Der Tod aus der Teekiste
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Dezember 2008
Theater – Theater
von Patricia Kohnle

In dem kleinen, verschlafenen Ort „Träumelinchenhausen“ hatte man es sich etwas kosten lassen zu beweisen, dass man gar nicht so verschlafen war, wie man zunächst annehmen konnte. Unter „Träumelinchenhausen“ versteckte sich ein junger, dynamischer, aufstrebender Kurort. Spritzig und gutgelaunt wie die knallroten Nikolausmützenplakate, die d a s Jahresereignis des Ortes ankündigten. (Der kirchliche Frauenbastelkreis hatte sogar in liebevoller Kleinarbeit auf jede Plakatmütze einen Nikolausbart aus Engelshaar geklebt). Man hatte keinerlei Mühen gescheut, um endlich die „Wackeren Hühner“ für ein Engagement zu gewinnen. Nicht irgendein Theaterensemble, nein, sondern, wie der Name bereits andeutete, ein preisgekröntes, experimentelles und staatlich bezuschusstes Theater. Wenn man den Nikolausbart auf dem Poster etwas zurückschob, konnte man deutlich die Vorankündigung lesen: „22. Dezember, 20.00 Uhr, „Gasthaus Traube“ – „Die einbrüstige Johanna“ – Regisseur: Alex Kläfer; Mitwirkende: Lilian Mimosia, Olle Ochsenheini.

Ah, Sie haben auf dem Weihnachtsmarkt einen Schnuppertag zu unseren Theaterproben gewonnen? Haben Sie ein Glück! Eigentlich wollten Sie gar nicht? Na ja, wenn Sie jetzt schon einmal da sind … Den Raum verlassen können Sie immer noch. Aber, psst, die Proben haben bereits begonnen. Da, Lilian Mimosia, eine der Hauptdarstellerinnen, kommt gerade auf die Bühne.

Lilian hat eine zierliche Figur und dennoch an den richtigen Stellen die richtigen Formen, die sich in Jeans und dünner Bluse leicht abzeichnen. Ihr blondes Haar wippt gut gelaunt bei jedem Schritt auf ihren Schultern, bis sie, mit dem Rücken zum Zuschauerraum, vor einem Kommodenspiegel Platz nimmt; eine edle Perlmuttbürste in der schmalen Hand.

Alex` Stimme dröhnt auf die Bühne:

„Jetzt, Lilian, zeige einmal, was du drauf hast: Du bist gedankenverloren, verwundbar, atmest mit jedem Zentimeter Fraulichkeit und dein Mann ist nach zehn Jahren und all dem immer noch rattenscharf auf dich. Du bist nur Mimik. Also, lege los.“

Das freche Blitzen in Lilians Augen verliert sich und weicht einer dunklen, warmen Farbe. Sie beginnt ihr Haar langsam zu bürsten. So kitschig wie in alten amerikanischen Filmen und doch keine Sekunde zu kitschig. Bei jedem Bürstenstrich hält sie ihren Kopf leicht geneigt, um dann die Bürste gleiten zu lassen, über den Kopf, vorsichtig und zart, weiter über den Hals und die Schultern bis zur Brustspitze, die sie manchmal, wie zufällig, berührt. Sie scheint alles um sich vergessen zu haben.

„O.k. Und genau jetzt will ich einen Bruch in dieser Szene haben. Kein glänzendes Haar, keine weich gezeichneten Linien des Spiegelbildes. Ich will, dass das Gesicht - im Gegensatz zur Bewegung - hart herauskommt, spitz, gespenstisch weiß. Beleuchtung, schafft ihr das? Leute, pennt nicht ein. Auf.“

In diesem Moment wird quietschend ein Messing - Doppelbett hereingefahren und aufgestellt. Umringt von mehreren Dufträucherkerzen, die darauf warten, angezündet zu werden.

„Beleuchtung, die Einstellungen der Spiegelszene könnt ihr in der Pause nochmals testen. Dann gehen wir jetzt die Bettszene durch. Ole. Ooooole. Mann, kannst du dich endlich von deinem Glimmstengel trennen? Lilian liegt bereits. Oder lässt du alle deine Weiber im Bett auf dich warten?“

Alex` Bariton füllt den gesamten Gasthof „Traube“ aus, bis er in ein dünnes Lungenpfeifen übergeht. Ole hat die Räucherstäbchen angezündet, deren Moschusduft sich in Nebelschwaden schwer auf die Bühne senkt. Ein Hüsteln ist aus Alex` Richtung zu vernehmen:

“Und los geht`s, ihr zwei Turteltäubchen. Lilian, du weiß ja, jetzt bricht die Melancholie bei dir durch.“

Lilian nickt und spricht leise zu Ole gewandt, den Blick gesenkt: „Du hast nie Kerzen angezündet. Früher. Du hast es genossen, mich nackt zu sehen, nach und nach.“ Dann hält sie inne und scheint Oles Antwort nachzulauschen, bis er zu hören ist; unsicher, fragend:

