Madrigal für einen Mörder
Madrigal für einen Mörder
Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Janine Gimbel IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
Mrchen | Januar 2009
Es begab sich aber zu der Zeit ...
von Janine Gimbel

Es begab sich aber zu der Zeit, dass die Kanzlerin ein Gesetz erließ, dass alle Menschen ohne Arbeit im Jobcenter nach ihrem Wert geschätzt würden. Diese Schätzung war gewiss nicht die erste und geschah zur Zeit, da Klaus Wowereit Statthalter – Verzeihung, Bürgermeister – in Berlin war. Da machte sich auch Frau Geiß aus Neukölln auf, um sich schätzen zu lassen.
Oh nein, schwanger war sie nicht. Sie haben nicht etwa erwartet, einer unbefleckten Empfängnis in der Agentur für Arbeit beizuwohnen? Mit Hirten, Engeln, allem Drum und Dran? Vergessen Sie’s! Fangen wir von vorne an.


Es war ein Tag, an dem die Sonne unerbittlich auf die Erde hinabstrahlte, die Menschen über den Klimawandel stöhnten und die werte Frau Geiß in eine missliche Lage geraten war: Ihre in diesem Quartal fällige Meldung beim Arbeitsamt stand an.

Ach nee, sagt man ja nicht mehr. Ich vergaß, Agentur für Arbeit.

Dass Frau Geiß im Laufe der Jahre mehrfach Mutter geworden war und mit ihren sieben Nachkommen allein lebte, wurde hier zu einem Problem.

Ja, Ihren Blick kann ich verstehen. Frau Geiß kann selbst nicht erklären, warum es im Zeitalter der Geburtenkontrolle auf einmal so viele sind. Klar, dass Sie die Gute sofort in eine Schublade stecken – hinzu kommt, dass Frau Geiß zurzeit, wie schon erwähnt, arbeitslos ist. Also arbeitssuchend, dann klingt es, als wäre sie motiviert und glaube daran, eine Erwerbstätigkeit zu finden.

Die Betreuungsmöglichkeiten in ihrem Stadtteil waren miserabel, die Kinder hütete sie – auch aus Kostengründen – zu Hause. Die Wegstrecke zum Amt wollte sie jedoch allein zurücklegen; ihre Ältesten wies sie an, auf die Jüngeren aufzupassen, und begann ihre beschwerliche Reise.

Die Mutter war keine zehn Minuten von dannen gezogen, da klopfte es an der Türe, die Kinder rückten ängstlich zusammen. „Vielleicht ist das die Hollerbusch“, raunte das Kleinste in die Runde, den Mund vor Staunen geöffnet.

Wer das nun wieder ist, wollen Sie wissen? Woher soll ich die kennen? Hier steht ‚Vielleicht ist das die Hollerbusch’ – ich lese Ihnen nur den Text vor, ich bin doch nicht der Erklärbär! Irgendeine Sagengestalt vermutlich, ein altes Mütterchen mit Kopftuch und chronischem Rheuma – wir sind in einem Märchen, da sehen Leute mit einem solchen Namen immer so aus! Unterbrechen Sie mich nicht ständig, sonst sitzen wir morgen noch hier.

„Vielleicht ist das die Hollerbusch“, raunte das Kleinste in die Runde, den Mund vor Staunen geöffnet.
„Quatsch“, erwiderte einer der Jungs. „Schauermärchen, nichts als Lügengeschichten, damit wir brav sind. Ich mach’ auf.“ Mutig trat er nach vorne und öffnete, trotz allem nicht ohne Zögern, einen Spalt breit. „Klopf, klopf Mäuschen, wer klopft an unser Häuschen?“ Mit weit aufgesperrten Augen starrte er auf den Gang hinaus, sah die gekrümmte Kreatur im Flur stehen.
„Ich alter Wolf, ach, hätt’ ich genommen den Cheeseburger statt des Döners!“, jammerte der Fremde alsdann, den Bauch mit der Tatze umklammert. „Ich bin so satt, meine Verdauung hingegen läuft nicht mehr glatt.“

Wie ein Wolf aussieht, muss ich Ihnen erklären? Das weiß wirklich jedes Kind: ein zotteliges Ungeheuer mit großen, gelben Reißzähnen, Mundgeruch – steht doch da, Döner – und verfilztem Fell. Reicht das an Details? Weiter mit seinen Verdauungsproblemen ... Diese Geschichte verspricht, wahrlich interessant zu werden!

„Kommen Sie rein, holder Herr“, bot der Älteste nach kurzem Überlegen an und führte den Wolf hilfsbereit hinein in die karg eingerichtete Wohnstube – entgegen allen warnenden Worten der Frau Mutter. Herr Wolf ließ sich nicht zweimal bitten, hastete nach drinnen und suchte zielstrebig nach der Toilette. Die Tür flog hinter ihm krachend ins Schloss. Minuten vergingen, nichts geschah. Hatten die Geißenkinder den Vorfall nur geträumt?

Das wäre ja noch schöner! Ich sitze hier und lese und lese ... dabei ist das Ganze lediglich ein Traum. Sollte das der Fall sein, kann die Autorin sich warm anziehen! ... Ich bin ja schon still.

