Madrigal für einen Mörder
Madrigal für einen Mörder
Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
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März 2009
Unerwartete Erwartung
von Robert Poleschny

Er drückte die Türklinke abwärts. Das Quietschen, das sie von sich gab, zwang ihn jedoch, innezuhalten. Die Stille der Nacht kehrte zurück. Im Sekundentakt schob er die Tür auf. Plötzlich, das nächste Geräusch. Die Scharniere fingen an zu singen. Mist!
Mit der freien Hand langte er ums Türblatt herum und fasste die herabgedrückte Klinke von der anderen Seite. Er wollte nichts riskieren. Jede akustische Schwingung war zu vermeiden, wenn diese Mission gelingen sollte.
Ächzend zwängte er seinen Körper, der fast die Ausmaße eines Sumo-Ringers hatte, durch den Schlitz.
Geschafft!
Ohne das leiseste Geräusch brachte er die Tür in ihre Ausgangsposition.
Nur das gewohnte Knacksen seiner Gelenke, ähnlich dem Brechen kleiner Zweige unter dem Gewicht eines Tieres, sowie das schwere Atmen in seiner Brust, waren zu hören.
Er wunderte sich, wie verstärkt die kleinsten Laute wirkten, wenn man darauf achtete.
Zwei Tage hatte er überlegt, ob und wie er diesen Coup bewerkstelligen sollte, und bereute es bereits, sich darauf eingelassen zu haben.

„Ey Mann, mach dir mal keinen Kopf. Wenn die Leute erst einmal schlafen, dann schlafen sie.“

Das waren die Worte seines Kumpels Chris, die durch seinen Kopf geisterten, aber in diesem Moment nicht mehr ganz so schlüssig klangen. Er war derjenige, der ihn überhaupt erst auf diese Idee gebracht hatte. Sicher, schwierig war die ganze Aktion nicht. Trotzdem hatte er Muffensausen.
Es half nichts. Der erste Schritt war getan. Nun musste er beweisen, dass er das durchziehen konnte, auch wenn er hier etwas Verbotenes tat. Er durfte sich nicht alles gefallen lassen.
Schritt für Schritt schlich er den langen Flur entlang. Seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt. Nach ein paar Metern wurde sein Atem ruhiger. Ein Anflug von Euphorie ergriff ihn, das Risiko würde sich lohnen. Am Ende würde er befriedigt sein, mit einem Lächeln im Gesicht.
Während er weiterging und darüber sinnierte, merkte er fast zu spät, dass neben ihm ein Zimmer geöffnet wurde und jemand auf den Flur heraustrat.
Gerade noch rechtzeitig schmiss er sich mit dem Rücken an die Wand, hielt die Luft an und verfolgte mit Adleraugen, wohin das Mädchen ging. Hatte sie ihn bemerkt?
Zu allem Überfluss spürte er, wie sein Magen zu grummeln begann. Kurz darauf läutete ein Knurren die Zwischenstation der Verdauungsprozedur ein, das in dieser Ruhe ohrenbetäubend klang. Er fluchte stumm vor sich hin, kniff die Augen zusammen und betete, dass dadurch nicht alles vermasselt wurde. Schweiß rann ihm über die Stirn und sein Herz raste mit gefühlten 120 Schlägen pro Minute.
Das Mädchen schien nichts registriert zu haben, da sie ohne Verzögerung ins Bad ging und die Tür hinter sich schloss.
Hier konnte er auf keinen Fall stehen bleiben. Er musste sich beeilen. Jede Verzögerung konnte sein Aus bedeuten.
Schnell ging er durch den Gang. Ein weiterer Abschnitt des Korridors lag nun vor ihm, an dessen Ende die schwachen Umrisse eines Durchgangs zu erkennen waren. Seine Mundhöhle verwandelte sich vor Aufregung in ein ausgetrocknetes Flussbett. Nur der Regenschauer, der hinter dieser Passage lag, konnte seine Dürrezeit beenden.
Die erste Schweißperle bildete sich bereits auf seiner Stirn. Für seinen Bedarf jedoch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die Gier nach dem Wolkenbruch wurde immer größer.
Er hoffte, dass die Unterbrechung, durch den nächtlichen Spaziergang dieser Göre, die letzte ihrer Art war. Er musste sich verstecken, so viel stand fest.
Als er noch darüber nachdachte, welche Möglichkeiten er hatte, um seinen fülligen Leib zu verbergen, hörte er auch schon das unheilvoll klingende Geräusch der Spülung.
`So schnell?´, dachte er noch und hastete flink den Rest der Diele entlang. Gerade noch rechtzeitig öffnete er eine Tür, um in die Besenkammer zu schlüpfen.
Durch die Lamellen sah er, wie das Mädchen Sekunden später schlaftrunken durch den Korridor wankte und sich mit den Händen an den Wänden abstützte. Auf Höhe des Abstellraumes drückte sie gegen die Tür, hinter der er stand. Diese sprang sofort auf und schwang in den Gang.
Ausgerechnet jetzt meldete sich sein Magen ein weiteres Mal. Sein Puls raste wie verrückt und er musste sich zwingen, ruhig zu atmen und nicht die Nerven zu verlieren. Zum Glück schien die Kleine wie in Trance zu sein. Sie ging unbeirrt weiter.
Während er die Luft anhielt, streckte er die Hand aus, griff nach dem Knauf und zog ihn zu sich heran. Mit Erleichterung vernahm er die aufeinandertreffenden Magneten, die das Kabuff geschlossen hielten.
So, zu!
Jetzt musste er nur noch abwarten, bis die Luft rein war. Aus der Küche hörte er Geklirre, welches vermuten ließ, dass das Mädchen seinen Durst löschte.
Nach zwei Minuten kam sie zurück. Er krallte seine Finger tiefer zwischen die Lamellen und vernahm kurz darauf, die ins Schloss fallende Tür ihres Zimmers.
Er atmete tief ein und ein Seufzer der Erleichterung verließ seinen Körper.
Ein paar Sekunden wartete er noch, dann öffnete er die Kammer.
Mit einem Schritt trat er zurück in den Flur und marschierte ohne weitere Verzögerung auf den Durchgang zu, den er seit gefühlten drei Stunden zu erreichen versuchte.
Endlich angekommen, musste er schmunzeln.
Er war stolz darauf, ein besserer Dieb zu, als er gedacht hatte. Ein letztes Mal sah er sich um. Er wollte sicher gehen, dass er freie Bahn hatte. Aufgeregt rieb er sich die Stirn, holte noch einmal tief Luft und trat ein.
Sein Kumpel hatte recht, so schwierig war es wirklich nicht. Sicher, er hatte ein paar Ängste ausstehen müssen und der Rückzug stand noch bevor, aber was war das schon, im Vergleich zu dem, was ihn jetzt erwartete?
Ruckartig öffnete er den Schrank, vor dem er nun stand. Er hoffte, dass er nicht lange suchen musste, um es schnell hinter sich zu bringen.
Aufmachen, nehmen, was ihm gehörte, wieder zu machen, verschwinden! Ganz einfach!
Entsetzt blickte er in den erleuchteten Innenraum. Von wegen reibungslos!
Nur ein Zettel lag dort. Sonst nichts.

Schatzi, wenn du naschen möchtest, komm wieder zu mir ins Bett!

Er schüttelte den Kopf, nahm die Notiz und zerknüllte sie.
„Das gibt es doch nicht!“, murmelte er und schloss mit knurrendem Magen den Kühlschrank.

Letzte Aktualisierung: 17.03.2009 - 21.04 Uhr
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