Honigfalter
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Überraschung | Februar 2009
Omelette surprise
von Barbara Hennermann

„Erhard!“
Die leicht schrille Stimme seiner Frau riss ihn hoch. Hastig wechselte er die Internetseite und begab sich auf den unverfänglichen Teil eines Zeitungsforums für Intellektuelle und solche, die sich dafür hielten. „Ja, Liebes? Ich sitze am Computer!“ Schon stand sie hinter ihm. „Musst du denn neuerdings ständig in diesem Ding da deine Meinung abgeben? Meinst du, das interessiert einen wirklich?“ Ihre Stimme klang säuerlich. „Für mich ist das Entspannung, Hildi. Und dir tut´s doch nicht weh, oder?“ Es fiel ihm nicht ganz leicht, seine Stimme ruhig zu halten. Immerhin schien sie zufrieden gestellt und ließ ihn unwillig schnaufend alleine.

Liebster Freund! Deine Mails sind die Sonnestrahlen in meinen dämmrigen Tagen. Fortuna muss die Hand im Spiel gehabt haben, dass wir uns im Äther begegnet sind …“

Ein Glück, dass Hildegard sich immer so lautstark bemerkbar machte. Nicht auszudenken, wenn sie ihn beim Lesen dieser Mails überrascht hätte!

Männer sind wie Schmetterlinge – taumeln von Blume zu Blume…Ich wäre gern DEINE Blüte mit dem unerschöpflichen Vorrat an Nektar, an dem Du Dich laben kannst …

Das Konto war mittlerweile beachtlich gewachsen, denn seit er Florine vor einigen Wochen über diese Kontaktanzeige aufgetan hatte, waren zahlreiche Mails ähnlichen Inhalts hin und her geflogen. Sprachlich ambitioniert wie er war, fand er anscheinend immer die richtigen Worte, denn Florines Mails wurden von Mal zu Mal inniger und leidenschaftlicher, was auch ihn wiederum beflügelte und Sätze finden ließ, die eine nie empfundene Romantik und starke Emotionen in ihm weckten. Sollte er, im Herbst seines Lebens, nun doch die Frau gefunden haben, die ihn verstand und ausfüllte? In ihren Mails drückte sie aus, dass er zum Mittelpunkt ihres Lebens geworden war. Anders als Hildegard, die ihn ständig fühlen ließ, dass er ihr nicht genügend bot und die ihn pünktlich mit ihren beginnenden Wechseljahren quasi vor die Tür gesetzt hatte. „Erhard, du wirst doch nicht von mir erwarten, dass wir in unserem Alter noch sexuelle Kontakte haben? Das ist wirklich vorbei!“ Er hatte sich dreingefügt, was war ihm anderes übrig geblieben? Aber sein Stolz war tief verletzt und er fühlte sich vollkommen im Recht, wenn er nun eigene Wege ging. Morgen würde er sie treffen. Florine!
Er loggte sich aus dem Programm aus und fuhr den Rechner herunter.

