Hexe oder Hexer bin ich nicht. Brauche weder Besen noch Ofenzange, sondern komme mit Pfeil und Bogen aus. Man nennt mich einen Gott, das will ich jedoch nicht kommentieren. Für manche bin ich Amor, für andere Cupido.
„Cuuupi, Essen ist fertig!“, rief etwa Venus, meine Mutter. Aber über dem Praktikum bei den Bogenschützen wurde oft die Götterspeise kalt.
„Lass den Jungen, Weib!“, musste Mars dann die zürnende Gattin besänftigen.
Nichts war vor meinem Pfeil sicher. Irgendwann spezialisierte ich mich auf menschliche Herzen. Die Getroffenen nennen es Liebe, das will ich allerdings erst recht nicht definieren.
Aber ich red die ganze Zeit von mir, dabei geht es um Ottilie.
„Du gloobsd nich, wie’ch mich vernachlässichd fiehle. Mei Gindr sidz dorheeme nur iewr seine Aggdn! Dähr Birograd iss doch geschdeerd, gwasseld wirres Zeich. Dähm iss sei Babbiergriech wichdcher als ich.“
Neben ihr sitzt der zugereiste Junggeselle Paul Pohlan, Deutschlehrer in der Kreisstadt Bauna. Im Gegensatz zu Ottilie Grau spricht er kein Wort Sächsisch und hat dies mit mir gemein. Dafür ist ihm eine elegischen Sprache eigen, die mir Respekt abnötigt.
Ottilie fährt fort:
„Ich bin nadierlich nich briede, Baule! Hawe Bedärfnisse. Awwr dähr hubbfd nur zu Feierdachn in mei Bädde.“
Von Pauls Lippen gleitet ein feines Lächeln und nimmt auf dem wogenden Busen seines Gegenübers Platz.
„Teure Ottilie, trockne die Tränen, vergiss den Harm. Fühl ich doch den süßen Odem der Liebe in meiner Brust, der Ewigkeit gewiss nicht unwürdig. Selige Stunden harren unser! Wie bebt mein Herz bei dem Gedanken, mit dir in sanfter Lust …“
Solche Sätze stoßen auf meine Bewunderung. Ich denke an Psyche, meine erste Liebe. Damals genehmigte erst Jupiter persönlich unsere Vermählung. Mit ihr ist die dralle Ottilie nicht zu vergleichen. Mein Pfeil bleibt aber aus anderen Gründen vorerst im Köcher: Diesmal darf es keinen Fehlschuss geben wie bei Günter und Ottilie Grau. Die beiden wurden durch Pfeile meiner kleinen Amoretten zusammengeführt, da ist wohl etwas schief gegangen. Anfangs haben sich die Eheleute gut verstanden. Dann begannen beide, nachlässig zu werden, das Feuer erlosch. Günter floh in die Arbeit, eins kam zum anderen.
Günter Grau ist in Bauna juristischer Mitarbeiter beim Ordnungsamt des Landkreises Leipzig. Oft muss zu Hause die Gattin als Schreibkraft herhalten.
„Schreibs uff, Oddielche!“, ordnet er dann an und legt ein wichtiges Obrigkeitsgesicht auf.
Ich belauschte das Diktat, als es um einen ‚Verwaltungsakt’ nach dem Nachbarrechtsgesetz des Freistaates Sachsen ging:
„Der Hund als solcher ist hinsichtlich Gestaltung und Haltungsumgebung aus ethnologischer Sicht ein sozial und territorial ambivalentes Haustier … Nach dem Auskoten bleibt sein Produkt grundsätzlich eine selbständige, bewegliche Sache und wird weder durch Verbindung noch Vermischung untrennbarer Bestandteil des Eigentümergrundstückes … Gegen diesen Bescheid können Sie …“
So etwas hatte ich noch nie gehört. Entsetzt ergriff ich die Flucht.
Nein, sie sind wohl nicht für einander bestimmt. Aber die Amoretten waren ja auch erst im ersten Ausbildungsjahr. Allerdings sind auch mir schon Fehler unterlaufen, zum Beispiel immer wieder bei Boris, ganz ungeachtet seines ständigen „Ich-bin-drin“. Von dem, was da mal in einer Besenkammer geschah, distanziere ich mich jedoch nachdrücklich.
