Unsere Literaturzeitschrift Schreib-Lust Print bietet die neun besten Geschichten eines jeden Quartals aus unserem Mitmachprojekt. Dazu Kolumnen, Infos, Reportagen und ...
Das war ja vielleicht eine abgefuckte Kneipe, in die Crazy mich geschleppt hatte. Die fuhren dort voll auf die Oldies aus den Siebzigern ab. Der Tresen kurz vor dem Zusammenbrechen. Wir hielten die Biergläser fest, wären sonst glatt runtergerutscht.
„Ist der coolste Lesbentreff in town“, brüllte Nina – Crazy nannte sie sich erst seit dem Unglück. „Ist doch voll toll, ne?“ Ihre grünen Augen strahlten. Mit der typischen Bewegung – den Kopf fast bis zum Boden neigend – warf sie ihre hennaroten Dreads auf den Rücken.
„Prost“, schrie sie in die Runde. Keine der Frauen reagierte.
Jimi Hendrix und seine Experience dröhnten aus den Boxen an der Decke.
„Was machen wir hier eigentlich?“, fragte ich.
„Hä?“
Ich legte meinen Mund an ihr Ohr.
„Finale!“ Crazy wischte den Schaum vom Mund. Das Bier war lauwarm. Außer der Theke gab es kein Mobiliar. An der Ziegelwand dahinter klebte in silbernen Lettern: „Die Rock-Weiber“. Hendrix’ Foxy Lady lief.
„Los, schwing deinen Luxuskörper.“ Crazy zerrte mich zur Tanzfläche. Nach einer Stunde extremen Headbangings gingen wir erhitzt vor die Tür.
Sie grinste mich an. „Traurig, dass du lieber mit Männern rummachst, Baby.“
Seit dreißig Jahren nannte sie mich so. Wir waren Nachbarskinder, ich drei Jahre jünger, und sie beschützte mich. Haute ihre Schaufel jedem auf den Kopf, der mir meine Sandformen oder den Eimer wegnehmen wollte. Später in der Schule und während der Pubertät war sie meine Löwenmutter. Wir verloren uns erst am Tag des Unglücks aus den Augen. Es dauerte zwei Jahre, bis sie wieder Kontakt mit der Welt und mit mir aufnahm. Und dann behauptete sie, in Wahrheit sei sie Lesbe. Ich wusste aber gleich, dass sie damit nur versuchte, der männlichen Energie auszubüchsen. Schließlich kann man nicht einfach so lesbisch werden.
„Doch, Baby, man kann so Vieles“, hatte sie mich angeschnauzt.
„Muss was trinken“, sagte Crazy und schob mich zurück ins „Die Rock-Weiber“.
Sie soff. Man sah es ihr mittlerweile auch an. Der Alkohol schwemmte sie auf.
„Wie wär’s mit Therapie?“, fragte ich ab und zu.
Wenn sie schlecht drauf war, brüllte sie: „Lass mich mit dem Psychoscheiß in Ruh!“
Als ich sie eines Abends wieder darauf ansprach, schluchzte Crazy leise: „Herzbruch, verstehst du? Irreparabel, verdammt.“ Dann knallte sie meine Wohnungstür zu. Ich hörte sie nebenan heulen; wir waren wieder Nachbarn.
Ich sagte nichts mehr.
Crazy kippte das dritte Bier, bestellte Southern Comfort. „Damit hat sich Janis Joplin tot gesoffen, na denn!“, sagte sie und zündete das Getränk mit dem Zippo an. Weiche blaue Flamme. Als sie erlosch, trank Crazy gierig. Leckte die Lippen ab. „Bourbon und Pfirsichlikör – es gibt nichts Besseres.“
Plötzlich flog sie in meine Arme, irgendwer hatte sie gestoßen. Mit einem Schrei schnellte sie herum, packte jemanden an der Kehle. „Bist du bekloppt! Leg dich ja nicht mit mir an.“
Crazy schlug ihre Stirn gegen die der Frau. Wieder und wieder. Ich zerrte sie an der Taille, die Leute schrien: „Lass gut sein, Crazy!“
Aber sie machte weiter, bis die andere wegsackte. Crazy warf einen triumphierenden Blick in die Runde, ihre Stirn blutete. „Nicht mit mir!“ Sie bestellte noch einen Southern Comfort.
