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Überraschung | Februar 2009
Urlaubsreif
von Kathrin Wischnath

Eigentlich ist man mit vierzig Jahren zu jung zum Aufhören. Situationen wie diese machten sie nachdenklich. In den letzten Jahren wurden die Flüge zum Problem. Seit einem Jahrzehnt war sie nun im Geschäft mit Mittelamerika, hatte einen ausgezeichneten Ruf. Wenn diese Flugreisen nicht wären, nichts spräche dagegen, weiterzumachen wie bisher. Aber Flüge gehörten nun mal zum Exportgeschäft dazu.

Es war ihre professionelle Haltung, die ihr zu einem schnellen Durchbruch verholfen hatte. Sie schaffte es von Anfang an, nur beste Ware im Angebot zu haben. Die Entscheidung, sich mit ihrem Sortiment auf die Bedürfnisse der mitteleuropäischen Oberschicht zu konzentrieren, hatte sie nie bereut. Der hohe Bildungsgrad und die damit einhergehende Diskretion machte ihre Kunden zu angenehmen Vertragspartnern. In den letzten Jahren hatten sie immer ausgefallenere Wünsche bezüglich der Beschaffenheit der Ware geäußert. Ulrikes Exotika erzielten dabei Höchstpreise, dieser Trend zog gerade erst so richtig an. Vielleicht sollte ich ihn noch mitnehmen, diese Welle noch auskosten . Wenn sie aus dem Fenster schaute, ließ sich die Enge in der Brust besser aushalten.

Im Allgemeinen genoss sie ihre Arbeit sehr. Die Kundenkontakte bedeuteten Austausch mit kultivierten Persönlichkeiten. Man traf sich zum Tee, besprach Vorstellungen, Wünsche, Lieferzeiten und Rücknahmekonditionen. Die gewählte Ausdrucksweise und der respektvolle Umgang, den man pflegte, waren der Grund, warum sie ihren Beruf liebte.
Höflichkeit und Diskretion waren Fremdworte für ihre Eltern gewesen. Eltern, die nie erwachsen wurden. Berufsdemonstranten, die kaum dazu in der Lage waren, emotionsfrei Argumente auszutauschen. Sie ließ die alten Bilder auf sich wirken. Die viel zu enge Wohnung, in der der Fußboden immer dreckig war. Eltern, die sie beim Vornamen nennen musste. Eine von vielen Peinlichkeiten, die ihre Mitschülerinnen nie verstanden. Damals hielt Ulrike Ökonomie für ein Schimpfwort und das Wort Erfolg hatte den Beigeschmack einer Krankheit. Erst spät wurde ihr klar, dass das Schicksal ihrer Eltern ein selbst gewähltes war. Das sie sich dafür entschieden hatten, ihre ganze Energie in sinnlose Weltverbesserungsprojekte zu stecken. Statt die Welt ihrer Tochter wenigstens ein bisschen zu verbessern.
Immer war zu wenig Geld da, um ihre grundlegenden Bedürfnisse zu erfüllen. Wie der Schwan im Entennest, das war der häufigste Satz ihrer Mutter, und in gewisser Weise hatte sie ja Recht damit.
Trotzdem war Ulrike froh, dass sie jetzt endlich ihren Frieden miteinander gemacht hatten. Und schließlich ist ja doch noch was aus mir geworden. Sie lächelte das kleine Bündel in der Tragetasche an. Es führte seine winzigen Hände an den Mund. Ulrike bat die Flugbegleiterin um warmes Wasser, zum Füttern hob sie die Kleine vorsichtig hoch. Das Mädchen war mit seinen drei Wochen die jüngste Passagierin an Bord. Ein Glück, dass die Kleine so unkompliziert war. Als Ulrike sie in die Tragetasche zurücklegte, schlief sie schon wieder.

