'paar Schoten - Geschichten aus'm Pott
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Das Ruhrgebiet ist etwas besonderes, weil zwischen Dortmund und Duisburg, zwischen Marl und Witten ganz besondere Menschen leben. Wir haben diesem Geist nachgespürt.
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Überraschung | Februar 2009
Die Traumfrau
von Barbara Seyfarth

Gemütlich kuschelte sich Ruth zu ihrem Sohn. Die kurze Zeit zwischen Schlafen und dem Tohuwabohu des neuen Tages genossen die beiden besonders. Sie hatten ihr eigenes kleines Ritual entwickelt, mit Wachmassieren, "Guten Morgen" wünschen und Träume erzählen.
"Und was hast du heute geträumt?", fragte Ruth.
Robin grummelte verschlafen: "Weiß nich'."
"Ich hatte heute einen eigenartigen Traum", sagte die Mutter und steckte schnuppernd ihre Nase in Robins Haar.
"Ich bin in einer Art Straßenbahn gefahren, aber die ging wie eine Achterbahn abwärts. Mich hat eine Frau begleitet, die sah sehr sympathisch aus. Und als wir unten ankamen, da betrachtete ich die Schienen. Statt der Schienen sah ich ein Zahnrad-Muster, das in die Straße eingelassen war. Die Ausbuchtungen in der Straße waren nicht regelmäßig, sondern mal breiter, mal schmaler und zueinander versetzt. Eigentlich waren sie sogar fast ausgefüllt mit Erde und Pflanzen, wie bei einem stillgelegten Gleis in einer Straße. Die Räder der Bahn bildeten das Gegenstück zu dem Muster auf der Straße. Ich wunderte mich noch, wieso die Waggons bei dieser rasanten Fahrt nicht entgleisten.
Die Bahn kletterte den Berg hoch, und wir erreichten einen ganz normalen Straßenbahnhof. Hier musste ich mich entscheiden, ob ich mit der fremdartigen Bahn weiter fahre oder mit einer normalen. Ich bin dann auf dem Gleis zu einer normalen Bahn gegangen, da verschwand die Frau. Sie war einfach weg und ein Mann sagte mir: Sie kommt aus einer anderen Dimension und träumt manchmal in dieser Welt."
Während Ruth Robins Rücken mit dem Daumen drückte und knetete, grübelte sie über die Bilder nach.
"Lustig, wir können Leute aus anderen Welten im Traum treffen", meinte Robin begeistert.
Ruth gab ihm ein schnelles Küsschen. "So, jetzt aber fix aufstehen! Der Tag ruft!"

Die Mailbox war fett markiert: fünfzehn neue Nachrichten.
Ein Termin beim Chef? Ruth seufzte.
Direkt darunter fand sie eine Mail von ihrem Gruppenleiter: 'Detailliere für das Meeting die Übersicht über die Aufwände!'
Das hatten sie doch schon getan? Wie viel Zeit sie für Zusammenfassungen, Auflistungen und Erklärungen schon verbraten hatte! Ruths Hals schnürte sich zusammen. Sie versuchte ruhig zu atmen, um ihre aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Wie sollte ich in dieser kurzen Zeit nur die ganze Arbeit schaffen?

Abends fiel Ruth ins Bett. Sie hatte keine Ruhe mehr. Ihre Träume drehten sich nur noch um Kunden und Arbeit. Sogar das morgendliche Ritual litt darunter. Die Traumerzählungen wurden kürzer und Ruth merkte deutlich an der gereizten Stimmung, dass Robin unzufrieden war, weil er seine Mutter selbst die kurze Zeit am Morgen nicht mehr ganz für sich hatte. Am meisten machte ihr aber die ständige Müdigkeit und der unruhige, wenig erholsame Schlaf zu schaffen.

Eines Morgens beim Wecken sagte der Junge: "Bitte, Mutti, komm kuscheln. Ich habe von deiner Traumfrau geträumt. Das muss ich dir erzählen!"
"Na gut, ausnahmsweise! Mach Platz!"
Robin berichtete, wie die Frau mit der komischen Straßenbahn in seinen Traum gefahren kam. "Ich konnte genau sehen, was du meinst mit dem Zahnrad-Muster auf der Straße. Aber die Frau lächelte mich eigentlich nur kurz an. Sie hatte ganz spitze Zähne und sagte: Sei nicht traurig! Mama hat bald ganz viel Zeit für dich! Ich fand die Frau ziemlich gruselig."
"Wirklich? Für mich war sie immer sehr sympathisch."

Robins Traum wollte Ruth den ganzen Tag nicht aus dem Kopf gehen. Normalerweise glaubte sie nicht an Traumdeutung oder ähnliche Dinge. Sie liebte einfach nur die Erinnerung an die wilden und verschiedenartigen Erlebnisse, die man in der Nacht hatte. An diesem Abend konnte sie fast nicht einschlafen. Immer wieder hörte sie den Satz ihres Sohnes: Wenn ich ehrlich bin, fand ich die Frau ziemlich gruselig. "Zum Glück ist Freitag, bevor ich morgen an dem Projekt weitermache, werde ich mich erst mal so richtig ausschlafen", dachte Ruth.

