Der Tod aus der Teekiste
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"Viele Autoren können schreiben, aber nur wenige können originell schreiben. Wir präsentieren Ihnen die Stecknadeln aus dem Heuhaufen."
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Überraschung | Februar 2009
Kleine Sprechrolle
von Katharina Joanowitsch

Der Anruf erwischt mich unterwegs im hektischen Gewühl eines Copyshops. „Hätten Sie Lust und Zeit am 15. Dezember eine Zeugenrolle bei Richterin Barbara Salesch zu übernehmen?“ Die zuversichtliche Munterkeit der Stimme im Handylautsprecher macht mich etwas fassungslos. Prompt verursache ich einen Papierstau. Und während ich mit geteilter Konzentration Kopien sortiere, werden mir ausführlich die Feinheiten der Rolle ins Ohr gezwitschert. Das Manuskript käme in zwei Tagen, danach sei noch eine halbe Woche Zeit, sich in den Text einzulesen. Ich sage zu, die Ernüchterung folgt in Schüben. Zunächst, als die Tochter entsetzt über die mögliche Blamage nachgrübelt, wohlgemerkt nicht meiner, sondern ihrer: Unmöglich, die eigene Mutter hampelt sich öffentlich vor der Kamera ab, es wird auf SAT 1 gesendet, wenn die Freundinnen davon erfahren, kreisch! Die nächste Ernüchterung folgt, als ich das Manuskript ausdrucke: Mit wachsender Panik zähle ich über siebzig Zeilen Text! Wie soll ich das bloß in meinen überschaubaren Hirnspeicher kriegen und dann in sinnvoller Abfolge wieder raus? Selber Schuld, feixen Mann und Tochter, schließlich hätte ich mich völlig freiwillig drei Monate zuvor durch eine Annonce beim Casting für kleine Sprechrollen beworben. Filmpool.tv führt mich seitdem in der Kartei.

14. Dezember. Während der vierstündigen Bahnfahrt geistert der Text über die dunkelnde Landschaft, spaziert in endlosen Schleifen durch mein Gehirn. Im Kölner Hauptbahnhof erwartet mich der Fahrer eines Filmpool-Wagens, bringt mich zu einem Altstadt-Hotel. In der fast leeren Hotelbar hauchen ein Saxophonist und ein Keyborder Weihnachtsliedern eine jazzige Note ein. Musik und Wein beflügeln mich so, dass ich später vor dem Zimmerspiegel bravourös meine Rolle hinlege. Punkt Neun am nächsten Morgen werde ich von einem Fahrer nach Hürth gebracht.
Langweilig wie Einkaufshallen hockt der Komplex der nobeo-Studios zwischen anderen gesichtslosen Industriegebäuden. Wenig spektakulär auch der Eingang mit schlichtem Schild Richterin Barbara Salesch. Nach kurzen Formalitäten lotst mich Hans, der verantwortliche Redakteur, durch klaustrophobisch enge Gänge bis zur Requisite. Davor fläzen sich Angeklagte und Zeuge 4 auf Plastikstühlen und warten auf ihre Einkleidung. Wir begrüßen uns flapsig, schon ganz in der Rolle. Zeuge 2 erscheint in der Tür zur Requisite, prachtvoll aufgemotzt mit Muskelshirt, Army Style-Hose und Springerstiefeln. Wir werden informiert, dass Zeugin 1 erkrankt sei, daher ein Springer sich in die Rolle einarbeiten muss, wir träfen uns dennoch gleich zum ersten Durchlauf. Die Requisiteurin hält mir prüfend eine graue Wollhose an, – ich stelle die Besitzerin eines Bastelladens dar –, eindeutig zu kurz, so darf ich in meiner Jeans bleiben. Das orange Twinset jedoch passt. Wenig später sitze ich in der Maske und sehe dem wachsenden Wunder eines aufblühenden Teints zu.
„Diese Wimpern sind eine Katastrophe.“, höre ich über mir die Maskenbildnerin murmeln.
„Was?“, rufe ich entsetzt. „Wieso?“
„Ach, das meine ich nicht persönlich, ist mir nur so rausgerutscht.“, behauptet die unentwegt Tupfende, was mich keineswegs beruhigt.

