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April 2009
Ein feiner Kerl
von Tanja Muhs

Sie streicht das Tischtuch glatt. Trautes Heim, Glück allein. Zuhause. Sie ist noch da und war es immer, immer da, wenn jemand etwas braucht. Jetzt sind es nur noch zwei, denkt sie und wischt sich eine unterdrückte Träne aus dem Augenwinkel, Brigitte, die kommt nicht mehr heim, jetzt da sie arbeitet. Meine Große heiratet im Mai, denkt sie, da waren’s nur noch zwei. Das Nest wird langsam leer, leer und kalt und fremd, fremd, wenn einer fehlt, wenn einer nach dem anderen geht. Doch sie ist noch da und Ursula und Hanno werden gleich aus der Schule heimkommen. Ach, Mina, mein kleines Minchen, sagt Jakob oft, du bist schon ein Mütterchen, aber es ist richtig so. Es ist dein Verdienst, wenn alles blitzt und blinkt, wenn unser kleines Zimmer Heimat wird. Ja, es ist nur ihr Verdienst, denn er ist auf Arbeit den ganzen Tag, bringt das Geld nach Hause. Jetzt steht Mina auf, streicht das Tischtuch glatt, bevor sie zum Küchenschrank hinüber geht, es ist Zeit, die Kinder werden hungrig sein. Wo ist der Topf nur wieder hin? Hier ist er nicht, dort auch nicht, Mina zieht die Brauen kraus. Haben die Kinder ihn genommen? Hanno wird sie die Ohren lang ziehen, wenn er wieder Frösche darin wohnen lässt, denn sie braucht den Topf zum Kochen jetzt. Wart nur, ich sag’s dem Papa, wenn er heimkommt, wart nur ab, du Lausebengel. Ist es nicht seltsam, denkt sie, während sie weiter durch die Küche streift, wie sich alles ändert, wenn man nach etwas sucht? Der Blick wird neu, sehr Vertrautes wird so fremd auf einmal, wenn man mit geschärftem Auge etwas sucht, das man so dringend braucht. Die Uhr dort auf dem Schrank, ist die nicht neu? Sie hat sie niemals wahrgenommen, vielleicht hat Jakob sie gekauft, vielleicht erst gestern, wollt sie überraschen damit. Ach, Jakob, für so einen Unsinn haben wir doch kein Geld, auch wenn wir nur noch vier sind und nicht fünf. Und hast du nicht gesagt, wir wollen bald umziehen, in ein größeres Haus in einer anderen Stadt? Sie schüttelt den Kopf. Da hätten wir das Geld für diese dumme Uhr doch sicher besser nutzen können. Ein Dummkopf bist du, Jakob, aber du bist ein feiner Kerl. Und die Gardinen am Fenster? Ja, es sind wohl ihre und sauber sehen sie aus. Wann hat sie sie gewaschen? Sie kann sich nicht erinnern, aber wohl sicherlich vor kurzem, denn sie wäscht sie regelmäßig. Ach, was ein Kreuz, wenn man den Topf sucht, kann man sich nicht auch noch erinnern, wann der letzte Waschtag war, obwohl man’s wissen müsste. Jetzt wird Mina böse, die neue Uhr zeigt Viertel vor zwölf, der Schrank steht voller Plunder, den sie nicht brauchen kann. Ein Dummkopf bist du, Jakob, dass du mir Dinge in die Küchenschränke stellst, die zum Kochen nicht taugen. Was soll das Schüsselchen, für das du anderweitig keinen Platz gefunden hast? Was ist in der Flasche da, der neue Aufgesetzte, selbstgebrannter Schnaps? Typisch, denkt sie, typisch und wo ist mein Topf? Da klopft es an der Türe. Ein neuer Nachbar muss es sein.
„Guten Tag, Frau Pawlicki, ich habe bis draußen gehört, dass sie dort drinnen in Ihren Schränken rumoren. Suchen Sie etwas? Kann ich Ihnen vielleicht helfen?“
Ein gut erzogener junger Mann denkt sie, und so freundlich. Aber hat der junge Mann denn keine Frau? Nein, so gekleidet wĂĽrde Jakob nie das Haus verlassen, dafĂĽr wĂĽrde sie schon sorgen, ein Flecken prangt da auf seinem weiĂźen Hemd.
