie. Sie seufzt, holt tief Luft und redet weiter. Von Anfang an habe ich sie als Beichterin eingeschätzt, eine, die sich alles von der Seele reden will und auf Absolution hofft.
„Unglaublich, die Flut roter Haare und ihre Wallekleider. Ich könnte so etwas nie tragen. Bei ihr passte alles, das Auffallende, das Bunte, das Laute.“
Gegensätze ziehen sich an, denke ich und betrachte Miss Mausig. Sie müssen ein seltsames Paar gewesen sein, die üppige Rothaarige und ihr grauer Schatten. Hat sie ihre Freundin umgebracht, weil die immer im Mittelpunkt stand? Hatte meine Kundin das Dasein als ewige Zweite satt? Langsam tritt Neugierde neben den Wunsch, einen Erfolg verbuchen zu können. Rache? Eifersucht? Wo liegt das Motiv für diesen Mord?
Ich tippe mal, das Übliche. Frau lernte neue Freundin kennen und die Gute treibt’s dann mit dem Gatten. Frau erschießt dann untreue Freundin und der Kerl kommt davon. Tausendmal gehört, tausendmal gewundert über die Gehörnten, die vollkommen überrascht werden, dass der Herr Gemahl sich auf fremden Weiden herumtrieb.
„Ich bin Widder.“ Sie schaut mich an, als ob das schon alles erklären würde. „Mit Aszendent Jungfrau.“ Fragend hebe ich meine Augenbrauen. Das kann ich gut, habe ich in den letzten Jahren perfektioniert.
„Widder sind leidenschaftlich, wissen Sie.“
Nein, ist mir neu. Das verspricht eine verdammt lange Nacht zu werden.
„Und impulsiv“, fügt sie hinzu und sieht durch mich hindurch. Fast, als spräche sie mit sich selbst, als müsste sie sich ihre Handlungen erklären.
„Fangen Sie am besten von vorne an. Ich habe Zeit.“
„Ja, von vorne.“ Wieder dieses kleine Lächeln. „Ich lernte Mira auf einem der schrecklichen Silvester kennen. Kennen Sie das, dieses furchtbare Gefühl zum Jahresende? Alle planen große Feiern und man selbst möchte eigentlich nur alleine sein, aber auch nicht als Niete dastehen?“
Das erste Mal stimme ich ihr ehrlich und aus vollem Herzen zu.
„Aus Verzweifelung habe ich die Einladung einer Kollegin angenommen. Es kam so schlimm wie erwartet. Nur Pärchen und ich als Mauerblümchen. Ich wollte Migräne vortäuschen und verschwinden, als Mira den Raum stürmte. Ein echter Auftritt. Die Tür schwang auf und sie rauschte herein. Mit ihr kam ein frischer Wind, der die klare Dezemberluft in den Mief der Party trug. Und Farben, unglaubliche Farben. Quietschorange, Grellgrün, Strahlendgelb, Schreiendlila ..., dazu der Strom hennaroter Locken. Kein Wunder, dass sie alle Blicke auf sich zog. Die Frauen griffen nach den Armen ihrer Männer und riefen diese zur Ordnung. Mira ging erhobenen Hauptes an allen vorbei, zielsicher auf mich zu, lächelte mich an und fragte, ob ich Jungfrau sei. Ich hätte mich fast an meinem Häppchen verschluckt. Unter Husten konnte ich nur den Kopf schütteln. Kurze Zeit später hatte sich das Missverständnis aufgeklärt.“
In ihren Augen meine ich einen Schimmer von etwas zu sehen, was ich noch nie in der Intensität gefühlt habe. Die Liebe lässt sie leuchten und verwandelt sie von einer Maus zu einer Prinzessin. Ich beneide sie um die Erfahrung und verpasse fast den Anschluss. Doch dann erinnere ich mich an das Ende dieser Love Story und lausche.
„Ich stehe nicht auf Frauen. Bin strikt hetero und doch ..., nach fünf Minuten hatte ich mein Herz an sie verloren. Ohne zu zögern, nahm ich ihre Einladung für ein Neujahrsfrühstück an. Die Frage nach meinem Geburtstag wertete ich als Ausdruck ihres Interesses. Auf meine Antwort erhielt ich ein Kopfschütteln und ein ’Schätzchen, ich brauche es schon etwas genauer. Geburtstag, Geburtsort, Geburtsstunde. Ich werde unsere Horoskope zu vergleichen. Ich will wissen, ob wir überhaupt eine Zukunft haben.’