Der Fall: Im Rausch der Verzweiflung zertrümmert meine Freundin Nadine mit einem Cricketschläger aus meinem Gartenhaus die Wohnungseinrichtung einer verhassten Nachbarin, samt dem Terrarium des Lieblingstieres Anastasia, einer Boa-Constrictor. Redakteur Hans hat diesen hanebüchenen Fall geschrieben. Er übernimmt beim Probedurchlauf sämtliche Parts von Richterin und Anwälten. In der Runde bin ich der einzige Neuling und fühle mich, obwohl mit Abstand die Älteste, ziemlich kleinmütig. Nadine, Angeklagte, in diesem Fall meine junge Freundin, spielt bereits zum fünften Mal mit; Helge, Zeuge 2, Typ Schläger, ist zum vierten Mal dabei. Evelyn, die Springerin, ist ein alter Hase und fähig, sich den Text im Laufe eines Vormittags einzuverleiben. Als mein Part dran ist, blendet mein innerer Monitor jäh eine reinweiße Fläche ein, auf der nicht das kleinste Krümelchen Text zu finden ist. Ich hänge. Meine Stimme versteckt sich hinten in der Kehle und lässt sich nur mühsam herauslocken. Hans hilft geduldig,
treibt uns aber auch an: „Ihr müsst mehr Emotion zeigen, mehr Power, einfach mehr von allem. Besonders die erste Szene ist total wichtig. Da entscheidet sich der Zuschauer, bleibt er dran oder zappt er weg. Als Rechtsanwalt ist heute Uwe Krechel dabei. Kennt ihr? Bekannt für exzessive Abschweifungen. Der hat stimmlich Power. Da müsst ihr gegenhalten. Mitpowern. Auf geht’s!“
In der Pause wärme ich meine klammen Finger an heißer Suppe und bete meinen Part runter, als würde mir selbst Lebenslänglich drohen. Dann ein erneuter Durchgang. Hans entlässt uns mit Empfehlungen: „Du, Nadine, sei noch verzweifelter. Mensch, deine Existenz ist ruiniert! Du, Marianne, sei kämpferischer, du bist die Löwenmutter deiner zu Unrecht angeklagten Freundin! Du, Helge, sei wütender, lass dich nicht so einfach abschieben, sei lauter, wüte! Du, Evelyn, sei gnadenlos hochmütig, giftig und widerlich! Und du, Frank, musst einfach schneller sprechen, – aber sonst sieht es gut aus. Echt! Wir treffen uns in einer halben Stunde zur Studioführung.“
Vier Fälle pro Tag werden in nur drei Tagen abgedreht. Überall ist dieses angezogene Tempo zu spüren, geht aber nicht auf Kosten des Umgangstons, der ist lockerfreundlich. Auf den Monitoren des Studios sehen wir die letzten Minuten des ersten Falles. Während wir verkabelt werden, leert sich der Gerichtssaal von den eingeladenen Schulklassen, die als Zuschauer fungieren. In der nun verwaisten Gerichtssaalskulisse werden wir von einem Assistenten eingewiesen. „Passt auf! Geht einfach durch die Schwingtür geradeaus – nicht zurück gucken, was mit der Tür ist, kümmern wir uns drum – auf Stuhl und Tisch zu gegenüber dem Richtertisch, hinsetzen und loslegen. Nach der Szene, Abgang zur dahinter liegenden Stuhlreihe vor den Zuschauern. Alles klar?“
„Klar“, hauche ich beeindruckt.
Im Raum der Richterin ein Geplänkel zwischen Frank, Zeuge 4 und Anwalt Uwe Krechel, ein Wettbewerb um den dämlichsten Pullunder. Wir grinsen erleichtert. Als Barbara Salesch herein weht, stehen wir aufgereiht in der Abfolge unseres Auftritts. Heiter und flott begrüßt sie uns einzeln. „Sie hat gute Laune!“, raunt Hans uns zu. Offenbar eine wichtige Bedingung für glatten Durchlauf. Schnell wird uns noch eingeschärft, bei Hängern nicht selbst abzubrechen, sondern es der Regieanweisung aus dem Off zu überlassen oder auf Stichworte der Richterin zu warten. Draußen trampeln die neuen Schulklassen vorbei.
