Burgturm im Nebel
Burgturm im Nebel
"Was mögen sich im Laufe der Jahrhunderte hier schon für Geschichten abgespielt haben?" Nun, wir beantworten Ihnen diese Frage. In diesem Buch.
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Märchen | Januar 2009
Hexe, Fee und Stiefmutter
von Marion Schäfer

Es war einmal eine alte Hexe, die steckte mit ihrer beachtlichen Leibesfülle im Schacht ihres Backofens fest. Dort wäre sie vermutlich bis zum Ende aller Tage geblieben hätten nicht eines Abends zwei Reisende ihr kleines Anwesen in dem finsteren Wald gefunden. Eine sehr vornehm gekleidete ältere Dame und eine pummelige, ebenfalls in die Jahre gekommene Fee rollten ein Holzfass in den Hof, folgten einer erbärmlich jammernden Stimme ins Backhaus und blickten dort auf zwei zappelnde Beine.
„Das habe ich mir anders vorgestellt.“ Ratlos fuhr sich die vornehme Dame durch die silbernen Haare.
„Sie ist die Einzige, die uns jetzt noch helfen kann. Fassen Sie mit an, Frau Königin.“ Entschlossen packte die Fee den einen Hexenfuß, die Königin den anderen, und – hau ruck – schlug das Hexengesäß auf dem Backhausboden auf. Verwirrt blickte die Hexe um sich. „Ich habe Hunger“, stellte sie dann fest.
„Gute Idee, ich auch.“ Die Königin popelte an der Backhauswand, brach ein Stück heraus und biss hinein.
„Knusper, knusper knäuschen…“ Die Hexe zog eine Augenbraue hoch.
„Schon gut, wir brauchen etwas anderes“, beschwichtigte die Fee. „Haben Sie einen Transportbesen über? Nur für ein paar Stunden, meine ich. Im Gegenzug könnte ich Ihnen den einen oder anderen Wunsch erfüllen.“
„Transportbesen, hä?“ Die Hexe bemühte sich vergeblich, ihre wirr abstehenden, angesengten Haare glatt zu streichen, schüttelte dicke Rußwolken aus ihrer Kleidung und rappelte sich auf. Trotz ihres Buckels überragte sie die Fee um mehr als Haupteslänge. „Sind Sie eine Wunschfee oder was?“
„Wenn ich gut aufgelegt bin, schon.“
Die Hexe machte eine wegwerfende Handbewegung, hinkte zum Haupthaus und kehrte mit einem verstaubten und zerrupften Reisigbesen zurück. „Ich bin ewig nicht mehr verreist, aber mein treuer Gefährte wird wohl noch seinen Dienst tun.“
„Gütiger Himmel!“, entfuhr es der Königin, dann nahm sie Platz hinter der Hexe.
„Das Ding muss auch noch mit.“ Die Fee hatte das Fass in eine große Decke gewickelt, verschnürt, und knotete den Strick an den Besen. Die Hexe grummelte. Als die Fee ein Bein über den Besenstiel schwingen wollte, hielt die Hexe sie zurück. „Das wird zuviel Fluggewicht“, grantelte sie, „und überhaupt: Feen laufen oder schweben, aber sie reiten nicht auf Besen!“
Nach einer hitzigen Debatte und mehreren Fehlversuchen hob sich das seltsame Gespann, drehte sich mehrmals um die eigene Achse, wischte durch einige knorrige Baumwipfel und gewann allmählich an Höhe.
„Wo fliegen wir eigentlich hin?“ Die Hexe blickte sich um.
„Zu meinem Schloss“, sagte die Königin. „Wie haben Sie das eigentlich gemacht, dass bei Ihnen zuhause das Mauerwerk essbar ist?“
„Kleine Verwechselung.“ Die Hexe war sichtlich verlegen. „Die Zaubersprüche, die mit Zuckersteinen und Ziegelsteinen zu tun haben, sind sich ziemlich ähnlich. In Folge haben mir die beiden Truthähne, die ich kürzlich zu Besuch hatte, das halbe Haus zerknabbert.“
„Das waren keine Truthähne, sondern Kinder, und sie haben uns netterweise den Weg zu Ihrem Haus erklärt“, stellte die Königin klar.
„Truthähne aus der neuen Welt“, kreischte die Hexe, „und überhaupt: Es soll Königinnen geben, die trachten ihren Stieftöchtern nach dem Leben!“
„Truthähne können nicht sprechen,“ konterte die Königin, „und der Rest ist Staatsraison: Hätte ich meine Stieftochter wie geplant aus dem Weg geräumt, wären dem ganzen Reich heftige Probleme erspart geblieben. Jetzt greift die Sippschaft meines Schwiegersohns mit Gewalt nach der Krone.“
„Könntet Ihr Euch – puh - etwas weniger heftig streiten? Ich leiste Schwerstarbeit - puh.“ Die Fee war außer Atem geraten. Je nachdem, wohin der Besen schwankte, lehnte sie sich in die Gegenrichtung, und manchmal sprang sie ab, riss mit den Händen den Besenstiel herum und sprang wieder auf.
