Der Cousin im Souterrain
Der Cousin im Souterrain
Der nach "Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten" zweite Streich der Dortmunder Autorinnengruppe "Undpunkt".
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berraschung | Februar 2009
Und nächstes Jahr Dubai
von Ingrid Gertz

Eleonore seufzte genervt. „Nicht der schon wieder!“
Sie hatte keine Lust auf das Gezeter, mit dem jetzt das Ende ihres ruhigen Vormittags eingeläutet wurde.
„Gertrud, komm schon!“ Eine schrille Stimme bahnte sich, lautstark ihrem miesepetrigen Besitzer vorauseilend, den Weg zum Schattendeck. Welch unausstehliches Timbre!
„Wie viele Liegen sind aufgestellt? Na? Acht, Gertrudchen, acht! Die reichen nicht für alle! Vier Sterne will dieser Seelenverkäufer haben? Ha! Ist doch kein Stück besser als ein vollgestopfter Flüchtlingsdampfer!“, meckerte der soeben auf Deck erscheinende Hubertus Hagedorn. Und vom Meckern verstand er was. „Wir müssen schnell sein, die Handtücher auslegen! Sonst können wir unser Schattenplätzchen vergessen. Die frühe Katze fängt den Vogel, nicht wahr?“
Hinter ihm kam, hochrot im Gesicht und schweißüberströmt, seine Frau Gertrud die Treppe herauf. Die Beiden waren zwei der vierundzwanzig Passagiere an Bord der „MS Lucky Queen“, die auf einer Nilfahrt den Atem der Geschichte schnuppern wollten.

Und Eleonore Skrodschik zahlte die Tour, nachdem sie zu etwas Geld gekommen war, auch ihrer Tochter Gertrud und deren nichtsnutzigem Gatten. Letzterem allerdings nicht so gerne. Sie mochte ihn schlichtweg nicht. Zu laut, zu aufgeblasen, zu rechthaberisch war dieser Hagedorn, eben einfach unangenehm. Was hatte ihre Tochter sich nur dabei gedacht, den mitzuschleppen? Gertruds kurze und tränenreiche Hagedorn-Episode war doch eigentlich schon vorbei und der Kerl Geschichte gewesen. Nachdem das Mädel bei diesem lausigen Versicherungsvertreter so ziemlich jeden Vertrag abgeschlossen hatte, den sie mit ihrem knappen monatlichen Salär bestreiten konnte, war er verschwunden. Und plötzlich saß Eleonores dumme, gutgläubige, verliebte Tochter ausgerechnet mit dem im Ehehafen.
Was war wohl der Grund für Hubertus' Kehrtwende gewesen? Dass ihr Trudchen nicht mehr jeden Euro einzeln umdrehte? Ja, das hatte er wohl sicher mitbekommen. Geld roch der doch meilenweit gegen den Wind. Vielleicht hatte Gertrud ihn ja auch mit der Nase draufgestupst, auf den neuen Geldsegen, die teure Lebensversicherung doch noch bei ihm abgeschlossen?
Jedenfalls war diese Nilreise nur für Mutter und Tochter geplant gewesen. Eleonore wollte mit eigenen Augen sehen, was bisher aus Büchern heraus ihre Fantasie gefüttert hatte.
Wie war doch gleich Hagedorns Kommentar gewesen? „Ägypten seh'n und sterben, was?“ Eine seltsame Methode, sich bei der Schwiegermutter beliebt zu machen.
„Also, ich kann schon auf mich aufpassen, mach dir bloß keine falschen Hoffnungen, mein Lieber! Ganz so schnell ist nicht geerbt!“
Andererseits konnte man denken, was man wollte, Hubertus wusste sein Geld zusammenzuhalten. Aus eigenen Mitteln hatte er zur Reise nichts beigesteuert, war für Eintrittskarten, Trinkgelder und sonstige Kleinigkeiten, die eben zusätzlich so anfielen, einfach nicht zuständig.

