Der himmelblaue Schmengeling
Der himmelblaue Schmengeling
Glück ist für jeden etwas anderes. Unter der Herausgeberschaft von Katharina Joanowitsch versuchen unsere Autoren 33 Annäherungen an diesen schwierigen Begriff.
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Überraschung | Februar 2009
Unerwartete Erwartung
von Robert Poleschny

Die Türklinke bewegte sich mit einem leisen Quietschen Richtung Boden.
Dann kehrte die Stille der Nacht zurück. Ein Spalt entstand im Türrahmen, der im Sekundentakt immer größer wurde und die Sicht dahinter freigab.
Plötzlich, das nächste Geräusch. Die Scharniere der Tür fingen an zu singen. Mist.
Noch immer die Klinke heruntergedrückt, griff die andere Hand um die Tür herum und hielt sie auf der anderen Seite in dieser Position. Er wollte nichts riskieren. Jedes Geräusch war zu vermeiden, wenn diese Mission gelingen sollte.
Ächzend zwängte er seinen massigen Körper, der fast die Ausmaße eines Sumo-Ringers hatte, fast schon in Zeitlupe, durch die nun sehr enge Öffnung.
Geschafft
Ohne das leiseste Geräusch brachte er die Tür nun wieder in ihre Ausgangsposition.
Nur ein hin und wieder auftretendes Knacksen seiner Gelenke, so, als würden Zweige unter dem Gewicht eines Tieres brechen, und sein schweres Atmen waren noch zu hören.
Er wunderte sich, wie verstärkt die kleinsten Laute wirkten, wenn man darauf achtete.
Zwei Tagen hatte er überlegt, ob -und wie er diesen Coup bewerkstelligen sollte und bereute es nun ein wenig, sich darauf eingelassen zu haben.

„Ey Mann, mach dir mal keinen Kopf. Wenn die Leute erst einmal schlafen, dann schlafen sie.“

