Wellensang
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Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
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Überraschung | Februar 2009
Unterhaltung, sonst nichts
von Tanja Muhs

„Ich weiß nicht, wie ich hier gelandet bin“, sagt er, schĂŒttelt den Kopf, fixiert ihre HĂ€nde dabei, als habe der Taschenriemen, mit dem ihre Finger spielen, Interesse daran bekundet, ihm mit einer Antwort auszuhelfen.
K. lĂ€chelt, nickt als wisse sie, wovon er redet, fragt ihn nicht, wie lange er schon dort stehe, inmitten von Irgendwo, denn sie kann es sehen. Schweißperlen rinnen von seiner Stirn, haben sich in Salzseen ĂŒber den Brauen gesammelt.
„Du wartest wohl auf deinen Bus?“ fragt K. – man duzt sich auf Reisen - und er betrachtet sie fast verwundert, sonst nichts. „Schau, das ist doch sicher deines“, sagt K., bĂŒckt sich hinunter um es aufzuheben, das StĂŒckchen Fahrkarte, das der heiße Wind ĂŒber den wabernden Asphalt fegt.
„Nein“, sagt er, zu schnell, zu laut fĂŒr ihren Geschmack, denn wie kann er das mit solcher Inbrunst behaupten, wo er doch gerade noch bekundet hat, noch nicht einmal zu wissen, wie er hergekommen ist?
„Ja, natĂŒrlich, wie du meinst“, erwidert K., verletzt von Barschheit als Antwort auf Nettigkeit, und wendet sich zum Gehen. „Dann schönen Tag noch.“
Er rĂ€uspert sich, will wohl etwas erwidern, grĂŒĂŸt dann doch nur einen weiteren Wanderer, der vorĂŒbergeht, die Straße entlang durch die öde WĂŒste von Irgendwo. Etwas in seiner Stimme, vielleicht die unangemessene ÜberschwĂ€nglichkeit des Grußes, lĂ€sst sie in ihrer Bewegung innehalten, lauschen, auf den Unterton, der vermeintlich in ihr schwingt, doch der jetzt verschwunden ist, als die beiden ĂŒbers Wetter reden, als gĂ€bs sonst nichts zu sagen.

Sie dreht sich um, betrachtet die beiden und sieht erst jetzt, was ihr entgangen ist, als sie sich vor ihm hinunterbĂŒckte: Dass seine FĂŒĂŸe keine sind. Sie sind Asphalt, sonst nichts, zwei graue Klötze hinauf bis weit ĂŒber die Knöchel. Sie tritt heran, das GeplĂ€nkel um das Wetter begleitet jeden ihrer Schritte, doch ihre Augen scheinen nicht zu trĂŒgen, denn seine Klötze bleiben.

Als der, der laufen kann, endlich weitergegangen ist – das Wetter scheint genĂŒgend diskutiert, hat er die Blöcke nicht gesehen, hat er vielleicht gar keinen Blick darauf gerichtet, konnte deswegen erst recht kein Wort darauf verschwenden? -, erinnert sich K. ihrer Stimme, zeigt auf seine Asphaltbrocken. Sie fragt: „Wie bist du denn an die gekommen?“, doch er zieht nur die Schultern hoch und lĂ€chelt, sonst nichts, schaut noch nicht einmal dorthin, wohin ihr Finger zeigt. Vielleicht weiß er keine Antwort, vielleicht versteht er auch die Frage nicht.
„Jetzt ĂŒberleg doch mal. Wie bist du denn hierher gekommen? Warum stehst du hier? Hast du keine Angst, festgehalten in der Mitte einer Straße auf der jede Minute ein Auto kommen mag?“
Ein Weiterer kommt die Landstraße nun hinauf, bleibt stehen, schaut auf ihre noch immer ausgestreckte Hand und lĂ€chelt kundig, nickt ihm zu und wĂŒnscht viel GlĂŒck beim Brechen eines Weltrekords.
UnglĂ€ubig, fast beschĂ€mt ob ihrer Unkenntnis, fragt K.: „Ein Weltrekord worin? Im in der glĂŒhenden Sonne Stehen? Und der ist es wert, sein Leben dafĂŒr zu riskieren?“,doch er schaut nur traurig, schĂŒttelt dann den Kopf, als sei er unentschlossen, sonst nichts.

