Der himmelblaue Schmengeling
Der himmelblaue Schmengeling
Glück ist für jeden etwas anderes. Unter der Herausgeberschaft von Katharina Joanowitsch versuchen unsere Autoren 33 Annäherungen an diesen schwierigen Begriff.
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November 2008
Peinliche Befragung
von Renate Hupfeld

Nach einem Winter mit Schnee und Frost bis in den Mai wehte endlich milde Frühlingsluft durch die Tür herein. Die Familie saß um den Holztisch herum, in der Mitte eine Schüssel Getreidebrei. Lautes Geplapper und helles Kinderlachen. Jeder schob mit dem Löffel seinen Anteil zu sich heran, der Vater den größten. Die Kleinen beeilten sich, damit sie auch genug bekamen. Peter saß auf Margrets Schoß. Er lutschte an einem Stück Brot und bekam von der Mutter ab und zu einen Löffel in den Mund geschoben. Gänse liefen herum, versuchten herunterfallende Brocken zu erhaschen.
Plötzlich sprang Margret auf und setzte das Kind ihrer Ältesten auf den Schoß. Der Kleine begann jämmerlich zu weinen und streckte die Ärmchen nach ihr aus.
„Was ist los mit dir, Frau?“, fragte Hans Feldmann.
„Schau doch da.“
Zwei Männer kamen durch das Feld auf das Haus zu. Margret rannte zur Leiter, stieg hinauf und versteckte sich im Heu. Dazu hatte sie allen Grund, wurde sie doch von den Leuten im Dorf argwöhnisch beobachtet, seitdem Anna Faust in der peinlichen Befragung ausgesagt hatte, sie sei zusammen mit ihr beim Hexentanz gewesen.
„Wir haben Anweisung deine Frau zum Schloss zu bringen. Sie ist der Zauberei verdächtig.
Das Hofgericht erwartet sie.“ Der Dorfbüttel schob Hans Feldmann beiseite und kletterte auf den Heuboden. Er wusste, wo er suchen musste. Unten wartete der Wirt.
Peter schrie laut auf, als die Mutter nach draußen gestoßen wurde. Noch lange hörte sie ihn weinen. Auch ihr liefen die Tränen über das Gesicht. Sie torkelte zwischen den zwei Bewachern den weiten Weg über die Felder, durch das Stadttor und zum Schloss.

Der Büttel schob Margret in einen großen Raum, ging zum Hofmeister und erstattete Bericht. Die dunklen Butzenscheiben ließen nur wenig Licht herein. Mit starren Mienen sahen die vier Männer des Hofgerichts von ihrem Podest auf die zitternde Frau herab.
„Margret, Hans Feldmanns Frau, geboren vor dreiunddreißig Jahren. Warum hast du dich auf dem Heuboden versteckt, als der Dorfbüttel und der Wirt dich holen wollten?“, begann der Hofmeister das Verhör.
„Wollte Futter für das Vieh holen.“
„Red keinen Unsinn. Was ist mit den Kühen des Schultheißen, von denen jedes Mal eine verendet ist, wenn du ihm zwischen das Vieh gelaufen bist?“
„Weiß nicht.“
„Und mit dem Pferd vom Brückenschmied, das rasend geworden und über die Stalltür gesprungen ist, weil du es verzaubert hast?“
„Kann nicht zaubern.“
„Dann willst du wohl auch abstreiten, dass du deiner Tochter Magdalene das Zaubern beigebracht hast?“
„Sag doch, ich kann nicht zaubern.“
„Warum hast du dann zu ihr gesagt, wenn du gewusst hättest, wie man mit den Zauberischen umgeht, würde sie das Zaubern nie von dir gelernt haben? Der Sauhirt hat’s gehört.“
„Der Sauhirt ist ein Lügner“, sagte Margret.
„Überleg dir gut, was du sagst. Wie erklärst du dir, dass die Anna Faust behauptet, ihr wärt zusammen beim Hexentanz gewesen?“
„Hat einen Zorn auf mich gehabt.“
„Und warum hat diese Hexe es bis zu ihrem Tod auf dem Scheiterhaufen behauptet?“
„Weiß nicht warum.“
„Dir soll schon noch was einfallen“, schimpfte der Mann und winkte den Büttel herbei. „Werft sie in den Turm.“