„Guten Tag, Herr...“ Unangenehm ist ihr, dass der nette, junge Mann versäumt hat, sich ihr vorzustellen, so streicht sie eine Strähne aus ihrem Gesicht und wartet, höflich lächelnd.
„Ach, entschuldigen Sie bitte, ich vergaß“, sagt er und fährt sich ebenfalls durchs Haar, „Schneider, Martin Schneider.“
„Sie sind dann wohl der neue Nachbar, ja?“, sagt Mina. „Schön, ich begrüße Sie herzlich in unserem Haus. Auf gute Nachbarschaft. Danke, dass Sie fragen, aber Sie können mir nicht helfen. Meine Kinder kommen gleich von der Schule heim, ich bin in Eile. Ich suche meinen Topf und kann ihn nicht finden. Sie wissen, wenn man Kinder hat und Ehemänner, ist nichs an seinem Platz.“
„Vielleicht kann ich Ihnen trotzdem helfen“, Herr Schneider lächelt, „Vier Augen sehen mehr als zwei.“
„Nein, mein Mann wird es nicht befürworten, wenn ich Sie einlasse, so freundlich Sie es auch meinen mögen. Ich kenne Sie doch gar nicht.“
„Was kann er schon dagegen haben, wenn ich Ihnen ein bisschen unter die Arme greife. Ich möchte Ihnen ja nur helfen. Na, kommen Sie schon, vier Augen sehen mehr als zwei.“
Nein, denkt sie, nein. Ach, Jakob, du bist ein Dummkopf, dass du darauf hörst, was die Leute sagen. Vertraust du mir nicht? Kennst du mich so wenig, dass du es glauben musst, wenn andere dir sagen, ich empfänge Herrenbesuche? Ach, Jakob, du bist ein feiner Kerl, aber was für ein Dummkopf du manchmal bist.
„Was wird Ihr Mann wohl sagen, wenn er erfährt, dass Sie den Topf nicht finden konnten und Ihre Kinder Hunger hatten?“
„Bös wird er sein, in manchen Dingen kennt er keinen Spaß“, entfährt es dir, „doch er ist ein feiner Kerl, ein feiner Kerl.“
Herr Schneider lächelt, als wüsste er das. Vielleicht hat er Jakob schon kennen gelernt, draußen im Garten, wenn er Brombeerwein aufsetzt, wenn er von der Arbeit heimkommt. Wenn er Jakob kennt, dann kann sie ihn ja einlassen, denn dann kann er ja die Wohnung seines Freundes sehr wohl doch betreten. Mina tritt zurück hinein, Herr Schneider folgt und schreitet gleich zur Tat.
„Hier haben Sie schon geschaut?“ Er öffnet Schrank- um Schranktür. „Hier bestimmt auch? Und hier?“
„Aber natürlich, ja.“
„Setzen Sie sich mal ruhig, Frau Pawlicki, Sie können mir auch vom Tisch aus auf die Finger schauen.“
Mina setzt sich an den Küchentisch, streicht das Tischtuch glatt, nervös ist sie. Was wenn auch er den Topf nicht findet? Was wenn er nach Hause kommt, Jakob, früher als sonst? Wie soll sie ihm erklären, was der fremde Mann dort in der Küche tut? Warum sie den Topf nicht findet? Ach, Jakob, du bist ein feiner Kerl, aber warum bist du so bös, wenn du hinauf kommst aus dem Garten mit einem Fläschchen Aufgesetztem, wenn ich riechen kann, dass du davon schon getrunken hast, wenn du siehst, dass ich geweint habe und deine Socken noch immer ungestopft im Nähkorb liegen? Warum erkenne ich dann nur einen Fremden in deinem vor Wut verzerrtem Gesicht?
Mina streicht das Tischtuch glatt, wischt sich nicht mehr zu unterdrückende Tränen aus den Augenwinkeln. Da klopft es wieder an der Tür. Herr Schneider ruft „Herein“. Eine fremde Frau, sie mag vielleicht Anfang fünfzig sein, steht auf der Schwelle.
„Darf ich vorstellen, Frau Pawlicki, das ist Brigitte.“
Brigitte kommt näher, ergreift Minas beiden Hände, weint mit ihr, hemmungslos. „Ach, Minchen... Mutter....Mutter...wein doch nicht. Es wird alles gut.“
„Er war ein feiner Kerl, ein feiner Kerl, der gute Jakob, ein feiner Kerl.“

Letzte Aktualisierung: 14.04.2009 - 23.53 Uhr
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