Ein kleines GrĂŒppchen wandert nun die Straße hinauf, kichernd und schwatzend, einige singen ein altes Kinderlied. Auf ihrer beider Höhe angekommen, bleiben sie stehen, entscheiden sich zur Pause, reichen eine Flasche Wasser durch ihre Reihen.
„Wer bist denn du?“, fragt eine Platinblonde und schaut ihn an, als sei er gerade aus dem Nichts dort aufgetaucht.
Er sagt: „Gestatten, F.“ und eine Schweißperle rinnt von seiner Oberlippe dabei, doch das ist nicht Grund genug, ihn in ihre Reihen aufzunehmen und ihm etwas Wasser anzubieten. Die Platinblonde flĂŒstert ihrer Freundin etwas zu und beide kichern keck.
Die Rote fragt dann: „Na, genießt du die Aussicht?“, und takelt mit ihren drallen BrĂŒsten vor ihm auf und ab. Doch er schaut nur, sonst nichts, also schnauben sie verĂ€chtlich, schultern ihre RĂŒcksĂ€ckchen, haken sich wieder ein und ziehen, Platinblond und Rot voran, singend weiter.

Als die Sonne sich fÀngt in den kleinen AnhÀngerchen ihrer RucksÀckchen, erinnert sich K. daran, dass auch sie eine Tasche bei sich trÀgt.
„Ich weiß nicht, warum du hier stehst und wer dir das hier angetan hat oder warum und, entschuldige, auch Wasser habe ich keines, aber vielleicht etwas anderes bei mir, das dir helfen könnte.“ Sie wĂŒhlt in ihrer Tasche herum, findet nichts Sinnvolles außer eines kleines Dings mit Stiel. Als sie es herauszieht, erkennt sie, dass es das HĂ€mmerchen ist, das in ihrer Tasche - die Taschen einer Frau - Jahr und Tag sein Dasein im Dunkeln fristete, ohne dass sie bis dato gewusst hĂ€tte, warum.
“Ich weiß, es ist nicht viel und wird nicht viel ausrichten, aber vielleicht kann ich damit ein klein wenig bewirken“, sagt K., zeigt wieder auf die Klötze. F. schaut an sich hinunter jetzt, erschrickt, als er zu erkennen scheint, worauf der Stiel des Hammers zielt.
„Magst du, dass ich es trotzdem versuche?“
Er nickt, murmelt: „Ich weiß nicht, wie ich hier gelandet bin“, immer wieder, sonst nichts, wĂ€hrend sie sich an die Arbeit macht und hĂ€mmert und klopft.

Sie reden nicht, zumindest nicht sie beide, nur mit den Wanderern, die vorbeifliegen wie Silhouetten, wechselt F. hin und wieder das eine oder andere Wort. GrĂŒĂŸe und GlĂŒckwĂŒnsche, Weltrekorde und Aussichten und ebenfalls seinen vermeintlichen Protest unterstĂŒtzende Beifallsrufe huschen an ihr vorbei wie Schatten, wĂ€hrend sie zu seinen FĂŒĂŸen hockt und hĂ€mmert im Schweiße ihres Angesichts. Manchmal wird es laut und eng, sie fĂŒhlt sich fast zertrampelt von den vielen FĂŒĂŸenpaaren, die sich um sie scharen, doch keiner ihrer Besitzer bietet Wasser oder Hilfe an. Als der Dutzendste Fuß sie – wohl unabsichtlich – trifft, werden Schmerz und Hitze unertrĂ€glich. Sie betrachtet ihre Arbeit, die Klötze haben erst wenig an Substanz verloren, dann schaut sie hinauf in sein Gesicht, das vor Schweiß jetzt trieft. F. redet, sonst nichts, zu ihr sagt er nichts, auch nicht jetzt, da sie zu hĂ€mmern aufgehört hat. Sie fĂŒhlt sich wie ein SchulmĂ€dchen, als sie den Finger hebt, um seine Aufmerksamkeit zu erhalten. Er blickt sie an, sonst nichts, die Umherstehenden schauen bös ob der so unnötigen Unterbrechung ihrer Unterhaltung.
„Entschuldige, wenn ich störe“, und sie kommt sich jetzt vor wie die Dumme, die aus der ersten Reihe, die wieder aufhĂ€lt, weil sie wieder nichts versteht, „soll ich dann jetzt aufhören?“
Er lÀchelt, sonst nichts.
Ihre Knie und Waden schmerzen so sehr vom Niederkauern in gebĂŒckter Haltung, dass sie sich entscheidet – ihm scheint eh nichts daran zu liegen, dass sie tut, was sie tut – sich die Beine zu vertreten. Als sie ein paar Meter gewonnen hat, hört sie, dass er den Faden wieder aufnimmt, weiterredet, als wĂ€re nichts geschehen, sonst nichts. Sie bleibt stehen, reibt sich die Waden, die genauso schmerzen wie ihre Wut – warum weiß er ihre BemĂŒhungen nicht zu schĂ€tzen? -, wie ihr MitgefĂŒhl – warum tut er nichts, außer mit solchen zu reden, die nur reden, sonst nichts? Die Sonne brennt, doch seine Worte sitzen wie in einem teuer inszenierten, billigen Werbefilm. Hin- und hergerissen zwischen Weggehenwollen und Stehenbleiben ereilt sie schließlich doch das schlechte Gewissen. „Er wird verdursten und ich werde Mitschuld daran tragen, denn ich habs gesehen und gewusst und allzu billigend und selbstgefĂ€llig in Kauf genommen“, denkt K. und geht zurĂŒck, das HĂ€mmerchen schwingend. So hĂ€mmert sie weiter.