Nun werden wir Zeugen auf unsere Wartebank vor der Kulissentür gescheucht, einzig die Angeklagte sitzt jetzt an dem Einzeltisch in der Mitte, im Rücken die unruhigen Schulklassen. Die Aufnahmeleitung bittet um Ruhe. Wir paralysiert starre ich auf den Bildschirm, der uns die Aufzeichnung der Verhandlung in den Flur überträgt. Nach der Angeklagtenbefragung wird die erste Zeugin aufgerufen, dann der zweite Zeuge. Meine gefühlte Körpertemperatur sinkt bedrohlich, ein Tremor lässt meine Knie tanzen, die unausweichlich letzte Minute bis – . Der Assistent winkt mich zur Schwingtür. Jetzt. Muss. Ich. Die Tür aufstoßen, auf das heiter zugewandte Gesicht der Richterin zugehen, mich auf den Zeugenstuhl setzen. In meinem Kopf dröhnt der Anfangssatz, attackiert von einer Guerilla ungeordneter Zeichen. Da stolpere ich über keine-Ahnung-was, die Schwingtür schwingt zurück und trifft meinen Hinterkopf. Die Aufnahme lässt nicht abbrechen, lediglich schickt man mir einen Assistenten, der mich zum Stuhl begleitet.
Richterin: „Frau Nöck, Ihr Vorname ist Marianne, Sie sind 57 Jahre alt und wohnen in Köln. Was sind Sie von Beruf?“
Ich, Tonfall entgeistert: „Wie? Wer soll ich sein? Was soll das? Meine Brille!“
Richterin: „Sie führen einen Bastelladen, Frau Nöck, ist das richtig?“
Ich, Tonfall empört: „Einen Bastelladen? Wie kommen Sie auf die Schnapsidee? Und ich bin nicht die, also diese Dingsda. Nöck? Was für ein bescheuerter Name, möchte ich nicht geschenkt heißen. Wo ist meine Brille?“
Richterin, mit erhobenen Armen, an die Regie gewandt: „Wo habt ihr die denn aufgegriffen? Die ist ja völlig plemplem. So können wir nicht weitermachen. Klärt das mal und zwar hopphopp!“
Redakteur Hans hechtet an meine Seite, bewaffnet mit dem Manuskript – für mich nur ein wirres Bündel Papiere – in dem gewisse Stellen in pinken Überstreichungen hervorleuchten. Der Assistent kriecht durch den Gang und reicht mir eine verbogene Brille hoch. Die Schülerhorde hinter mir zischelt wie ein Hornissenschwarm. Die Regie bittet nicht mehr um Ruhe, sie brüllt. Mit Text kann ich nichts anfangen. Er scheint mir kyrillisch, ich entziffere nichts und sehe nur ein Flimmern.
Rechtsanwalt, zur Richterin: “Die hat sich den Kopf gestoßen, die hat ’nen Blackout.“ Zu mir gewandt: „Haben Sie Schmerzen, Frau Nöck, Kopfschmerzen?“
Staatsanwalt: „Was soll’s, eine Zeugin weniger, kommen wir also schneller zum Urteil.“
Richterin und Rechtsanwalt: „Also so geht’s ja nicht! REGIE!“
Ich, zum Rechtsanwalt: “Jawoll, Kopfweh, und schlecht ist mir, und, aber ich bin nicht die Nöck!“
Jetzt werde ich abgeführt, rechts und links ein kräftiger Druck, Gegenwehr zwecklos. Applaus brandet auf und als wir durch die Schwingtür kommen, ich noch den Kopf nach dem hilfsbereiten Hans verdrehe, schlägt mir ein Türflügel gegen die Stirn – und alles ist wie verrückt. Und ich denke, verflixt, was ist denn jetzt abgelaufen, das stand doch überhaupt nicht im Drehbuch.

© Katharina Joanowitsch 09

Letzte Aktualisierung: 22.02.2009 - 21.08 Uhr
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