Unterbezahlt, verunsichert, überfordert, titelte die Zeitung in ihrem Bericht über die deutschen Jugendämter. Ulrike war froh, dass man ihr damals gekündigt hatte. Ihre Managerqualitäten wurden dort nicht gewürdigt, heute hingegen gab ihr der Erfolg Recht. Erfolg, ein Wort, das ihre Kollegen im Jugendamt kaum buchstabieren konnten. Immer öfter war vom Versagen der Behörden die Rede. Das war eine Parallele zwischen Deutschland und Ulrikes Wahlheimat Guatemala. Mit dem Unterschied, dass sie dort kein Hamster im Laufrad der Bürokratie war.
Aus dem Nichts heraus hatte Ulrike ihr erstes Waisenhaus in der Hauptstadt aufgebaut. Seit Jahren gab sie Benefizveranstaltungen für die oberen Zehntausend. Die Gästelisten international, die Anzahl der Eintrittskarten limitiert. Mit eiserner Hand sorgte Ulrike dafür, dass der Erlös ausschließlich den Kindern zugute kam. Es gab hunderttausende von hilfsbedürftigen Kindern hier, die vor gewalttätigen Eltern geflüchtet, deren Eltern gestorben oder schwer erkrankt waren.
Erst letzte Woche hatte eine deutsche Zeitung ein Portrait über Ulrikes Arbeit gedruckt. Es war das erste Mal, dass ihre Eltern sie anriefen. Ihr alles Gute für ihr großes Engagement wünschten.

Sie döste vor sich hin, dachte an das weiße Haus am Meer,das sie sich vor ihrer Abreise mit Carlos angesehen hatte. Wir werden dort zusammen leben, dachte sie. Ulrike schrak hoch. Keinesfalls würde sie durch Emotionalitäten ihre stabile Balance aus Fleiß, Erfolg und Glück gefährden.
Sie suchte nach Argumenten, die gegen Carlos sprachen.
Vielleicht, dass er viel jünger war als sie? Blieb er nur bei ihr, weil sie reich war? Beide Ideen waren ebenso lächerlich wie unerheblich. Sie hatte kein Problem mit seiner Jugend. Er war schön und strotzte vor Gesundheit, zwei wunderbare Eigenschaften. Und wenn ihn ihr Geld lockte, das verstand sie. Aber der Mann war jeden Cent wert.

Kein Detail ihres Lebens fand er uninteressant, er erfüllte ihr jeden Wunsch noch bevor sie wusste, dass sie ihn hatte. Doch, es wäre wohltuend, jetzt seine warme, beruhigende Stimme zu hören. In seine Augen zu sehen. An den Sex mit ihm wollte sie gar nicht erst denken. Die Enge in ihrer Brust war kaum auszuhalten. Sie schloss die Augen. Es war an der Zeit sich für eine Weile aus dem Exportgeschäft zurückzuziehen. Es denen zu überlassen, die es noch nötig hatten, zu arbeiten.
Um dann mit Carlos in dem Haus am Meer wohnen und sich einfach mal verwöhnen lassen. Ulrike lauschte überrascht ihren eigenen Gedanken. Mal sehen auf wieviel Kinder wir es noch bringen. Er durch und durch Südamerikaner, absolut vernarrt in die Kleinen. Sie rief sich zur Ordnung, würde das ganz in Ruhe auf sich zukommen lassen. Schließlich hatte sie von allem im Überfluss. Geld, Macht und, wenn sie sich dazu entschied, das Exportgeschäft ruhen zu lassen, sogar Zeit. Und da sagen die Leute immer, Geld mache nicht glücklich.