Die zuvorkommende Betreuung, welche Eleonore den ganzen Vormittag genossen hatte, war augenblicklich vorbei. Der Decksteward brauchte seine Aufmerksamkeit für die Hagedorns, denn Hubertus war kein Gast, der seine Wünsche gern zweimal anmeldete.
Nicht sehr groß, aber sportlich und drahtig war das „Hubertleg, wie Gertrud ihn nannte. Trotzdem er die Fünfzig schon überschritten hatte, zierte ihn volles, tiefschwarzes Haar. Ein schöner Kerl eigentlich, wenn das Innenleben doch wenigstens halb soviel hermachte wie der äußere Schein. Er passte ganz einfach nicht zu ihrer Tochter. Gertrud, Mittvierzigerin, war eine ruhige, freundliche Person mit lächelnden Augen und überragte ihren Hubertus fast um einen ganzen Kopf. Aber was ihre Statur anging, hätte sich seinerzeit wohl selbst Rubens geweigert, ihretwegen zum Pinsel zu greifen. Schnaufend versuchte sie, Anschluss an den Stechschritt ihres Gatten zu halten. Bei dieser Hitze war das kein einfaches Vorhaben, besonders wenn man schon ein ordentliches Pensum hinter sich wusste. Mit den anderen Reisenden war das Paar seit früh um fünf auf den Beinen gewesen, hatte bis in die Mittagszeit jedes verfügbare Grabmal im Tal der Könige abfotografiert.
Die an Bord bereitgehaltenen nassen Handtücher und der Pfefferminztee, mit denen man die Heimkehrer jetzt empfing, kamen Gertrud gerade recht.
„Danke“, krächzte sie gequält und ließ sich mit ihrer kühlen Stirnkompresse neben Eleonore in den Liegestuhl fallen. Hubertus deponierte sein mitgebrachtes Handtuch auf der Nachbarliege.
„Trudchen, dir macht die Hitze wohl ziemlich zu schaffen, aber du verstehst doch, dass man alles, was im Preis enthalten ist, auch mitnehmen muss? Wir sind in Luxor, nicht wahr, Trudchen? Da kommt man am Tal der Könige nicht vorbei! Und, Trudchen, wir haben schließlich für das alles bezahlt!“
„Nicht wir, Mutter hat bezahlt, Hubertle“, kam es entkräftet aus Gertruds Liegestuhl. „Das ist ja auch alles gut und schön“, Gertrud befreite ihre geschwollenen Füße aus den noch nicht eingelaufenen Wanderschuhen. „Ramses in mehrfacher Ausführung, Hatschepsut, Merenptah und weiß der Geier, wer da alles verbuddelt ist! Dann die halsbrecherische Kletterei zu Thutmosis drei. - Die stand doch überhaupt nicht im Programm!“ Stöhnend betastete sie ihre Füße. Blasen hatte sie sich gelaufen, dicke, schmerzende Wasserpolster an beiden Fersen. „Warum müssen wir in jedes verdammte Grabmal kriechen? Mein Kreislauf macht das nicht mit. Und das weißt du! Können wir es nicht etwas gemütlicher angehen? Uns hetzt doch keiner. Wenn das so weitergeht, schau' ich mir in Kürze die Radieschen von unten an, das willst du doch nicht, Hubertle, oder?“

Die „Lucky Queen“ hatte inzwischen abgelegt und nahm Kurs zur nächsten Station der Reise, Kom Ombo. Wohlig ermattet von den Strapazen und Erlebnissen des Vormittags, räkelten sich die Gäste teetrinkend und schwatzend auf dem beschatteten Deck.
Der Nil blinkerte schelmisch zu ihnen hinauf und die weiß leuchtenden Dreieckssegel zahlreicher Felukken kontrastierten malerisch mit roten, abrupt abfallenden Ufern und dem unglaublichen Blau des Wassers.
Das gefiel Gertrud. Sie blätterte selbstvergessen in ihrem Buch, schaute zwischendurch auf, genoss langsam vorbeiziehende Landschaften und die sanft streichelnde Brise des Fahrtwindes.
Hagedorn stolzierte vor Gertruds Liegestuhl hin und her, überschüttete sie und die anderen Gäste lautstark mit Informationen, die keiner brauchte: „Ja, meine Liebe, unser nächstes Ziel, Kom Ombo, hm, Doppeltempel, nicht wahr? Eine Seite für den Krokodilgott Sobek, die andere, nicht wahr, für den falkenköpfigen Haroeris. Höchst interessant sind auch die beiden Brunnen. Hat man früher als Nilometer genutzt, zu Zeiten der Pharaonen, nicht wahr, zur Messung von Überschwemmungen. Diese Schlitzohren, die alten Ägypter! Haben Wasserstandshöhen in Steuern umgerechnet, nicht wahr? Das nenn' ich doch kreative Steuerpolitik!“ Gewichtig wippte Hubertus mehrmals von den Zehenspitzen auf die Fersen, setzte dann seinen Marsch wieder in Gang. „Und verschrumpelte Krokodile sollen da auch rumliegen! Tot natürlich, meine Gute, tot!“ Gertrud spürte die befremdeten Blicke der Mitreisenden und hätte sich liebend gern verkrochen, unsichtbar gemacht. Sie nahm stattdessen das Buch als Schild, vertiefte sich still in ihre Lektüre und hoffte auf ein baldiges Ende der Hagedornschen Tiraden.