Ein paar Gäste halfen der Frau auf die Beine. Sie zog heulend ab.
„Mensch, Crazy, das war echt nicht nötig“, sagte ich und wischte das Blut mit Klopapier von ihrer kleinen Platzwunde.
Sie blickte mich von oben herab an: „Hast du eine Ahnung, was alles nötig ist, Baby.“
Sie trank, zahlte. „Let’s go!“
Auf der Straße breitete Crazy die Arme aus. „Was für ein herrlicher Abend! So was sollte ich mir öfter mal gönnen.“
„Jemanden zusammenschlagen?“
Sie nickte, lief ein Stück voraus, legte den Kopf in den Nacken und jaulte den Mond an. Als ich sie eingeholt hatte, grinste sie. „Mach du auch mal, Baby!“
„Lass uns heimgehen, ich kann das nicht.“
„Fuck you!“
Aber sie ging mit.
Crazy hatte keine Beziehung. In kĂĽrzester Zeit trat sie alles kaputt. Eigentlich wollte sie mich. Nach einem Versuch miteinander belieĂź ich es bei der Freundschaft, ich brachte es einfach nicht. Wir kĂĽssten uns und jede ging in die eigene Wohnung. Unsere Betten standen an einer Wand; diejenige, die das Licht zuerst abdrehte, klopfte einen Rhythmus dagegen. Die andere antwortete.
Heute war ich erledigt und klopfte zuerst. Wartete. Hämmerte. Keine Antwort. Ich rief sie an, hörte drüben ihr Telefon klingeln, sie nahm nicht ab. Ich kramte Crazys Reserveschlüssel aus dem Schreibtisch. Hauslatschen an und rüber. Sie saß am Küchentisch. Die Wimperntusche rann in zwei Streifen über ihre Wangen, sie hatte den Lauf einer Pistole in den Mund gesteckt.
„Crazy“, flüsterte ich, „ich liebe dich.“
„Das Kind ist in den Brunnen gefallen“, nuschelte sie, Tränen tropften ihr ins Dekolletee.
„Es ist sieben Jahre her, Nina, du konntest nichts dafür. Ein Unfall ...“
Sie riss den Lauf aus dem Mund, fuchtelte herum, brüllte. „Nur weil das Arschloch mir unbedingt in seiner Mittagspause an die Wäsche wollte! Nie wieder Kerle!“
Crazy zitterte am ganzen Körper. „Baby, Johnny war nicht mal vier! Ich hab ihn allein gelassen im Garten, verstehst du? Und er ist in den Brunnen ... so ein kleiner Sarg ...“
Ihre Augen funkelten, ich hatte eine Heidenangst, dass sie den Abzug drĂĽcken wĂĽrde.
Vorsichtig sagte ich: „Er war dein Mann, du hast ihn ... geliebt.“ Das letzte Wort konnte ich nur noch flüstern, denn sie war aufgesprungen und hielt mir den Griff der Waffe hin. „Baby, shoot me down!“
Ich prallte zurück, sagte: „Hey ... Nina, ohne dich ... mein Leben ist ... Scheiße ohne dich.“
„Blödsinn! Ich bin Scheiße!“ Sie zitterte vor Wut und was weiß ich noch alles.
„Du bist Crazy, meine Löwenmutter.“
Sie plumpste auf den Stuhl. „Sag das nicht, Baby, bitte nicht“, schluchzte sie.
„Du bist besoffen, weißt du, morgen sieht es wieder besser aus.“ Mann, war das platt! Ich setzte mich ihr gegenüber. „Ich meine, es gibt noch so viel ...“
Sie schmiss die Pistole auf den Tisch. Ein irrer Krach. Die Kugel steckte in der Wand.
Wir schauten zu, wie Putz herunterrieselte. Dann sahen wir uns in die Augen.
„Finale, ja?“, fragte ich.
Sie zielte auf mich, sagte: „Bang, bang“, blies auf ihren Zeigefinger.
Ich schmierte ihr ein Butterbrot, als vor dem Haus eine Polizeisirene ertönte. Wie der Blitz pfefferte Crazy die Waffe in den Wasserkasten auf dem Klo, ich klemmte mit einer Reißzwecke eine Ansichtskarte übers Einschussloch. Als die Bullen kamen, spielten wir Schwarzer Peter.
Wir lachten stundenlang, es war uns egal, dass die Nachbarn an die Wand trommelten.