Der himmelblaue Schmengeling
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März 2009
Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen
von Janine Gimbel

Vom hartnäckigen Klingeln an der Haustür werde ich geweckt. Die Sonne strahlt zum Fenster herein und keine störende Wolke hängt am hellblau schimmernden Himmel. Ein Tag, um bis in die frühen Nachmittagsstunden hinein im Bett zu bleiben und ... Der Ton, der mich aus dem Schlaf gerissen hat, zwingt mich, mein warmes Plätzchen frühzeitig zu verlassen. Wer stört mich an einem Sonntagmorgen?
An der Tür angekommen, muss ich feststellen, dass es sich um einen Kinderstreich handelt, denn es steht niemand mehr dort. Bevor die Tür wieder ins Schloss fällt, schnellt etwas zwischen den Spalt. Ein Räuspern lässt mich verwundert nach unten sehen. „Bin ich hier bei Dormann?“, fragt eine Stimme, deren Ursprung ich erst nach einigem Suchen auf dem Fußabtreter lokalisiere. Dort steht ein Affe mit zottigen roten Haaren, in der Hand ein dunkles Köfferchen, welches er nach einem kurzen, bestätigenden Nicken meinerseits an meinen Beinen vorbei in den Flur hebt.
„W-was ...?“, stottere ich. Die Frage hängt unvollendet im Raum, ich weiß nicht, was mich mehr überrascht: Die generelle Tatsache, dass ein Affe in meinem Wohnzimmer steht, oder der Umstand, dieses Tier sprechen zu hören. Als wäre es selbstverständlich, trottet er auf meine neue Designercouch zu, sitzt wenige Sekunden später, seine Füße auf dem Beistelltischchen ausgestreckt, und schaut mich erwartungsvoll an. „W-was wollen Sie hier?“, beginne ich erneut, in der Hoffnung, meinen Satz diesmal zu beenden.
Als Antwort kassiere ich einen Blick, der sagen möchte: ‚Warum fragst du mich das?’ – falls das bei einem Affen überhaupt möglich ist! Vielleicht bilde ich es mir ein?
„Wissen Sie“, setze ich ruhiger an, „es passiert nicht alle Tage, dass ich solch hohen Besuch habe. Um es genau zu sagen, ist mir das noch nie passiert, dass ich die Tür öffne und davor kein Geringerer als ein Affe ste...“
„Orang-Utan. Pongo abelii, wenn du es genau wissen willst“, unterbricht das Tier mich und wechselt beiläufig zur vertrauten Anrede, als würden wir uns ewig kennen. „Du kannst mich Herbert nennen. Wir werden in den nächsten Wochen einige Zeit miteinander verbringen, da sollte das in Ordnung sein.“
„Herbert? Einige Zeit miteinander verbringen ...?“ Ich starre den Fremden mittlerweile ungeniert an. Es kommt mir nicht in den Sinn, warum ich mit diesem Wesen nur einen Tag verbringen sollte. Wie ein entfernter Verwandter, von dessen Existenz ich bisher nichts wusste, sieht er nicht aus. Ihn scheint das nicht zu stören, innerhalb weniger Minuten hat er sich in meinem Heim häuslich eingerichtet.
„Ist es zu viel verlangt, dass du mich bei dir aufnimmst? Ohne dich hätte ich noch ein eigenes Dach über dem Kopf. Davon hast du natürlich nie etwas gehört!“
„Ich soll dafür verantwortlich sein?“ Mittlerweile traue ich meiner Wahrnehmung nicht mehr, halte alles für einen schlechten Scherz, ja, ich warte geduldig auf das Team mit den Fernsehkameras, welches für seine Aufzeichnung an diesem Nachmittag eine bisher dürftige Show geboten bekommt und sicher gleich hinter meinem Sofa hervorspringt.
