'paar Schoten - Geschichten aus'm Pott
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Dezember 2008
Die letzte Nacht
von Michael Bauer

Sie brachte ihm das Abendbrot ans Bett. Das Tablett mit dem Stück Kuchen und der Tasse Kaffee stand noch unberührt auf dem kleinen Nachttisch. „Du hast wieder nichts gegessen?“, ihre Stimme klang besorgt, aber dennoch wenig überrascht. Sie setzte sich neben das Bett auf einen Stuhl – mit dem neuen Tablett auf ihrem Schoß. „Du musst doch etwas essen, damit du wieder zu Kräften kommst“, sagte sie leise. Es war fast schon ein Flüstern. Ein Flehen.

Er schien sie nicht gehört zu haben. Denn sie bekam keine Antwort. Sie musste husten und rang nach Luft. Es dauerte eine Weile, bis sie sich wieder unter Kontrolle hatte. Dann legte sie das Tablett auf den Boden, stand auf und öffnete die Fenster, so weit es ging.

„Frische Luft, die wird dir gut tun“, sagte sie. Draußen war es schon dunkel und eine angenehm kühle Brise wehte ins Zimmer. Sie schloss die Augen und atmete ganz tief ein, bis sie sich wieder besser fühlte. Noch einmal setzte sie sich zu ihm ans Bett, bot ihm abermals zu essen an, aber wieder reagierte er nicht. Wenn er sie wenigstens ansehen würde!

Doch er blieb stumm und wollte nur weiter schlafen. Sie nahm das Vesper wieder mit nach unten, auch den kalten Kaffee und den Kuchen. Marmorkuchen, den hatte er früher doch so gerne gegessen. Sie zwang sich selbst zu ein paar Bissen, auch wenn sie dabei wieder würgen musste. Das Klingeln des Telefons erlöste sie schließlich von der Qual. „Ja?“, sagte sie nur und lauschte.

Ob alles in Ordnung sei? Natürlich war alles in Ordnung. Ein Besuch? Nein, das ging nicht, nicht momentan. Noch immer die Handwerker im Haus. Zu viel Chaos für Besuch. Nach all den Wochen immer noch nicht fertig? Nein, nein, in so einem alten Haus gab es eben einiges zu machen. Ob sie denn wirklich keine Hilfe bräuchten? Aber nein, das machten doch die Handwerker. Die trugen auch die schweren Sachen, wenn es sein musste.

Als sie den Hörer beiseite legte, fiel ihr Blick auf die vergilbte Tapete an der Wand. Sie überlegte, wann sie das letzte Mal Handwerker im Haus gehabt hatten, aber sie konnte sich nicht mehr daran erinnern. Am nächsten Morgen wurde sie von einem lauten Klopfen aus dem Schlaf gerissen. Jemand hämmerte gegen die Haustür und rief ihren Namen. Dabei hatte sie doch gesagt, ein Besuch sei ungünstig! Sie würde einfach nicht aufmachen. Sie durfte nicht aufmachen!

Sie tat keinen Mucks, bis es plötzlich wieder ganz still war. Vermutlich hatten sie aufgegeben. Dann aber fuhr ihr ein lauter, dumpfer Schlag in die Knochen. Sie hatten die Tür aufgebrochen! „Nein“, schrie sie und wollte die Eindringlinge zurückhalten.

Doch als sie die Männer mit den Masken sah, wusste sie, dass sie ihn verloren hatte. Sie waren gekommen, um ihn zu holen.

© Michael Bauer, michaelbauer@dreizett.de

Letzte Aktualisierung: 20.12.2008 - 13.45 Uhr
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