Morgens ging es dann gegen acht zum Tempel von Kom Ombo, der, kaum einen Steinwurf von der neuen Anlegestelle entfernt, am linken Nilufer thronte. Hubertus hatte sogar Eleonore zum Mitkommen überredet: „Na, sind doch nur ein paar Schritte, wenn's zuviel wird, sind wir doch da, Schwiegermütterchen! Du solltest dir das unbedingt ansehen.“
Und Eleonore hielt sich erstaunlich gut, als sie, eingehakt von Gertrud und Hubertus, zum Tempel mit den Krokodilmumien wackelte.
Später dozierte Hagedorn an einem der Brunnen gut hörbar über Wirkungsweise und Nutzen der Bauwerke. Die anderen Touristen strebten, blanken Selbstschutz im Sinn, zum entgegengesetzten Teil der Tempelanlage. Alles musste man sich schließlich nicht antun, es gab hier auch sonst genug zu sehen.
Gegen neun trieben verzweifelte Hilferufe die Ausflügler aus den Tiefen der Tempel zu den Nilometern.
„Hilfe! Helft ihm doch, schnell, bitte, tut doch etwas! Er wollte doch nur ganz genau die Markierungen zählen von dem Ding, diesem Nilometer!“, jammerte Gertrud. „Plötzlich war er weg! Einfach weg!“ Heulend und vollkommen kopflos, an ein aufgescheuchtes Huhn erinnernd, lief sie am Brunnen hin und her. Eleonore lag vor selbigem im Staub. Ihr war der Schrecken überdeutlich ins blutleere, bleiche Gesicht gezeichnet. „Ich muss einfach abgeklappt sein, sowas steckt man in meinem Alter nicht mehr so leicht weg.“, erklärte sie mit brüchiger Stimme dem Reiseleiter, der sich, mit einem Verbandskästchen bewaffnet und seinen Jahrzehnte zurückliegenden Rot-Kreuz-Lehrgang repetierend, um die Versorgung ihrer sturzbedingten Schürfwunden kümmerte.

Hubertus' lebloser Körper wurde von Einheimischen aus dem Brunnen geborgen.
Als ein eilig herangeschiffter Arzt den Tod offiziell bestätigte, standen die Wetten unter den Urlaubern neunzig zu zehn, dass die Untersuchung Genickbruch ergeben würde. Aber dafür bedurfte es nun wirklich keinerlei medizinischer Grundkenntnisse. Die Quote war schließlich so lächerlich, dass es an dieser Stelle keine Gewinner geben konnte.

Die wirklichen Gewinner reisten mit einem abwärts segelnden Schiff nach Luxor zurück, erledigten die Formalitäten und entschieden sich gegen kostenintensive Überführung eines sperrigen Sargs.

„Seebestattung, Kindchen! Davon hat doch das Hubertle immer so geschwärmt!“, lächelte Eleonore und spülte den staubigen Inhalt einer wunderbar verzierten Deckelvase durch die Toilette. „War doch gut, dass ich beim Abschluss meiner Police darauf bestanden habe, dass Hubertus sich selbst auch ordentlich versichert. Und nächstes Jahr leisten wir uns Dubai!“

Letzte Aktualisierung: 25.02.2009 - 10.48 Uhr
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