Und sie hÀmmert, er redet, sie hÀmmert, lÀsst sich treten, tritt auf der Stelle. Er redet, unterhÀlt sich, sonst nichts. Zwischendurch lÀchelt er.

Sie hĂ€mmert, geht weg, kehrt zurĂŒck und hĂ€mmert, denn sein LĂ€cheln sagt, dass sie sich vom Blendwerk nicht blenden, nicht einfach den Kanal wechseln soll, weil sicherlich gleich doch das Eigentliche beginnt.
DarĂŒber wird es spĂ€t und spĂ€ter, ihre Arme werden lahm, Schwielen bedecken ihre Finger, der Werbefilm aber nimmt genauso wenig ein Ende wie der Wandererstrom, aus dem sich Menschentrauben, Unterhaltungen bilden.
Dunkler ist es inzwischen geworden, sie ist wieder einmal auf dem Weg ein StĂŒck die Straße hinauf, weg, weiter, weg. Sie schaut sich zu ihm um, er steht allein dort jetzt, zieht die Schultern hoch und lĂ€chelt. Alle Wanderer sind nach Haus gegangen, auch sie möchte nur noch heim nach all der unnĂŒtzen Plackerei, die nur mĂŒde gemacht hat, sonst nichts. Also lĂ€sst sie ihn stehen, froh allerdings, dass er wenigstens nicht mehr so schnell verdursten kann, jetzt, da die Sonne untergeht.

Plötzlich schießen zwei Scheinwerfer um die Biegung, der Bus, er kommt. Mit letzter Kraft lĂ€uft K. ihm entgegen, fingert an ihrem unverhĂ€ltnismĂ€ĂŸig kleinen Werkzeug, das so wenig auszurichten vermag, ruft: „Warte, ich komme. Die Klötze, bestimmt nur noch ein paar HammerschlĂ€ge“ und sie hat keine Angst, sie will nur helfen, etwas tun. F. zieht die Schultern hoch und lĂ€chelt, sonst nichts.


„Ich habe noch viel zu tun. Morgen ist auch noch ein Tag. Lass uns morgen reden.“, sagt F., steht auf und lĂ€chelt, zieht seine Schultern hoch, lĂ€sst sie sinken, nimmt eine gerade Haltung ein, zieht seine Jacke an und geht ein paar Schritte. In der TĂŒr bleibt er stehen, schaut sich um, sonst nichts, dann huscht er hinaus aus dem Zimmer, eingemauert in sich, ein Schatten seiner selbst.
„Ja, reden, sonst nichts“, denkt K. „nichts sagen“, ruft ihm hinterher: „Bis morgen dann um acht“, und lĂ€sst ihn gehen. Sie schĂŒttelt den Kopf, fragt sich, wie sie hier gelandet ist und fixiert ihre HĂ€nde dabei, als habe der Lichtschalter, vor dem ihre Finger schweben, Interesse daran bekundet, ihr mit einer Antwort auszuhelfen. Dann löscht sie das Licht, schließt die TĂŒre hinter sich, denn ihr Bus heim geht um kurz nach fĂŒnf.

Letzte Aktualisierung: 26.02.2009 - 08.58 Uhr
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