Futter für die Bestie
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Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten-
Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
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Märchen | Januar 2009
Schwester Anna
von Kathi Schmid-Siegel

Es war einer jener Abende, an denen ein Gewitter die Kinder im St.-Martins-Heim in Angst und Schrecken versetzte. Blitze zuckten über den Himmel, Bäume bogen sich im Wind und Regen prasselte an die Scheiben der Schlafsäle, in denen die Kinder, vor allem die Jüngsten, sich in ihren Betten verkrochen und die Decken bis über das Kinn hochzogen, oder sich zu mehrt zusammenkuschelten.

Es war einer jener Abende, an denen Schwester Anna zu ihnen kam, um mit ihnen zu reden und ihnen die Angst zu vertreiben. Da bat eines der Kinder sie darum, ihnen eine Geschichte zu erzählen.

„Eine Geschichte wollt ihr hören? Lasst mich mal überlegen ... Ach, ich weiß schon eine!“, sagte sie und fing an zu erzählen:

„Es war so wie jetzt, Anfang August, aber es war einer jener Tage, an denen man denkt, dass das Wetter nicht mehr besser werden kann. Es war warm, die Sonne lächelte vom Himmel und ein angenehmer Wind umwehte unsere Körper. Ich war damals noch ganz jung, nicht älter als ihr jetzt, und ich liebte es, den ganzen Tag über im Wald zu spielen. Also war ich auch an jenem Tag draußen und spielte mit den anderen Kindern Verstecken. Nach einiger Zeit war ich mit Suchen dran. Ich machte die Augen zu und zählte: Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, bis dreißig. Dann machte ich die Augen wieder auf und sah mich um. Alle waren weg. Ich suchte, konnte aber niemanden finden.“

Ein Kind lächelte.

„Also ging ich weiter in den Wald hinein und weiter und weiter. Gefunden habe ich niemanden. Irgendwann blieb ich stehen und sah mich um. Ich war bis in einen Teil des Waldes gelaufen, den ich nicht kannte und wusste nicht mehr, wo ich war. Ihr könnt euch vorstellen, was für eine Angst ich hatte, vor allem als es auch noch anfing zu regnen. Zuerst nur leicht, dann aber so stark, als würde Gott Kübel voll Wasser über meinem Kopf ausleeren. Es stürmte, blitzte und donnerte.“

„So wie jetzt?“, wollte eines der Kinder wissen.

„Ja, so wie jetzt!“, antwortete Schwester Anna.

„Und?“, fragt ein anderes Kind, das sich gespannt in ihrem Bett aufrichtete.

„Ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte, also lief ich einfach weiter und weiter, in der Hoffnung, wieder zurück auf den Weg zu finden. Doch ich kam nur immer tiefer in den Wald hinein. Irgendwann wollten meine Beine mich nicht mehr weitertragen. Erschöpft ließ ich mich zu Boden sinken. Ich fing an und zu weinen.“

Schwester Anna machte eine Pause.

„Was hast du dann gemacht?“ , fragte ein kleines Mädchen mit einer piepsigen Stimme, das seinen Teddy fest umklammert hielt.

„Ich war ganz verzweifelt und dachte, ich müsse jetzt sterben, da hörte ich eine Stimme. ’Es ist gefährlich, so ganz alleine im Wald. Vor allem bei diesem Wetter!’, sagte sie. Ich blickte auf und sah eine Frau.“

„Eine von den Schwestern?“, riet ein Mädchen.

„Nein, es war keine von den Schwestern. Die Frau lächelte mich an und ich sagte ihr, dass ich mich verlaufen habe. ’Komm mit, ich bringe dich zurück!’, sagte sie und streckte mir ihre Hand entgegen. Ich nahm sie und ließ mich von ihr hochziehen. Da merkte ich erst, dass die Frau nicht größer war, als ich selbst. Und sie war dünn, sehr dünn. Ihre Arme und Beine waren nicht dicker als eure Finger!“

„So dünn!“, sagte eines der Mädchen und betrachtete seinen kleinen Finger.