„W-wir sollten n-nach ihm schauen ...“, beschlossen die Kinder. Durch einen Spalt lugten sie ins Badezimmer, dicht gedrängt, damit ein jedes einen Blick erhaschen konnte. Der Anblick verschlug ihnen endgültig die Sprache: Rücklings lag Herr Wolf auf der Matte vor der Wanne, alle Viere von sich gestreckt.
„Ist er tot?“ Mit einem Flüstern durchbrach das Jüngste die Stille unsicher.
„Niemals! Bestenfalls bewusstlos, einfach umgekippt.“

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Punkt.
Das steht da! Soll ich Ihnen das Buch reichen, damit Sie sich selbst davon überzeugen können? Warum kompliziert, wenn es einfach geht? An dieser Stelle
kann die Geschichte beendet sein, das ist alles eine Frage der Perspektive. Ich bin mit diesem Ende zufrieden!

„Niemals! Bestenfalls bewusstlos, einfach umgekippt.“ Der mutige Sohn stieß den Fremden an, eine Reaktion erwartete er vergeblich. Im Flüsterton berieten die Sieben sich – das Jüngste sollte bei dem Herrn Wolf wachen, die Übrigen würden unterdessen in der Stadt ein Heilmittel erstehen.
Es waren Apotheken in derselben Gegend auf dem Platze bei dem Brunnen, die verkauften des Tags ihre Ware. Der Apotheker trat zu den Kindern und die Klarheit des Gesundheitswesens leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Der Mann sprach zu ihnen: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich habe für jede Lösung ein Problem.“
Wahrlich, die Gestalten, die den kleinen Raum ausfüllten, hätten unterschiedlicher nicht sein können. Ein Bengel mit einer Suppenschüssel auf dem Kopf, eine Frau mit Schlafproblemen, die ständig behauptete eine Prinzessin zu sein, ein Geschwisterpaar, das sich verlaufen hatte und den Weg erfragen wollte – fast alle waren sie gekommen, um den Teil ihres Einkommens, der neuerdings als Praxisgebühr in den Gesetzen niedergeschrieben stand, zu sparen und Auskunft zu holen bei dem Apotheker ihres Vertrauens. Ja, sogar einen Mann mit einem besonders schweren Schicksal trafen die Kinder. Er erklärte, dass die Menschen reihenweise einschliefen, sobald er zu reden begann. Die Kleinsten lauschten seiner Geschichte gespannt, konnten aber nicht lange ihre Augen offen halten. „Ach, wie gut, dass keiner weiß, dass ich Sandmännchen heiß“, kicherte der für diesen Umstand Verantwortliche in sich hinein.

Die Frau Mama war unterdessen vom Jobcenter heimgekehrt, das Jüngste fand sie allein mit dem Wolf, der wieder zu Bewusstsein gekommen war. „Was holpert und poltert in meinem Bauch herum?“, fragte er benommen. „Ich meint’, es wären sechs Döner ohne Schwein, doch sind's wohl lauter Wackerstein.”

Zugegeben, mit dem Reimen ist es bei der Autorin wohl nicht weit her. Döner ohne Schwein, Wackerstein? Wo hat sie das denn her? Und überhaupt, das kommt mir seltsam vertraut vor ... Was war das bloß? Star Wars? Der König der Löwen? Ich hab’s gleich ...

Die Geißenmutter war mit dieser Situation – den verschwundenen Kindern, dem Wolf in ihrer Wohnstube – überfordert. „Heute back ich, morgen putz ich“, stöhnte sie, „übermorgen hol ich der Woche Einkäufe, wie gut, dass jeder weiß, dass ich Mädchen für alles heiß.“ Kaum Zeit blieb, um das Verschwinden ihrer Sprösslinge zu betrauern, da standen diese bereits stolz in der Türe, erfolgreich zurückgekehrt, mit einer Tüte in den Händen. „Mutter, warum hast du denn so rote Wangen?“
„Damit ihr mich besser sehen könnt“, schluchzte die Angesprochene unter Tränen, die Aufregung vergaß sie augenblicklich und schloss ihre Kinder, die sogleich von ihrem Abenteuer in der Stadt erzählten, glücklich in die Arme.

Ha! Das ist aus Harry Potter! Dass es mir nicht gleich aufgefallen ist ... diese neumodischen Märchen, grausam.

„Mami, was bedeutet ‚verschreibungspflichtig’?“, wollte das Jüngste wissen, nachdem es aufmerksam den Worten seiner Geschwister gelauscht hatte, und ließ nicht locker, bis es schließlich verstanden hatte – oder zumindest glaubte, verstanden zu haben –, wie die Welt funktioniert.
Der in Bedrängnis geratene Herr Wolf nahm dankend die mitgebrachte Medizin in Empfang ...

... und sie warten und warten – schwupp – war der Döner heraus und das Märchen aus.
Die Zuhörer kehrten heim, priesen und lobten die Autorin für alles, was sie gehört und gesehen hatten.

Damit sind Sie nicht zufrieden? Warum schreiben Sie die Erzählung nicht selbst, wenn Ihnen das, was ich verlese, nicht in den Kram passt? Hätten Sie mich nicht ständig mit Ihren Zwischenfragen gestört, wäre Zeit für ein ausführlicheres Ende! Dabei sollten Sie froh sein, dieser Bergungsaktion nicht live beigewohnt zu haben, das war bestimmt keine Augenweide.
Ihnen ein Märchen vorzulesen, ist ganz schön anstrengend! Sie können sicher sein, das war ganz bestimmt das letzte Mal!

Letzte Aktualisierung: 27.01.2009 - 19.37 Uhr
Dieser Text enthlt 8989 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.