Acht Wochen waren vergangen, als der Pfarrer der Stadt die Erlaubnis bekam, die Gefangene im Schlossturm zu besuchen. Modriger Gestank stieg ihm in die Nase, als die schwere Holztür geöffnet wurde. Er schaute in das dunkle Gewölbe und wandte sich gleich wieder um.
„Nimm der Frau die Ketten ab“, forderte er den Wachmann auf.
„Nein, nein, Herr Pfarrer. Das kann ich nicht. Ich habe strenge Anweisung“, antwortete der. „Wenn sie flüchtet, hab ich nix zu lachen. Dann heißt es gleich, ich stecke mit dieser Hexe unter einer Decke.“
„Wie soll sie weglaufen, so schwach wie sie ist? Also, tu was ich sage. Oder bist du am Ende selbst ein Hexer?“
Der Mann gehorchte.
Johannes ging hinein. Mit angstvollen Augen schaute die Frau ihn an.
„Vor mir musst du dich nicht fürchten, Margret. Komm, setz dich hierher“, sagte er und breitete sein Wams auf dem armseligen Häuflein Stroh aus. Er half ihr und setzte sich neben sie.
„Margret, ich war draußen bei deinem Mann und soll dir sagen, es geht ihnen einigermaßen“, begann er, „so gut es eben geht mit fünf Kindern, wenn die Mutter fehlt.“
„Peter?“, fragte sie ängstlich.
„Dem Kleinen geht es gut.“
„Und Magdalene?“
„Dein Schwager hat sie zu euren Verwandten nach Frankfurt gebracht.“
Sie atmete auf.
„Faustens Anna hat uns dieses Unglück eingebrockt“, sagte sie. „Hat einen Zorn auf mich gehabt, weil ich ihre Gänse von meiner Wiese gejagt hab. Danach ist eine verendet.“
„So ein Unsinn, zu glauben, Hexen verzaubern das Vieh und brauen Unwetter“, antwortete er. „Wer weiß, woran das Vieh verendet? Kein Mensch kann Wetter machen. Das Wetter kommt von Gott. An den sollen die Menschen glauben.“
„Wenn doch auch die Gerichtsmänner so reden würden wie Sie, Herr Pfarrer. Doch die kennen kein Erbarmen. Ein Geständnis wollen sie, nichts anderes. Wie soll das mit mir nur weiter gehen? Ich habe so große Angst.“
„Du darfst die Hoffnung nicht aufgeben, Margret, und vor allem nicht den Glauben an den höchsten Herrn im Himmel. Gott ist gerecht. Dies ist Menschenwerk und nicht Gotteswerk. Bete jeden Tag zu Gott.“

Einige Tage darauf war der Pfarrer in die Folterkammer des Schlosses geladen, wo der Scharfrichter Margret Feldmann die Folterinstrumente zeigen sollte. Es tat ihm weh zu sehen, wie die geschundene Frau von zwei Männern hereingeschleift wurde.
„Je eher du geständig bist, desto besser“, fuhr der Scharfrichter sie an. „Ansonsten, sieh dir an, was dich erwartet“.
Ein Folterknecht holte zwei gebogene Eisenplatten mit Löchern und Schrauben.
„Dieses Eisen wird an dein Bein gelegt und so fest geschraubt, wie du es dir nicht vorstellen kannst. Der Teufel wird dir nicht helfen. Besser, du bist geständig. Wenn nicht, guck dir das hier an.“
Sie schleppten Margret zu einem Seil, das an einem Flaschenzug unter der Decke befestigt war.
„Daran wirst du hochgezogen. Hände auf dem Rücken zusammengebunden. So.“
Zwei Folterknechte rissen ihr die Arme auf den Rücken. Sie schrie auf und sackte in sich zusammen. „Ohne Kleider, versteht sich. Du wirst so lange hochgezogen, bis deine Schultern auskugeln. Und wenn du dann immer noch nicht geständig bist, kannst du dir ja denken, was passiert. Du wirst noch mal hoch gezogen. So oft, bis du gestehst, dass du eine Hexe bist. Also, überleg es dir gut. Die ganze Wahrheit muss ans Licht. Und sie kommt ans Licht.“