Eine süße Marotte, dachte ich damals und suchte meine Geburtsurkunde. Zwei Tage blieb Mira damit verschwunden. Tage, in denen ich mir die Fingernägel abkaute und keinen Schlaf fand. Endlich gewährte sie mir die Erlösung. Unsere Horoskope ergänzten sich perfekt. Mira ist Wassermann, Wasserfrau, wie sie sagte, mit Aszendent Waage. Widder mit Krebs als Aszendent schien perfekt zu passen. Am wichtigsten war ihr, dass unsere Monde im zehnten Haus stehen.“
Wieder dieser entrĂĽckte Blick und die Flucht in ihre eigene Welt.
„Mira zuliebe beschäftigte auch ich mich mit den Sternen und nahm den Kontakt zu meiner Familie wieder auf. Hätte ich mich nur geweigert.“ Ein grimmiges Lachen begleitet die Worte. „Meine ach so moderne und tolerante Sippe, die sich nie mit meiner Berufswahl abfinden konnte, akzeptierte unsere Liebe sofort. Mit offenen Armen integrierten sie Mira in unseren Clan.“
Tränen schimmern in ihren Augen. „Unvermutet traf mich der Untergang. Bei einem der fröhlichen Familienabendessen holte meine Schwester die alte Geschichte meiner Geburt hervor. Der hektische Aufbruch, weil ich es gar nicht erwarten konnte, auf die Welt zu kommen. ’Tja, Papa kam sogar noch rechtzeitig zum Abendbrot nach Hause’, endete meine Schwester.
’Wieso Abendbrot?’ Mira horchte auf. ’Auf Katrins Geburtsurkunde steht 11:42 Uhr.’
’Ja, total putzig‚, kicherte meine Schwester, ahnungslos, dass sie meiner Liebe den Todesstoß versetzte. ’Damals hatten wir eine amerikanische Austauschschwester, die die Sieben ohne Strich schrieb und beim Standesamt haben sie das als 11 übernommen.’
Sofort schloss sie die nächste Anekdote an, während ich in Miras nachdenkliche Augen starrte.
Auf der Rückfahrt wagte ich nicht, das düstere Schweigen zwischen uns zu brechen. Inzwischen kannte ich mich gut genug mit Sternzeichen aus und wusste, dass sechs Stunden vieles verändern konnten. Wie ich es befürchtet hatte, verschwand Mira hinter ihrem Computer. Ich knabberte an meinen Nägeln und ging alleine ins Bett. Die Nacht lag ich wach und betete, dass unsere Liebe stärker als die Sterne sein würde. Doch der Morgen brachte das Aus.
’Mit einem Aszendenten Jungfrau kann ich nicht leben.’ Mira kniff die Lippen zusammen. ’Dein Mond steht im siebten Haus, was jegliche Stabilität unserer Beziehung zerstört.’
Nur diese Worte und sie packte ihre Koffer und verließ mich. Erst erstarrte ich vor Trauer, dann überkam mich glühender Zorn. Wie konnte sie unsere Liebe so einfach wegwerfen? Alles wegen der paar dummen Stunden. Wir hatten doch fast ein Jahr glücklich miteinander gelebt. Bedeutete ihr das gar nichts? Ließ sie die Tierkreiszeichen ihr Leben bestimmen, ohne dem freien Willen eine Chance zu geben? Je mehr ich grübelte, desto wütender wurde ich. Schließlich besorgte ich mir eine Waffe, gar nicht so schwierig, wie man meinen sollte. Tage schlich ich um ihre Wohnung herum wie ein liebeskranker Kater. Heute Nacht nun war die Zeit reif zum Handeln.“
Sie seufzt und starrt auf das graue Resopal des Tisches.
„Warum gerade heute?“ Die Frage kann ich mir nicht verkneifen. Ich muss immer alle Details klären, will den Dingen auf den Grund gehen.
Sie blickt auf, schüttelt die straßenköterblonden Haare und zieht einen Mundwinkel hoch. „Weil mein Tageshoroskop mir sagte: ‚Packen Sie Dinge an, die Sie schon lange aufschieben. Der Tatkräftigen gehört die Welt.’“

Letzte Aktualisierung: 27.10.2008 - 17.17 Uhr
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