Das waren die Worte seines Kumpels Chris, die nun durch seinen Kopf geisterten und auf einmal nicht mehr ganz so schlüssig klangen. Er war derjenige, der ihn überhaupt erst auf diese Idee gebracht hatte. Sicher, schwierig war die ganze Aktion nicht. Trotzdem hatte er Muffensausen, da er so etwas zum ersten Mal tat und nicht wusste, was alles schief gehen konnte. Doch es half alles nichts. Der erste Schritt war getan. Nun musste er sich beweisen, dass er das durchziehen konnte, auch wenn er hier etwas Verbotenes tat. Er durfte sich nicht alles gefallen lassen.
Als er sich umdrehte, stellte er fest, dass sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten.
Schritt für Schritt, schlich er den langen Flur entlang. Er wusste genau, welche Richtung er einschlagen musste. Nachdem er ein paar Meter hinter sich gelassen hatte, merkte er, wie sein Atem langsam ruhiger wurde. Eine leichte Euphorie ergriff ihn und er hatte das Gefühl, dass sich das Risiko lohnen würde. Am Ende würde er befriedigt sein, mit einem Lächeln im Gesicht.
Während er weiterging und noch darüber sinnierte, merkte er fast zu spät, dass neben ihm die Tür aufging und jemand aus dem Zimmer trat.
Gerade noch rechtzeitig schmiss er sich mit dem Rücken an die Wand, hielt die Luft an und verfolgte mit Adleraugen, wohin das Mädchen ging. Hatte sie ihn bemerkt?
Zu allem Überfluss spürte er, wie sein Magen zu grummeln begann. Kurz darauf läutete ein Knurren das Finale der Verdauungsprozedur ein, das in dieser Ruhe ohrenbetäubend klang. Er fluchte lautlos vor sich hin, kniff die Augen zusammen und betete, dass dadurch nicht alles vermasselt war. Schweiß rann ihm über die Stirn und sein Herz raste mit gefühlten 120 Beats per Minute.
Das Mädchen schien nichts bemerkt zu haben, da sie ohne Verzögerung ins Bad ging und die Tür hinter sich schloss.
Hier konnte er auf keinen Fall stehen bleiben. Er musste sich beeilen, da jede Verzögerung sein Aus bedeuten konnte.
Mit schnellen Schritten ging er bis ans Ende des Flurs. Ein weiterer Abschnitt des Korridors lag nun vor ihm, an dessen Ende die schwachen Umrisse einer Tür zu sehen waren. Hinter dieser Tür verbarg sich das, was er am meisten wollte. Er spürte, wie seine Mundhöhle langsam anfing auszutrocknen, wie immer, wenn er aufgeregt war.
Wie lange würde es noch dauern, bis er das Objekt seiner Begierde in den Händen hielt? Ein neuer Schweißfilm bildete sich auf seiner Stirn, dieses Mal nicht aus Angst, sondern aus Gier. Er hoffte, dass die Unterbrechung, durch den nächtlichen Spaziergang dieser Göre, die letzte ihrer Art war. Er musste sich verstecken, so viel stand fest.
Als er noch darüber nachdachte, welche Möglichkeiten er hatte, um seinen fülligen Leib zu verbergen, hörte er auch schon das unheilvoll klingende Geräusch der Spülung und kurz darauf den Riegel der Toilettentür.
„So schnell?“, dachte er noch und hastete flink den Rest des Flures entlang. Gerade noch rechtzeitig öffnete er eine Tür, um in den Raum dahinter zu schlüpfen.
Er befand sich in der Besenkammer.
Durch die Lamellen, der nun wieder geschlossenen Tür, sah er, wie das Mädchen Sekunden später durch den Korridor wankte und sich immer wieder mit den Händen an den Wänden abstützte. Auf Höhe des Abstellraumes drückte sie gegen die Tür, hinter der er stand. Diese sprang sofort auf und schwang in den Flur.
Ausgerechnet jetzt meldete sich sein Magen ein weiteres Mal zu Wort. Sein Puls raste nun wie verrückt und er musste sich zwingen, ruhig zu atmen und nicht die Nerven zu verlieren. Zum Glück schien das Mädchen wie in Trance zu sein, da sie nichts bemerkte und unbeirrt weiterging.
Während er die Luft anhielt, streckte er die Hand nach vorn und griff nach der Tür. Dann zog er sie, mit den Fingern zwischen den Lamellen, zu sich heran, bis er das Geräusch der aufeinandertreffenden Magneten vernahm, die die Tür geschlossen hielten.
So, zu.
Nun musste er nur noch abwarten, bis die Luft wieder rein war.
Nach zwei Minuten hörte er, wie das Mädchen zurückkam. Er krallte seine Finger noch tiefer zwischen die Lamellen. Kurz darauf hörte er, wie die Tür des Zimmers ins Schloss fiel.
Er atmete tief ein und ein Seufzer der Erleichterung verließ seinen Körper.
Dann wartete er noch ein paar Sekunden und öffnete die Kammer.
Mit einem Schritt trat er zurück in den Flur und marschierte ohne weitere Verzögerung auf die Tür zu, die er seit gefühlten drei Stunden zu erreichen versuchte.
Endlich angekommen musste er schmunzeln. Er hatte es geschafft.
Nur noch ein paar Meter trennten ihn von dem, was er am meisten wollte.
Er war ein bisschen stolz und fragte sich, ob er doch ein besserer Dieb war, als er gedacht hatte. Dann öffnete er die Tür, trat hinein und drehte sich noch einmal um, da er sicher gehen wollte, dass er freie Bahn hatte. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und holte noch einmal tief Luft.
Sein Kumpel hatte recht behalten, so schwierig war es wirklich nicht. Sicher, er hatte ein paar Ängste ausstehen müssen und der Rückzug stand auch noch bevor, aber was war das schon, im Vergleich zu dem, was ihn jetzt erwartete?
Bedächtig öffnete er den Schrank, vor dem er nun stand. Er hoffte, dass er nicht lange suchen musste, da er es schnell hinter sich bringen wollte.
Tür auf, nehmen, was ihm gehörte, Tür wieder zu, verschwinden. Ganz einfach.
Voller Entsetzen blickte er in den erleuchteten Innenraum. Er musste feststellen, dass sein Plan an diesem Punkt nicht ganz so reibungslos verlief, wie er es sich ausgemalt hatte.
Dort, wo er das vermutete, was er sich seit Tagen am meisten wünschte, lag nur ein Zettel:

Schatzi, wenn du etwas naschen möchtest, komm wieder zu mir ins Bett!

Er schüttelte den Kopf.
„Das gibt es doch wohl nicht!“, murmelte er und schloss mit knurrendem Magen die Kühlschranktür.

Letzte Aktualisierung: 04.03.2009 - 15.16 Uhr
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