Da Margret Feldmann bei der Vorführung der Folterinstrumente kein Geständnis abgelegt hatte, wurde sie am Tag darauf peinlich befragt. Ihre anhaltenden Schreie waren in der ganzen Stadt zu hören.
Der Pfarrer lief in seinem Arbeitszimmer auf und ab. Vom Fenster aus sah er, wie Männer, Frauen und Kinder sich vor dem Schloss um die besten Plätze drängelten. Sie konnten das große Ereignis gar nicht erwarten und grölten im Chor: „Hexe, Hexe, brennt sie, brennt sie!“
Er musste etwas tun.
Mit großen Schritten eilte er durch die Menge über den Platz und verschaffte sich Einlass zur Folterkammer.
„Ihr Richter, lasst die Frau frei. Ihr habt nicht das Recht sie länger zu quälen.“
Sofort ließen die Folterknechte von der wimmernden Frau ab.
Der Hofmeister stellte sich ihm in den Weg.
„Wie kommt Ihr dazu, Euch derart ungebührlich Einlass zu verschaffen? Wir müssen unser Land schützen vor all dem Schaden, den diese Zauberer über uns bringen. Unwetter zaubern sie und brauen beim Hexentanz so viel Regen, dass das Korn in der Erde verfault und das Vieh verendet. Im Namen des Gesetzes müssen wir diese Frau zum Geständnis bringen. Sie hat einen Pakt mit dem Teufel.“
„Wo sind Eure Beweise? Ihr stützt eure Anklage auf Gerüchte. Ich habe mit dieser Frau gesprochen. Sie führt ein gottgefälliges Leben. Nichts deutet darauf hin, dass sie sich dem Teufel zugewandt hat. Gott spricht, du sollst falscher Anklage nicht glauben.“
„Das Gericht muss jede Verdächtigung verfolgen, um dieses Hexengeschmeiß aufzuspüren.“
„Aber nicht mit Marter und Pein. Nirgendwo in der Bibel steht das. Oft beschuldigen die wahren Missetäter unschuldige Leute, um ihnen Schaden zuzufügen. Rachsucht treibt sie an. Diese Bekenntnisse sind nichts wert.“
„Deshalb brauchen wir die peinliche Befragung, um genau zu forschen, ob die Frau eine Zauberin ist.“
„Ich sage Euch, lasst sie frei. Nach wochenlanger Tortur ist sie verwirrt, aber nicht des Teufels.“
„Ich warne Euch, Pfarrer. Es ist ein Frevel, was aus Eurem Munde kommt. Ihr redet euch um Kopf und Kragen. Was wird der Graf dazu sagen?“
„Dies ist keine Angelegenheit der weltlichen Obrigkeit, sondern unseres obersten Herrn. Gott duldet nicht, dass ein Gericht Leid über unschuldige Menschen bringt. Ihr versündigt Euch und überlasst das Feld dem Satan.“
Ganz still war es geworden.
„Am Ende seid Ihr selbst Werkzeug des Teufels“, fuhr der Pfarrer fort. „Eines Tages müsst Ihr Euch vor Gott verantworten. Und Ihr, Folterknechte, Eure Marterwerkzeuge solltet ihr am eigenen Leib ausprobieren. Auch Ihr werdet zur Rechenschaft gezogen.“
Unsicherheit spiegelte sich in den Gesichtern.
„Ihr macht uns Angst“, sagte der Hofmeister. „Wie kann ein Richter seine Arbeit tun, wenn der Pfarrer ihn des Satanswerks verdächtigt? Worte wie Eure sind mir noch nicht in die Ohren gekommen. Ich weiß nun auch nicht mehr weiter. Soll der gräfliche Herr nach seiner Rückkehr die Sache entscheiden.“

Margret lag teilnahmslos auf dem Karren, mit dem ihr Mann sie nach Hause bringen wollte.
‚Gebe Gott, dass sie die holprige Fahrt durch die Felder überlebt’, dachte der Pfarrer, als er sich von Hans Feldmann verabschiedete. Der hielt ein Papier in der Hand, worauf zu lesen war, dass er der Stadt für gerichtliche Dienste neunzehn Gulden, neunundvierzig Albus und zwei Pfennige zu zahlen hatte, für Zeugen, den Büttel und Wirt bei Gefangennahme, den Bewacher im Turm, den Scharfrichter, zwei Folterknechte und für sechs Maß Wein bei peinlicher Befragung.

Letzte Aktualisierung: 09.11.2008 - 12.28 Uhr
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