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Märchen | Januar 2009
Das Märchen von Ahmed und den Pfirsichen
von Marianne Heitz

Es war einmal ein Bauer im fernen Andalusien, der Ahmed hiess. Früher hatte er mit seiner Familie am Fusse des Atlasgebirges gelebt, aber die Zeiten waren schlecht und wurden immer schlechter. Schweren Herzens hatte er sich entschlossen, nach Spanien auszuwandern, um dort sein Glück zu versuchen. Nach vielen Jahren harter Arbeit hatte Ahmed eine Obstplantage nicht weit von Almería, die er sein eigen nennen durfte, und lebte dort glücklich und zufrieden mit seiner Frau und seinen fünf Kindern. Eines Tages reiste der Landwirtschaftsminister durch die spanischen Provinzen. Es war gerade ein Wahljahr und er musste Volksnähe demonstrieren. Unter anderem machte er in Almería Halt, um einige landwirtschaftliche Betriebe im Umkreis zu besuchen. So kam er auch zu Ahmed’s Obstplantage. Es war schon später Nachmittag und der Minister war sehr müde. Er setzte sich in den Schatten unter einen Pfirsichbaum, um eine kleine Siesta zu halten. Als er wieder aufwachte, hatte er unbändigen Durst. Er sah einen Pfirsich im Gras liegen und ass ihn kurzentschlossen. Die Frucht schmeckte vorzüglich und erfrischend, fand der Minister. Also liess er Ahmed rufen und sagte zu ihm: „Ich habe einen von deinen Pfirsichen gegessen, er war ganz köstlich! Wenn Du irgendwann wegen einer Sache nach Madrid kommst, dann such mich auf. Du brauchst nur nach dem Landwirtschaftsministerium fragen, jeder weiss, dass es am Paseo de Infanta Isabel liegt.

Die Zeit kam und verging, und eines Tages bekam Ahmed Schwierigkeiten mit den EU-Richtlinien. Es stellte sich heraus, dass seine Pfirsiche einen zu hohen Gehalt an Pestiziden aufwiesen und er durfte seine Ernte nicht mehr exportieren. Dieses Urteil traf ihn schwer. Da sagte seine Frau: „Ich werde einen Korb mit Pfirsichen fertigmachen und Du fährst damit nach Madrid und suchst den Landwirtschaftsminister auf. Er wird sich unserer Sache annehmen.“

Ahmed befolgte den Rat seiner Frau, fuhr nach Madrid und fragte solange nach dem Landwirtschaftsministerium, bis er es fand. Als er eintreten wollte, hielten ihn die Wachen zurück. Sie durchleuchteten seinen Korb mit den Pfirsichen viele Male, bis sie überzeugt waren, dass sich darin keine Bombe befand. Dass er den Minister persönlich kannte, glaubten sie ihm zwar nicht, aber sie liessen ihn dennoch die Sicherheitskontrollen passieren. Ziemlich verloren marschierte er mit seinem Korb die langen Korridore des Ministeriums auf und ab. So oft er fragte, ob er den Minister sprechen könnte, wurde ihm gesagt, dass er warten müsse. So verging Stunde um Stunde. Ahmed war sehr geduldig, aber er bekam Hunger. Also ass er einen Pfirsich, und dann noch einen, und noch einen. Es wurde Abend und der Minister war immer noch nicht zu sprechen. Die Korridore hatten sich geleert. Die meisten Beamten waren schon nach Hause gegangen. Ahmed war sehr traurig, nahm seinen Korb und wollte unverrichteter Dinge wieder gehen, als er Schritte hinter sich vernahm. Es war der Minister. Er konnte sich noch gut an Ahmed’s Pfirsich erinnern, den er damals verspeist hatte. Überhaupt war er sehr freundlich zu ihm. Nachdem es schon so spät geworden war und der Minister keine Zeit mehr hatte, gab er Instruktionen, dass Ahmed in ein Gästehaus der Regierung gebracht wurde. Am nächsten Morgen sollte er wiederkommen. Der Minister versprach ihm, dass er sich dann um sein Anliegen kümmern würde. Nun war Ahmed wieder hoffnungsfroh.

Während der Nacht im Gästehaus bekam Ahmed plötzlich grimmige Bauchschmerzen. Das kommt von den vielen Pfirsichen, dachte er, es stimmt also doch, dass Pestizide ungesund sind, carajo !! Also verliess er sein Zimmer, um sich Hilfe zu holen. Er öffnete und schloss mehrere Türen, entfernte sich immer weiter und verirrte sich gänzlich. Schliesslich fanden ihn die Wächter, die ihn fragten, was er suche und wer er sei. Ahmed konnte ihnen nicht richtig antworten, weil er vor Bauchschmerzen nicht einmal gerade stehen konnte. Das fanden die Wächter sehr verdächtig. „Das muss ein Terrorist sein“, sagten sie, legten ihm Handschellen an und steckten ihn in eine Zelle im Hauptquartier der Guardia Civil an der Puerta del Sol.

Inzwischen war eine Woche vergangen. Eines Morgens erinnerte sich der Minister an Ahmed, liess ihn suchen und nach ihm forschen. Als er erfuhr, dass er im Gefängnis war, tat es ihm furchtbar leid und er rief: „Als Wiedergutmachung darfst Du Dir etwas wünschen!“ „Señor Ministro“, sagte Ahmed, „ich wünsche mir eine Säge, einen Stock und einen Koran.“ Als der Minister wissen wollte, weshalb er sich diese drei Dinge wünschte, antwortete Ahmed: „Mit der Säge werde ich den Pfirsichbaum umschneiden, unter dem Sie Ihre Siesta gehalten haben. Mit dem Stock werde ich meiner Frau den Hintern versohlen, weil sie mich mit einem Korb Pfirsiche zu Ihnen geschickt hat. Und auf den Koran werde ich meine Hand legen und bei Allah und seinem Propheten schwören, dass ich Sie nie mehr grüssen werde, geschweige denn Ihre Partei wählen.“

Zuerst war der Minister verblüfft, aber eigentlich gefielen ihm Ahmed’s Worte sehr. Er rief seinen Kabinettchef zu sich und flüsterte ihm lange ins Ohr. Es wurde ein geheimnisvoller Umschlag vorbereitet, den der Minister Ahmed feierlich überreichte und ihm recht viel Erfolg und Gesundheit wünschte. Ahmed machte sich wieder auf den Weg. Als er das Ministerium verlassen hatte, setzte er sich auf eine Parkbank und dachte nach. Dann öffnete er den Umschlag. Es war ein Subventionsantrag für seine Obstplantage, genehmigt und bewilligt vom Landwirtschaftsminister persönlich, und versehen mit allen möglichen Stempeln und Siegeln. Als Ahmed den Betrag las, wurde ihm ganz schwindlig vor Glück!

Letzte Aktualisierung: 14.01.2009 - 20.21 Uhr
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