Futter für die Bestie
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Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten-
Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
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März 2009
Und führe uns nicht in Versuchung
von Eva Fischer

Ihr Lächeln verspricht dir ewigen Frühling.
Ihre schlangenhaften Leiber möchten sich um deinen schmiegen.
Die Fäden der Stoffe sind gesponnen
Aus schöpferischen Ideen.
Sie wechseln die Farben.
Heute lila, morgen schwarz, übermorgen rot.
Folge ihrem Rhythmus, frage nicht!
Ihre Lippen säuseln dir klangvolle Worte zu:
Prada, Gucci, Escada, Benetton, Lacoste, Zara…
Lass dich verführen, frage nicht.
Die Pforten ihrer Tempel stehen dir offen.
Den Preis willst du wissen?
Dollar, Yen, Euro, Pfund.
Wanderer, du bist angekommen,
in der Großstadt,
die tausendfach lockt.
Doch sei auf der Hut!
Du wirst die Schatten der Schönen nie erreichen.



Die Fußgängerampel schaltete auf Grün. Wider Erwarten stoppte Jana ihre Schritte, denn sie hatte etwas entdeckt, das ihre Aufmerksamkeit erregte. Ihre schlanke Silhouette spiegelte sich in den großen Scheiben des Schaufensters wider. Marco, der schon einen Schritt auf die Fahrbahn gesetzt hatte, folgte ihren Blicken. Es war klar, Jana hatte ein Schuhgeschäft entdeckt.
„Guck mal, Marco, sind das nicht coole Timberland-Schuhe?“ Nicht, dass Jana nicht schon jede Menge cooler Schuhe besaß, aber es gab immer noch coolere. Okay. Marco wusste Bescheid. Die nächsten Ampelphasen würden umsonst auf sie warten. Er schaute sich das Modell an, für das Jana sich begeisterte und schielte unauffällig auf die neusten Herrensportschuhe.
Es war Sonntag, und so war es vollkommen ungefährlich, wegen Schuhen in Trance zu geraten.
Am Ende wartete eine Latte Macchiato auf ihn. So konnte er sich von Janas Enthusiasmus erholen.
Bei Starbucks fanden sie später einen gemütlichen Platz auf dem schwarzen Lederimitatsofa.
Jana schlug ihre Beine übereinander, die in den mittlerweile klassisch gewordenen Pretty Woman-Stiefeln steckten. Sie trug braune Strickstrumpfhosen passend zur Farbe der Stiefel. Mit ihrem Minirock sah sie ganz schön sexy aus, fand Marco, während er genüsslich an seinem Kaffee schlürfte.
„Morgen ist wieder AG. Hast du deinen Aktenvortrag schon vorbereitet?“, erkundigte sich Jana. Oh Mann, musste sie ihn daran erinnern. Diese Frauen mit ihrem Eifer nervten ihn manchmal total. „Nö, habe ja noch Zeit“, hörte er sich souverän sagen.
Großer Fehler. Das merkte er sofort. „Also, Marco, wann willst du den Vortrag denn machen?“
„Nach einem schönen Mittagessen beim Italiener mit dir“, versuchte sich Marco zu motivieren. „Na gut, einverstanden, aber ich muss erst noch zur Sparkasse, Geld ziehen, ich bin im Augenblick blank.“ Marco verstand diese Situation nur zu gut. Als Referendar musste er auch mit 800 Euro im Monat auskommen und in dieser großen Stadt lauerte die Versuchung überall. Marcos Leidenschaft galt allerdings der Musik, und so wie Jana kaum an einem Schuhgeschäft vorbeigehen konnte, so faszinierten Marco CD-Läden. Man konnte zwar schon vieles im Internet herunterladen, aber er bevorzugte die silbernen Scheiben, die er anfassen konnte. Auch von Designermöbeln schwärmte er wie Jana von Designerklamotten. Er träumte von vier neuen roten Stühlen für seine Küche, Modell Palocco. Er hatte sie schon bei Habitat für 145 Euro das Stück gesehen. „Wir haben eben einen erlesenen Geschmack“, frotzelten sie manchmal und hofften, dass das große Geld noch käme.