„Ja, so dünn! Und ihre Finger waren noch viel dünner. Das bemerkte ich, als sie mir damit die Tränen abwischte. Dann reichte sie mir ihre Hand und drehte sich um. Sie wollte losgehen, aber ich blieb wie angewurzelt stehen. Ich hatte nämlich die hauchdünnen Flügelchen auf ihrem schmalen Rücken entdeckt. Die Frau drehte sich um und wollte wissen, warum ich ihr nicht folgte. Ich deutete nur auf ihre Flügel. Die Fremde lächelte und sagte: ’Ich bin eine Waldfee!’, dann forderte sie mich auf, mit zu kommen. ’Die Schwestern suchen sicher schon nach dir!’ Ich folgte ihr so lange, bis ich Stimmen hören konnte, die meinen Namen riefen. ’Anna, Anna, Anna!’ Wir blieben stehen. Die Fee sah mich an. ’Da wären wir!’, sagte sie und ich nickte. ’Danke’, sagte ich nur. ’Es war mir ein Vergnügen!’, entgegnete die Waldfee und knickste.“

Ein Mädchen kicherte.

„’Wie heißt du eigentlich?’, wollte ich wissen. ’Ich bin Ariana, Ariana, die Waldfee!’, stellte sie sich vor. ’Und ich bin Anna!’, sagte ich, aber sie meinte nur: ‚Das weiß ich!’ Wir schwiegen einen Moment, bevor ich fragte: ’Werde ich dich wiedersehen?’ Die Fee meinte nur ’Vielleicht!’ und zog einen Ring von ihrem Finger. Es war ein sehr schöner Ring, silber, mit einem grünen Stein darauf. Sie gab ihn mir und sagte, er solle als Erinnerung dienen und ihr helfen, mich wiederzuerkennen, auch dann noch, wenn ich groß und erwachsen wäre. Ich bedankte mich und nickte mir zum Abschied zu und bevor ich noch etwas sagen konnte, war sie verschwunden. Ich ging in Richtung der Stimmen und kurze Zeit später wurde ich von einer der Schwestern entdeckt. Sie brachten mich zurück ins Heim und dann bekam ich heiße Schokolade und Kekse zum Aufwärmen.“

Als Schwester Anna geendet hatte, schwiegen alle. Nur die Geräusche des Gewitters waren zu hören. Dann unterbrach eines der Mädchen die Stille: „Ist die Geschichte wahr?“

„Es gibt doch keine Feen!“, wandte daraufhin eines der älteren Kinder ein.

Schwester Anna lächelte. „Ob die Geschichte wahr ist oder nicht, weiß nur ich und der liebe Gott natürlich! Aber jetzt ist es Zeit für euch, zu schlafen!“ Schwester Anna stand auf und ging zur Tür. „Gute Nacht, meine Lieben!“, sagte sie und ein Chor von Gute-Nacht-Wünschen kam zurück. Schwester Anna löschte das Licht und verließ den Raum.

Auf Zehenspitzen tribbelte Karla den Gang entlang, den augenlosen Riesenteddy hinter sich herschleifend. Vor der weißlackierten Tür machte sie halt, zögerte einen Moment und streckte sich dann nach der Klinke aus. Lautlos schwang die Tür auf und Karla blickte in das erstaunte Gesicht der Schwester. Vor ihr stand eine geschnitzte Holzschatulle aus der ein silbener Ring hervorblinkte.

Sie ging den Gang entlang und trat durch eine alte Holztür in ihr Schlafzimmer ein. Sie machte Licht und ging zu ihrem Bett, wo sie die Lade ihres Nachtkästchens öffnete und eine Schmuckschatulle hervor holte. Sie öffnete sie. Darin lag nur ein einziger silberner Ring.

Letzte Aktualisierung: 12.01.2009 - 09.05 Uhr
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