Der Affe – Verzeihung, Orang-Utan – spielt weiterhin mit, aus ernsten braunen Augen, die tief in seinem dunklen Gesicht liegen, blickt er mich an. „Du bist es doch, der den Regenwald zerstört“, platzt es aus ihm heraus. „Der mir und meiner Familie den Lebensraum raubt, das Bett in den Bäumen klaut. Jeden Prozess auf Schadensersatz sollte ich problemlos gegen dich gewinnen. Glaub mir, es ist kein Zuckerschlecken, wenn du von dem Ort, dem Wipfel, in dem du geboren wurdest, vertrieben wirst.“
Sein haariger Finger ist anklagend auf mich gerichtet. Im ersten Moment weiß ich nichts zu meiner Verteidigung entgegenzubringen. Mein Gegenüber bringt das kaum aus dem Konzept, mit geübten Bewegungen öffnet er das kleine Köfferchen und hält nach kurzer Suche triumphierend ein Mobiltelefon in die Höhe. Ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, tippt er eine Nummer ein, wartet auf das Freizeichen und beginnt sogleich aufgeregt zu erzählen. Während ich das Gehörte verdaue, unterbricht er sein Telefonat für einen Moment, um eine Nachfrage an mich zu stellen: „Wie ist deine Adresse?“
„Warum?“
„Meine Frau und meine Kinder wissen nicht, was sie dem Taxifahrer sagen sollen.“
„Die sind auch hier?“ Panisch schweift mein Blick durchs Zimmer. Kameras entdeckte ich weiterhin nicht.
„Natürlich, sie sind soeben gelandet und warten am Flughafen.“ Er wendet sich wieder dem Gespräch mit seiner Frau zu und lotst sie mit den Kindern ebenfalls zu meinem kleinen Domizil in der Gartenstraße. Herausfordernd hebt er danach das Handy in die Höhe. „Bist du neidisch? W595 – das Neuste auf dem aktuellen Markt. Zu irgendetwas muss euer Fortschritt schließlich gut sein. Wenn du mir jetzt einen Toast schmierst, könnte ich mich dazu überreden lassen, es dir einige Minuten auszuleihen – vorausgesetzt, du bezahlt die Rechnung.“
„Toast? Ich dachte, ...“
„Du solltest nicht so viel denken“, kommt die bissige Antwort, „nur weil die euch im Fernsehen vorgaukeln, wir würden auf Bananen stehen, muss das nicht richtig sein. Du scheinst wirklich keine Ahnung zu haben.“
Diese Behauptung ist, das gebe ich zu, gar nicht weit hergeholt. Mein Weltbild gerät völlig aus den Fugen. Ein haariger Primat hockt auf meiner Couch und behauptet, ich habe sein Haus zerstört, weshalb er sich bei mir einnisten wolle. Dabei kann ich nicht mit Sicherheit sagen, wo dieses Tier ursprünglich wohnt. Dass ich ihm seinen Lebensraum geraubt haben soll, erschließt sich mir nicht. Zu weiteren Überlegungen bleibt keine Zeit, die Türklingel unterbricht diese mit ihrem schrillen Ton.
„Das müssen meine Frau und die Kinder sein.“ Lässig legt der Orang-Utan seine Beine übereinander, streckt mir die schwieligen Füße entgegen und sieht mich herausfordernd an. „Machst du auf?“ Gehorsam trotte ich in den Flur, während es erneut schellt. In meinem Inneren bricht eine Horrorvision herauf: die Affenfamilie, mindestens vier kleine Kinder, in meinem Haus. Noch wenige Meter trennen mich von der Haustür, als ...

... ich schweißgebadet in meinem Bett nach oben schnelle. Die Sonne strahlt zum Fenster herein und keine störende Wolke hängt am hellblau schimmernden Himmel. Ein Tag, um bis in die frühen Nachmittagsstunden hinein im Bett zu bleiben und ... Der Ton, der mich aus dem Schlaf gerissen hat, zwingt mich doch, mein warmes Plätzchen frühzeitig zu verlassen. Wer stört mich an einem Sonntagmorgen?

Letzte Aktualisierung: 26.03.2009 - 21.38 Uhr
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