Die Hexe drehte sich um. „Wer braucht Dich denn?“
„Da Frau Hexe blind wie ein Maulwurf ist – puh – muss ich ständig den Kurs korrigieren, - puh - sonst kommen wir nie an - puh. Und – puh - schaut mal nach unten, Frau Königin!“
Das seltsame Gespann schoss über die Wipfel des Waldrandes. Unter ihnen glänzte die Grasebene im Mondschein, auf der ein riesiges Heer friedlich schlief. Sorgenfalten kräuselten die sorgfältig gepuderte königliche Stirn.
„Wie lange hält der Zauber noch?“
„Bei einer Einzelperson kann ich ihn für ungefähr hundert Jahre hinkriegen – puh. Bei Tausenden Soldaten – puh – können wir froh sein – puh - wenn er bis zum Morgengrauen hält.“
Als die Hexe für einen Augenblick stille hielt, zückte die Fee ihren Zauberstab. Hinter dem Besengespann breitete sich ein Schleier winziger Funkten über die schlafenden Soldaten aus. Am Horizont erhob sich der königliche Burghügel, aber je näher die Drei heran kamen, desto stärker wurden die Verwüstungen offenbar.
„Puh – ein einziges Dach ist noch heil.“
„Das ist kein Grund, genau darauf zu zuhalten. Obacht auf das Fass!“
Schon krachten die Drei durch das Gebälk und purzelten auf das Bodenparkett.
„Ich habe entsetzlichen Hunger“, sagte die Hexe, nachdem sie sich aufgerappelt hatte. „Was ist eigentlich in dem Fass?“
„Schießpulver.“
„Habt Ihr eine Flinte übrig? Ich gehe in den Wald und besorge etwas zum Essen.“
Fee und Königin wurden kreidebleich.
„Na was ist, liebe Fee? Wunsch ist Wunsch.“
Wenig später hatte die Hexe ihre Flinte und pirschte durch die Schlossgänge. Die Fee fand eine seltsam leuchtende Spiegelscherbe.
„Spieglein, Spieglein in der Hand, wer ist der größte Narr im ganzen Land?“
„Schneewittchen ist eine selten dumme Schnalle, aber die senile Hexe schlägt Euch alle.“ Die Spiegelscherbe leuchtete kurz auf und verglomm wieder.
„Kannst Du das Ding ohne die Hexe fliegen?“ Die Königin hielt den Besen vor sich hin.
„Ohne ihr Gewicht müssten wir sogar erheblich schneller voran kommen. Auf – zum Freihändler!“ Fee und Königin schwangen sich auf den Besen, hoben ab, kehrten nach erstaunlich kurzer Zeit mit einem weiteren Pulverfass zurück. Obwohl sich schon die Morgenröte abzeichnete, wagten sie noch eine dritte Reise. Als sie diesmal dem Schloss den Rücken kehrten, fiel hinter ihnen ein einzelner Schuss. Noch einmal schwang die Fee ihren Zauberstab.
„Es geht los. Der Zauber lässt nach. Wenn wir zurück kommen, ist Krieg und wir kommen nicht mehr ins Schloss“, sorgte sich die Fee.
„Und weil wir eine dritte Ladung Pulver mitbringen halten wir den Belagerern stand, nachts holen wir wieder Pulver bis wir den Krieg gewinnen!“ Die Königin lehnte sich flach an den Besenstiel und der Besen schoss mit Höchstgeschwindigkeit voran.
Der Sonnenaufgang stand kurz bevor als sie mit dem dritten Pulverfass zum Schloss flogen. Unter ihnen regten sich die Soldaten, gähnten und rieben sich den Schlaf aus den Augen, und daran änderte auch der Zauberstab nichts.
„Wenn jetzt einer nach oben schaut, fliegt uns gigantisch viel Blei um die Ohren“, meinte die Fee.
Im Schloss wartete schon der komplette Offizierstab. Kaum setzte das Fass auf dem Boden auf, ließ es der Waffenmeister öffnen und den Inhalt verteilen. Hinter den Schießscharten belauerten die Schützen jede Regung unterhalb der Befestigungsmauern. Eine unheilvolle Stille brütete über der Ebene.
„Es ist viel zu ruhig draußen“, stellte die Königin fest, „und wo ist eigentlich unsere Hexe abgeblieben?“
„Die angekokelte Alte mit der Flinte?“ Der General zuckte mit den Achseln. „Die haben wir bei der erstbesten Gelegenheit nach draußen komplimentiert.“
Plötzlich pochte es am Burgtor.
„Und sie hat sich gleich mit dem Feind verbrüdert, so dass wir jetzt die Kapitulationserklärung unterschreiben dürfen“, ergänzte die Fee.
Es pochte lauter.
„Hallo Ihr Lieben, wollt Ihr mich nicht wieder reinlassen?“, frohlockte eine wohlbekannte Stimme von draußen.
„Aber gewiss“, antwortete die Fee. „Magst Du nicht lieber mit Deinem Besen kommen? Wir schicken ihn mit bestem Dank zurück.“
„Das ist nett, aber ich möchte lieber durch das Tor. Ich habe etwas Gutes mitgebracht. Macht schon mal den Ofen an.“
Das Tor öffnete sich einen Spalt breit, die Hexe schlüpfte hindurch und zerrte ihre Beute hinter sich her. „Das ist der Oberste General unserer Gegner“, riefen die Offiziere der Königin wie aus einem Munde. „Der Krieg ist zu Ende!“
Und wenn sie nicht gestorben sind, so verdauen sie noch heute.

Letzte Aktualisierung: 20.01.2009 - 09.41 Uhr
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