Sie merkte gar nicht, wann sie endlich aus dem Halbschlaf in den richtigen Traum hinüberglitt. Vor Ruth stand ein schwarzer, runder Sessel. Lustige Lichtschimmer zogen sich über die breiten Lehnen und den hochgewölbten Rücken. Neben ihr sagte ein alter Freund: Ich würde mich da nicht hineinsetzen!, aber eigentlich war sie müde und wollte sich nur ausruhen. Da kam ihr der Sessel gerade recht. Sie sank in das weiche Leder und vor ihr erschien das Gesicht der eigenartigen Frau. Sie lächelte Ruth freundlich zu, und Ruth versuchte, das Gesicht der Frau genauer zu studieren. Aber ihr fielen immer wieder die Augen zu. In den kurzen Augenblicken, in denen sie die Augen auseinander bekam, sah sie eigentlich nichts Abschreckendes. Da fielen ihr die Zähne wieder ein, aber die konnte sie nicht sehen, obwohl die Frau lächelte. Schließlich sank Ruth in einen traumlosen, tiefen Schlaf.

Als sie am nächsten Morgen aufwachte, fühlte sie sich frisch und ausgeruht. So gut hatte sie schon lange nicht mehr geschlafen. Noch nicht einmal die anstrengenden Morgenträume von der Arbeit und den anstehenden Aufgaben hatten sie unruhig hin- und herwälzen lassen. Genüsslich streckte sie sich und schlug die Augen auf. Aber sie lag nicht in ihrem Bett.
"Träume ich noch?", dachte sie. Es fühlte sich nicht an wie ein Traum.
Ruth hob ihre Hand, aber wo sie die Finger erwartete, war einfach nur ein spitz zulaufendes weiches Ende, das sie geschmeidig hin und herbiegen konnte.
Erschrocken sprang sie auf. Um sie herum schimmerte ein tiefes Schwarz. Farbige Lichtbögen durchbrachen die leuchtende Dunkelheit. Der Körper, in dem sie steckte, war ihr fremd. Ihr wurde schwindelig und sie verlor das Gleichgewicht.
"Wo bin ich?", dachte Ruth verzweifelt.

Ein Durchgang öffnete sich fast lautlos. Ruth wollte schon hindurchgehen, als sich plötzlich seltsame Gestalten hereindrängten, die sie freundlich angrinsten.
Sie alle hatten tentakelartige Gliedmaßen, mit denen sie wild herumfuchtelten. Erschrocken wich Ruth zurück. Die fremden Wesen kamen nicht näher, aber sie hörten auch nicht mit den Bewegungen auf. Es war ein stummes Schauspiel, eine Art Pantomime, nur dass Ruth die Bedeutung nicht verstand.
Als sie merkte, dass die Fremden ihr nichts Böses antun wollten, betrachtete sie das Ineinanderschlingen, die anmutigen Wellen und Kreisformen und das irre Wackeln mit den Tentakelspitzen genauer und die Denkstrukturen ihres geliehenen Körpers schlichen sich in ihre Gedanken. Wie ein Blitz durchzuckte sie plötzlich Verstehen, das sie die Körpersprache der Wesen deuten ließ.

Willkommen, bedeuteten die Fremden immer wieder. Ruth versuchte sich auch auszudrücken, erst noch unbeholfen aber schon bald merkte sie, dass sie das Wissen der Traumfrau, in deren Körper sie sich gerade befand, teilte.
Wie komme ich hierher?
Durch das Traumportal, das Riodignagika für dich geöffnet hat. Ihr beide habt für zwei Tage die Plätze getauscht. Schön, dass du den Mut hattest, dich darauf einzulassen!
Jetzt begriff Ruth. Das Wissen von Riodignagika durchdrang sie. Und sie ist jetzt wirklich in meinem Körper und verbringt den Tag mit Robin?
Diese Vorstellung machte Ruth Angst. Konnte sie der Traumfrau vertrauen? Und wie würde Robin damit umgehen, nach dem für ihn schrecklich Traum.

Es war aber nichts Bedrohliches in dem Wesen dieser Spezies und sie wusste nun auch, was sie sich von ihr wünschten. Mal sehen, was für Muster ich für Euch zaubern kann!, bedeutete Ruth.
Sie folgten den anderen hinaus auf ein schwarzes, unberührtes Feld, und begann sich in dem neuen Körper zu bewegen. Unter ihren Schritten entstanden Muster, die wie Lichtschlitze aus dem Schwarz hervorleuchteten. Sie fuhr in wunderschönen Schlangenlinien über einen dunklen Hügel und hinterließ Spuren in Rot, Orange und Gelb. Dann steppte sie durch ein Tal, geometrische Formen, zackige Spitzen in allen erdenklichen Farbkombinationen blitzen empor und tauchten die Umgebung in ein Flimmern und Glitzern ...

Der Wecker piepste. Ruth war sofort hellwach. Sie war immer noch erfüllt von der Freude, die das Zaubern der Muster in der fremden Welt in ihr geweckt hat. Voller Zuversicht schaute sie in den neuen Tag. Ein Blick auf die Uhr bestätigte, es war Montag und sie hatte tatsächlich ein Wochenende in einer anderen Welt verbracht. Wie die Tage wohl für Robin gewesen waren. Neugierig und begierig ihre eigenen Erlebnisse zu schildern, ging sie ins Kinderzimmer.
"Guten Morgen, Robin!", sagte sie und kraulte sein wuscheliges Haar. "Ich habe vielleicht etwas Irres erlebt!"

Letzte Aktualisierung: 24.02.2009 - 22.49 Uhr
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