Der Vorraum der Stadtsparkasse, in der die Geldautomaten standen, war leer, als ihn die beiden betraten. Jana tippte ihre Geheimzahl ein. Marco schaute sich inzwischen die Angebote der Häuser und Eigentumswohnungen an, in bester Lage, zu astronomischen Preisen. Plötzlich hörte er Jana ausrufen: “Oh, cool! 200 Euro!“
Marco verstand sie nicht sofort. Was war cool an 200 Euro, die sie gerade von ihrem Konto abgehoben hatte?
„Da steckten schon 200 Euro drin“, erläuterte Jana. „Du meinst, da hat jemand vergessen, das Geld mitzunehmen?“, versuchte sich Marco Klarheit zu verschaffen. „Genau.“ Liebevoll zählte sie die Scheine. „Hey, das ist Diebstahl, wenn du das Geld jetzt behältst.“ „Diebstahl?“
„Ja, § 242 StGB. Wer eine fremde bewegliche Sache einem andern in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“, rasselte Marco herunter.
„Wo kein Kläger, da kein Richter“, konterte Jana, „außerdem ist das doch eher eine Unterschlagung, du Möchtegernjurist.“ „Aber es gibt eine Kamera.“ Jana schaute entsetzt auf das gläserne Auge an der Wand. Sie nahm die 200 Euro und hielt sie Big Brother vor die Nase. „Ich hatte nie die Absicht, dieses Geld zu behalten! Das ist alles nur ein Irrtum!“
„Das ist eine Kamera und kein Mikrophon“, klärte Marco sie auf. „Die können nicht hören, was du da faselst.“ Jana fing an, hysterisch zu lachen. „Willst du das Geld nicht haben?“ Großzügig überreichte sie ihm die Scheine. „Du bist wohl verrückt! Meinst du, ein vorbestrafter Jurist bekommt noch einen Job? Nein, meine Liebe, das ist dein Problem, das musst du lösen!“ „Und, hat Doktor Oberschlau eine Idee?“ „Wir können jetzt gehen und so tun, als ob wir nie hier gewesen wären.“ „Und die Kamera?“
Richtig, die Kamera, es gab ja leider einen Zeugen. „Die Kamera funktionsuntüchtig zu machen, bringt jetzt auch nichts“, bemerkte er kleinlaut. „Ist dir vielleicht aufgefallen, dass wir hier hinter Glas stehen und jeder sehen kann, wenn du an dem Ding herumfummelst. Außerdem löst das bestimmt einen Alarm aus. Auf so eine Idee sind schon andere vor dir gekommen. Bravo, Herr Rechtsanwalt in spe, Ihre kriminelle Energie reicht dazu aus, die zukünftigen Verbrecher gut zu verteidigen.“
Beide schauten aus ihrem gläsernen Käfig und hofften, der eigentliche Besitzer möge um die Ecke kommen und sie könnten ihm vor laufender Kamera das Geld zurückgeben, bekämen vielleicht noch einen Finderlohn oder zumindest anerkennende Worte.
Die Straße blieb leer. Es war Sonntagmittag und offensichtlich brauchte keiner Geld außer Jana und der ominöse Fremde, der noch nicht einmal bemerkt hatte, dass sein Portemonnaie leer geblieben war. Plötzlich hatte Jana eine Idee. „Wird das Geld nicht nach einer Weile eingezogen, wenn es keiner nimmt?“ „Du hast es aber bereits genommen.“ Diese Logik war entwaffnend. „Mensch, Marco, was machst du da? Warum läufst du jetzt herum? Du machst mich ganz nervös.“ „Ich bin halt kamerascheu. Habe mich heute nicht so gut rasiert.“ „Hör auf mit den blöden Witzen!“
Doch Marco kam mit einem Briefumschlag in der Hand zurück, den die Sparkasse für Überweisungen bereit gestellt hatte. „Da stecken wir jetzt das Geld rein und schreiben das Datum drauf und dass es sich um einen Fund handelt und werfen es in den hauseigenen Briefkasten.“
„Das machen wir aber vor der Kamera“, verlangte Jana.
„Klar, meine Heldin!“ Marco drückte ihr einen Kuss auf den Mund.
„Jetzt habe ich wirklich Hunger bekommen. Lass uns zu Alfredo gehen. Der hat die beste Pasta weit und breit.“
Erleichtert verließen sie den Tatort. Die Pasta schmeckte wie immer vorzüglich, aber Marco musste bezahlen, denn Jana war immer noch blank. Sie hatte vergessen, 200 Euro abzuheben, eigene, versteht sich.

Letzte Aktualisierung: 06.03.2009 - 08.28 Uhr
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