Sie hatte ein Lokal in Frankfurt vorgeschlagen. Das war für sie aus Offenbach wie für ihn aus Wiesbaden gleichermaßen leicht erreichbar. Hildegard hatte er erzählt, er müsse zu einer Tagung. So etwas kam öfter vor und sie schöpfte keinen Verdacht. Allerdings musste er ihr versprechen, sie bei seiner Ankunft anzurufen. Sie nannte das Sorge um ihn, er empfand es als ständige Kontrolle. Aber das ging bereits seit dreißig Ehejahren so, es plötzlich zu ändern, würde ihr Misstrauen wecken.
Das Lokal lag in einer Nebenstraße. Gedämpftes Licht erfüllte den Raum. Er sah sich suchend um. Florine hatte ihm ein Foto geschickt, das offensichtlich aus einem Passautomaten stammte und dessen Qualität unter dem Einscannen weiter gelitten hatte. Trotzdem erkannte er sie sofort, eilte klopfenden Herzens an ihren Tisch. Lange schwarze Haare umschmeichelten ihre klaren Gesichtszüge, die von veilchenblauen Augen beherrscht wurden. Langsam erhob sie sich. Ein klassisch geschnittenes Kostüm betonte ihren schlanken Körper. „Vor Aufregung wohl ein bisschen viel Schminke aufgetragen“, schoss es ihm geschmeichelt durch den Kopf. Der Eindruck wurde weggewischt, als er ihre Stimme hörte, zum ersten Mal diese rauchige Altstimme. „So bist du also wirklich gekommen, mein Liebster.“ Eine kurze, wortlose Umarmung folgte. Dann saßen sie sich am Tisch gegenüber, sahen sich nur in die Augen. Ihre geschriebenen Worte schlugen ein Band des Vertrauens, als würden sie sich schon ewig kennen. Die Bedienung trat an den Tisch, fragte nach den Wünschen, legte die Karte zurecht. Sie erwachten aus ihrer Betäubung. Florine lachte, ein dunkles, kehliges Lachen. „Dann wollen wir uns wieder dem realen Leben ergeben, mein Schmetterling!“ Sie sah die Karte durch, gluckste entzückt. „Sieh nur, es gibt hier Omelette surprise! Da muss ich nicht lange wählen.“ Als ihr die süße Köstlichkeit serviert wurde, beobachtete er verzaubert, mit welchem Genuss sie das knusprige Baiser zerteilte, das cremige Eis vom Löffel leckte – jeder Bissen ein erotisches Vergnügen auch für ihn, den Beobachter… Seine sonst so geläufige Wortgewandtheit löste sich im Überraschungsomelette auf, das sie mit großer Genussfähigkeit nach und nach vom Teller schleckte. Mechanisch leerte er seinen eigenen Teller, ohne wirklich wahrzunehmen, was er da eigentlich aß. Florine bezauberte ihn mit ihrem Geplauder, ihre warme dunkle Stimme überflutete sein Bewusstsein, er trieb in einem Meer der Glückseligkeit. Als er unvermittelt sagte „morgen kaufe ich mir ein Handy“, sah sie ihn fragend an. Er nahm ihre schlanken, kräftigen Hände in seine. „Liebes, ich möchte jeden Tag deine Stimme hören, dir näher verbunden sein.“ Sie lächelte verstehend, kramte einen Block aus der Handtasche und schrieb ihm ihre Handynummer auf. „Ich bin allerdings nicht immer erreichbar“, setzte sie hinzu.
Der Tag verlor sich ins Grau, als sie das Lokal verließen. Ein Kuss, leidenschaftlich trotz seiner Kürze, besiegelte das erste Treffen. Sie winkte zum Abschied, er sah ihr reglos hinterher.

„Erhard?“ „Ja, Hildegard?“ „Ach nichts.“
Was bewirken Gedanken? Es war ganz offensichtlich, dass Hildegard misstrauisch wurde. Er bemerkte, dass sie seine Taschen durchsucht hatte. Zum Glück lag das Handy gut gesichert in seinem Büroschrank, da kam sie nicht dran. Er hatte eine Telefonkarte gekauft, hinterließ keine Spuren, die sie finden konnte.

Du fehlst mir so!
Du mir auch, mein Engel!


Die Telefonate beschwingten ihn. Mails schrieb er nur noch aus dem Büro, Hildegard war nicht zu trauen. Sie bemerkte verschnupft, dass sich seine Arbeitszeiten neuerdings sehr in die Länge zögen. Er entgegnete verärgert, dass sie von seinem Geld nicht gerade schlecht lebte.

Liebst du mich denn wirklich? Wir haben uns schon so lange nicht mehr getroffen!
Hab Geduld, mein Engel! Ich kann es nicht riskieren, meine Frau noch misstrauischer zu machen. Sie würde einen Skandal heraufbeschwören, der auch dich mitrisse.


Wenn er es genau betrachtete, war er noch nie so glücklich gewesen wie jetzt. Sein geregeltes Leben bestand weiter fort, doch dessen Eintönigkeit wurde durch die Existenz Florines aufgebrochen.

Würdest du alles mit mir teilen wollen? Mich so nehmen, wie ich bin?
Liebste, die Zukunft liegt noch vor uns! So, wie du bist, bist du für mich einzigartig.