Dort vollzieht sich ein facettenreicher Liebesakt. Den Pfeil halte ich, noch zögernd, bereit. Das Vorspiel ist bereits beendet. Paul, in Sachen Sex kein ganz unbeschriebenes Blatt, erwies sich als einfühlsamer, romantischer Offensivtätschler. Ottilie jedoch, hormonüberflutet, hatte sich mit erheblichem Nachholbedarf heimlich im Kamasutra kundig gemacht. Bedächtig spanne ich den Bogen …
„Baul, ich geheere ganz dir, mach midd mir, was ich will!“
Und Paul, den Versprecher leichtfertig ignorierend:
„Oh lehre mich die Wonnen der Liebe, meine Gespielin. Bring mir der Götter Freude und nähre mein Verlangen!“
Beide haben sich ihrer Kleidung entledigt. Zuerst die ‚Affenstellung’.
Ottilie, auf seinem Schoß:
„Jaaa! Geddlich! Riehr dich flingg. Das ist vorriggd! Oh, ooooh!“
„Oh.“
Dann die ‚Kuh,’ die ‚Schaukel’, der ‚Einfache Knoten’. Paul zeigt sich recht standfest, absolviert auch die ‚Achte Stellung’. Ottilie gelingt es auf dem Rücken liegend irgendwie, ihre stämmigen Unterschenkel unter sich zu schieben:
„Nundr, nuff! Weidr, hör mr ja nich uff! So isses guhd. Oooooh, jaaaaa!“
„Ja.“
Will Ottilie eigentlich nur das Körperliche? Wenn das nur gut geht. Sex und Liebe sind ja nicht immer Geschwister, und ich will nichts verkehrt machen. Bei Cäsar und Cleopatra war es damals auch kein genauer Treffer, nutzte sie den Römer doch nur aus, um zu Hause die Machtkarte auszuspielen. In jüngerer Zeit zielte ich zum Beispiel auch bei Charles schlecht, zumindest, was Diana betrifft. Bei Camilla bin ich mir dagegen sicher. Der Tampon überzeugte mich. Und der ewige Prinz hat genau sie verdient.
Ottilie verlangt nach mehr.
„Oh mei Baul, das war endziggend. Hibsch hasdes gemachd. Mir iss richdch heeß!“
Paul aber ist geschafft, ebenso der kleine Paul.
„Nu gugge mal, dr Gleene! Das iss awwr nich genuch, mei Liewr, heere mr jädz bloß nich uff!“
Sie steckt ein verführerisches Taubengurren auf die Stimme. Paul und Pauli sehen sich an: „Bereit?“ „Bereit.“
„Siehsde, er gann ja wiedr, mei Unersäddlichr!“, jubiliert die Taube.
Warum muss ich an Napoleon und seine Josephine denken? Ich hatte schlecht geschossen, denn letztlich war bei der Kaiserin von Liebe kaum eine Spur.
Aber hier? Könnte mir heute nicht Gleiches gelingen wie zum Beispiel in den großen Werken der Literatur- und Filmgeschichte? Romeo und Julia, Tristan und Isolde oder Harry und Sally? Sallys Stöhnen drang selbst zu den Göttern, von denen dann viele dasselbe Menü begehrten.
Ottilie wünscht sich hingegen nur noch die ‚Schubkarre’, „ä gleene Färgelei“, wie sie anfügt.
Paul spürt halbwegs neue Kräfte und wird aufmunternd eingewiesen. So schiebt er sie im Schweiß der Edlen vor sich her. Wieder schallt es:
„Fester, Baule! Scheeeeen!“
„Schön.“
„Oh, du weeßd wärglich, wie mr midd Fraun umgähn dud! Jaaaa, guuuuhd!“
„Gut.“
„Aaaah jaaaa! Ich fiehls. Jädz, jädz …“
‚Jädz’, in diesem Augenblick, passiert alles in Windeseile. In meinen Ohren verklingen Jubals Harfentöne. Den Pfeil bereits zögernd auf die Sehne gelegt, durchziehen mich einander widersprechender Gefühle, so dass ich den Bogen verreiße. Statt beider Herzen treffe ich Pauls Lendenwirbel L4/L5. Volltreffer, Lumbo-Ischialgie!