Als Ulrike die Augen öffnete, sah sie Festland. Es war zu schade, dass sie die Flüge nicht vertrug. Schon jetzt ahnte sie, dass ihr Ausstieg aus dem Arbeitsleben nicht von langer Dauer sein würde. Gerade eben hatte sie die Idee gehabt, einen neuen, gewinnbringenden Zukunftsmarkt zu etablieren. Eine Erweiterung auf Ex- und Import bedeutete die gleiche Verdienstspanne bei halb so vielen Flügen.
Schließlich hatte auch Lateinamerika Bedarf an Exotika, deutsche Produkte genossen dort einen einwandfreien Ruf.
Wenn sie sich auf das erfolgsversprechendste Segment konzentrieren würde, wären ihr hohe Absatzraten gewiss. Gesund, blond und blauäugig müssten sie sein, dafür würden ihre südamerikanischen Kunden jeden Preis zahlen. Die Idee des neuen Marktes war wirklich gut. Auch die südamerikanische Upper Class kannte heute das Problem ungewollter Kinderlosigkeit. Erst studierten die Frauen, wollten das Leben genießen, dann machten sie Karriere und wunderten sich, wenn es mit 39 Jahren zu spät war. Was weiter kein Drama war. Denn für diese Fälle gab es Ulrike.
Im Prinzip hatte sie ihre Arbeit immer als Entwicklungshilfe verstanden. Kinder aus armen Familien bekamen eine echte Chance in Europa. Konnten in einer Umgebung aufwachsen, die ihnen alles bot, was sie für ein glückliches und erfolgreiches Leben brauchten.
Das würde in gleicher Weise für die deutschen Kinder gelten, die sie nur an die zahlungskräftigsten Kunden Lateinamerikas vermittelte. Die Meldungen über verwahrloste Kinder nahmen täglich zu. Statt dessen könnten diese Kinder als Wunschkinder zahlungskräftiger Eltern aufwachsen und bekämen eine erstklassige Ausbildung. Könnten ein Leben in Reichtum führen anstatt zum Sozialfall zu werden. Ulrike seufzte. Im Grunde ihres Herzens war sie wohl eben so eine Weltverbesserin geworden wie ihre Eltern.
Am schlimmsten waren immer die Minuten nach der Landung. Alle standen zu früh auf, verstopften die Gänge. Ulrikes Hand krallte sich an den Schlaufen der Babytragetasche fest. Sie war eindeutig urlaubsreif. Wenn sie diesen Auftrag zu Ende gebracht hatte, würde sie erst mal richtig lange ausspannen.
Geblendet vom Licht tastete sie nach der ersten Treppenstufe. Ein Mann eilte herbei und nahm ihr die Kleine ab. Ulrike war es peinlich, sie wirkte ungern hilfsbedürftig. Langsam schritt sie die Treppe hinunter, spürte den Wind in ihrem Haar und den Nieselregen. Als sie wieder Boden unter den Füßen hatte, kehrte ihre Souveränität zurück. Die Polizisten erkannte sie erst, als die Handschellen schon zuklappten. Panisch rang sie nach Luft. Einen Augenblick lang hatte sie das Bild einer engen Zelle vor sich gesehen, dann gewann sie ihre Fassung wieder. Sie würden sie nicht wegen eines kleinen Indigenamädchens einsperren. Die Papiere waren alle in bester Ordnung. Ulrike klärte die Polizisten über das Missverständnis auf. Als sie gerade mit der angemessenen Schärfe klar machte, dass sie ihnen die Folgen ihres rufschädigenden Verhaltens in Rechnung stellen würde, geschah etwas Überraschendes, nein, Unmögliches. Jemand, der Carlos verblüffend ähnlich sah, stand neben dem Polizeiauto. Ein dunkelhäutiger Mann, das Hemd halb offen, zeigte mit dem Finger auf sie. Ein widerliches Grinsen zerriss die Schönheit seines Gesichtes. Das konnte unmöglich Carlos sein.
Entschieden wandte sich ab. Jetzt war es notwendiger denn je, sich ganz auf die Realität zu konzentrieren. Ihr neues Projekt verschob sie spontan auf die Zeit nach dem Urlaub. Im Moment war offensichtlich nur eins wirklich wichtig: Sich endlich einmal eine richtig lange, arbeitsfreie Zeit zu gönnen. Die habe ich mir nun wirklich verdient.

Letzte Aktualisierung: 24.02.2009 - 20.13 Uhr
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