Vielleicht war es ja gerade diese Irrealität, die ihn an sie fesselte? Nichts, was die Beziehung belastete, kein Alltag, keine kleinlichen Streitereien. Ein Rausch der Worte … Sein Herz schwebte durch das Leben.

Können wir uns nicht endlich wieder treffen? Meine Sehnsucht nach dir ist unbeschreiblich! Tränen verdunkelten die Stimme am Telefon. Er musste sich etwas einfallen lassen.

Hildegards Stimme klang schrill. „Seit wann musst du geschäftlich alle paar Wochen nach Frankfurt? Willst du in deinem Alter noch Karriere machen?“ Er durfte sie nicht herausfordern. „Liebes, du weißt doch, wie die Zeiten sind. Da muss man auch in den Chefetagen Zugeständnisse machen. Ich denke nicht, dass es allzu oft vorkommen wird.“

Diesmal hatte sie ein Hotel ausgewählt.
Ich werde vor dir da sein, Liebster. Zimmer 170. Komm einfach rein, ich lasse die Tür angelehnt.“
Er wusste, was sie von ihm erwartete. Bangigkeit beschlich ihn, als er sich dem Zimmer näherte. Würde er, nach so vielen Jahren erzwungener Enthaltsamkeit, überhaupt im Stande sein…? Er stieß die Tür auf. Leise Musik empfing ihn, die Vorhänge waren geschlossen, unzählige Kerzen tauchten den Raum in warmes Dämmerlicht. Sie lag auf dem Bauch im breiten Doppelbett, die langen Haare ergossen sich über das Laken, mit dem sie bis zum Hals zugedeckt war. Erfreut spürte er, wie die Atmosphäre sich auf ihn übertrug, seine fast vergessene Manneskraft sich wieder zaghaft zu regen begann. Hastig zog er die Kleider aus, riss sich als letztes den Ehering vom Finger – Hildegard sollte diesen Augenblick nicht einmal fiktiv mit ihm teilen! – und warf ihn auf das Nachttischchen. Dann hob er vorsichtig das Laken und legte sich zu ihr, die regungslos abwartete. Behutsam fuhr seine Hand über ihren glatten, muskulösen Rücken, verharrte zärtlich auf den Wölbungen der kleinen, festen Pobacken. Sie stöhnte auf, umfing ihn mit dem rechten Arm, presste sich an ihn. Seine Hand tastete nach ihren Brüsten, griff ins Leere – Panik erfasste ihn. Er tastete sich weiter nach unten, erfasste ihr Geschlecht – d i e s e s Geschlecht – zuckte zurück - -
Mit einem Aufschrei flüchtete er aus dem Bett. Seine neu erwachte Männlichkeit sackte in sich zusammen wie ein geplatzter Luftballon, als er panisch seine Sachen vom Boden aufsammelte und aus dem Zimmer stürzte. Glücklicherweise war der Hotelflur leer und niemand beobachtete den Moment seines seelischen Waterloos. Florine – seine Blüte – ein Transvestit!

„Erhard?“ Hildegards Stimme klang mehr als säuerlich. Sie hatte die Mundwinkel zusammengekniffen und hielt ihm einen geöffneten Briefumschlag hin. „Das kam heute Morgen mit der Post:“ Er nahm den Briefumschlag, der an „Familie Erhard Freiberg“ adressiert war. „Kannst du mir das b i t t e erklären?“ Ihre Stimme wurde lauter und schriller. „Hast du mir nicht gesagt, du hättest deinen Ehering auf einer Toilette in der Autobahnraststätte liegen gelassen?“ Mit schweißnassen Fingern zog er aus dem Briefumschlag ein Rezeptblatt, auf dem verlockend appetitlich ein Omelette surprise abgebildet war. Sein Ehering sprang aus dem gefalteten Blatt, klirrte leise anklagend auf den Boden und rollte unter den schweren Eichenschrank, als wolle er sich vor dem, was nun folgen musste, in Sicherheit bringen …

Letzte Aktualisierung: 26.02.2009 - 00.04 Uhr
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