„… jädz!“
„Auuuuu!!“
„Jaaaaaa!“
„Neiiiiin!“
Paul ist unfähig, sich zu bewegen. Die ‚Schubkarre’ gleitet, von nichts mehr in der Horizontalen gehalten, heraus. Koitus interruptus einer ewigen Liebe …
„Iss ärchendwas? Was hasdn du bläddslich? Das gibbs doch eefach nich!“
„Auuu, aaaaah!!“
„Da heerd sich awr de Gemiedlichgeed uff! Das iss nich mähr gomisch!“
„Eiiiiiiii!“
„Nu wäre ich allmählich wiedend.“
„Mein Rücken, mein Bein!“
Paul steht ächzend, gekrümmt und mit verzerrtem Gesicht da. Sein Stöhnen klingt den vorherigen Lauten Ottilies nicht unähnlich. Klein-Pauli aber steht nicht mal gekrümmt, sondern gar nicht mehr. Hat taktvoll Adieu gesagt.
„Vrfliggsd, hasde dir was weh gedahn?“
„Kann mich nicht mehr bewegen.“
„Ach du griene Neine, wie gemeene! Iss beschdimmd ä Häxeschuss. Schdell ich mir forchtbar vor.“
Es ist ‚forchtbar’. In diesem Moment hören sie auch noch das Öffnen einer Tür und lärmende Kinderstimmen. Außerplanmäßige Turnstunde, Paul hätte es wissen müssen. Es geht ihm beeindruckend schlecht. Ottilie schafft es geistesgegenwärtig, ihm in Sekunden und trotz seiner Schmerzen die Doppelripp-Unterhose überzustreifen und, die eigene Kleidung unterm Arm, hinter den Stapel ausrangierter Matten zu springen. Schon wird die Halle von der dritten Klasse der Grundschule Nord gestürmt. Alle stehen wie erstarrt, Paul sowieso. Ein dramatischer Ausdruck hat sich den Weg in seine Mimik gebahnt. Leises Kichern flattert auf, schwillt an und macht die Runde wie eine La-Ola-Welle.
„Ruhe, Ruuuuhe!“, ruft der Turnlehrer, und dann, originell:
„Äh, was machn Sie dänn hier, Härr Golleche?“
Der ‚Golleche’deutet unter Qualen auf den nahen Barren und stammelt, er habe etwas für seine Fitness tun wollen. Dabei sei er wohl von der Hexe erwischt worden. Der Notarzt kommt, setzt eine Spritze. Nun geht es dem Mann etwas besser. Mühsam zieht er sich mit Hilfe des Turnlehrers an und verlässt hinkend den Ort. Verlässt auch Ottilie, einfach so. Kümmert sich um nichts mehr. Aus und vorbei! Ottilie muss das Wochenende in der Turnhalle ausharren, bis sie am Montagmorgen im günstigen Moment hinter dem Rücken der Putzfrau nach draußen huscht, durchfroren und mit knurrendem Magen. Mit Paul ist sie fertig.
Wie es weitergeht? Da hab ich folgende Vision: Sie wird reumütig zu ihrem Juristen zurückkehren und ihm beichten. Der besorgte Gatte, der bereits die Polizei rief, wird etwas von einem Verwaltungsakt murmeln, der als Schuss „mit dem Zugang“ wirksam geworden sei. Er wird ihr verzeihen. Und sie:
„Gindr, nu isses Schluss mit däm Lodderlähm, ich wär nie mähr sindchen.“
Jeder wird den eigenen Anteil an der Entfremdung erkennen und sich bessern.
Ich gloowe, den Amoräddn iss damals doch gee Fählr undrloofn …
Ei vrbibbch, ich gann Säggsch! Ich-bin-drin! Glick ohne Ruh, Liewe, bisd du.
Das schdammd vom olln Geehde. Dähr iss gleich mährfach gädroffn wordn …
Letzte Aktualisierung: 15.11.2008 - 18.17 Uhr Dieser Text enthält 10355 Zeichen.