„Du magst es doch romantisch? Besonders jetzt, nachdem …“

„Nichts ist mehr romantisch. Daran ändern auch die Kerzen nichts. Hast du Angst, mich nackt zu sehen? Willst du alle Kerzen löschen?“

„Ich habe keine Angst. Du bist immer noch dieselbe.“

„Pah, immer noch dieselbe. Dann küsse mich. Auf meine Lippen, meinen Hals, meine Brust. Rieche ich noch wie immer? Oder rieche ich bereits nach Verwesung? Verwestes Patschuli - Parfum.“

„Du machst es mir schwer.“

„Du hast es schwer? Nur, weil du ihn nicht mehr hoch bekommst. Jetzt, nach alledem.“

„Aber, ich liebe dich.“

Alex brüllt dazwischen. Lilian zuckt zusammen.

“Aus. Aus. Aus. Mensch, Ole, bist du der Drehorgelmann, der alles in derselben, gleichmäßigen, monotonen Leier von sich gibt, oder bist du ein Kerl, der seine Frau vögeln will. Brustamputation hin oder her.“

„Alex, das geht nicht.“

“Was heißt: „Das geht nicht“? Du bist Schauspieler … schau dir die Burschen hinterm Tresen an. Denen läuft ja schon die Sabber aus dem Maul, wenn Lilian nur ein Bein aufstellt.“

„Alex, spüre du einmal so einen Glibberkram zwischen deinen Fingern, wenn du über ihre Brust fährst.“

“Herrgott noch mal, Ole, du weißt doch selbst, dass die Maske die eine Brusthälfte übertünchen musste. Oder meinst du eine Frau, die eine Brust amputiert bekam, kann ihre Möpse in den Zuschauerraum springen lassen?“

„Alex, ich kann das nicht. Beim besten Willen nicht. Das ist, wie wenn ich meine Haare in lange blonde Haare wühle und unten mit meinen Händen `nen Kerl fühle.“

“Du hast sie wohl nicht mehr alle. Mach bloß `ne Fliege, Ole. Wir machen das ohne dich. Technik. Licht aus. Dann muss niemand mehr irgendetwas sehen, das er nicht sehen will. Sollen sie ihr scheiß experimentelles Theater haben. Lilian …“

Irgendwo fällt im Dunkel ein Stuhl krachend zu Boden.

“Lilian, du warst vorhin nur Mimik. Ganz großes Kino. Und jetzt bist du nur Stimme. Nur Stimme, hörst du. Du schaffst das. Auch ohne Ole. Schrei deinen Schmerz heraus, du einbrüstige Johanna. Schrei.“

Stille, Räuspern, Knacken in der Technik.

“Lilian?“

„Ich hoffe auf Licht, aber rings um mich ist es dunkel. Ich warte darauf, dass es hell wird, aber da ist nichts als finstere Nacht. Am hellen Tag stolpere ich, als hätte mich die Dunkelheit überfallen. In der Blüte meines Lebens bin ich wie eine Tote.“

Wutschnauben aus Alex` Richtung. Dann folgt der Donner.

“Bist du bekloppt, Lilian? Was soll der Kack? Du, du … du bist nicht die „heilige“ Johanna. Du bist die „einbrüstige“ Johanna. Du sollst schreien. Los. Schrei. Du hast deine Brust verloren, den Kerl. Dieses miese Schwein. Und jetzt hockst du im Dunkeln. In dieser ganzen bescheuerten Welt. Und morgen nippelst du vielleicht schon ab. Schrei also, Johanna. Schrei.“

Stille. Rascheln der Bettwäsche. Und dann. Gedämpft, irgendwo ganz unten, ein Wimmern. Leise. Bis jemand mit einstimmt. Herzzerreißend. Winselnd. Aufjaulend.

Auch Alex lässt sich mitnehmen. Und man weiß nicht, weint er oder lacht er oder fällt von einem ins andere. Bis sein Aufjaulen in eine japsende Lache übergeht:

“Lilian, ich habe es gewusst. Du schaffst das. Wer sonst bringt mit seinem Heulen sogar die Promenadenmischung der „Traube“ zum Mitwinseln. Quasi ein Solidaritätswinsler. Das ist d i e Idee. Das Hundegeplärre nehmen wir auf und lassen es bei der Aufführung vom Band abspielen. Experimentell eben. Wenn da nicht das ganze Publikum mitschluchzt.“

Er grient.

“Leute, Feierabend für heute.“

„Ähm, Alex. Du weißt, dass Lilian gestern beim Arzt war. Gewebeprobe.“

Alex kläfft … mit dem Gasthofstreuner im Hintergrund, der jetzt zu knurren anfängt.

“Scheiß Laienspielgruppe. Dass die nie das Private vom Beruflichen trennen können.“

© Pat Kohnle

Letzte Aktualisierung: 18.12.2008 - 17.31 Uhr
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