Der langsame Tod kann grausam sein.
Unaufhaltsam zwingt er mich, mein ganzes Dasein noch einmal zu durchleben.
Die Innenseiten meiner Lider müssen als Leinwände für meine eigene Biografie herhalten, während der rote Teppich für die Premiere ausgerollt wird. Vorhang auf.
Doch ist dieser Film oscarreif? Ich wage es, zu bezweifeln.
Spannend, herzergreifend und witzig sollte er sein.
Hauptdarsteller, die es ermöglichen, sich mit ihnen zu identifizieren, waren gefragt.
In meinem Streifen war nichts davon zu sehen. Alles für’n Arsch.
Filme meiner Art, haben nie die großen Preise abgeräumt.
Nur das Finale, das war grandios.
Doch dafür kann es nur einen Preis geben:
Eine Fahrt in die Hölle, die darauf wartet, meine Tat zu büßen.
Alles begann mit einem Ring ...
... den mir Ben zu unserem Fünfjährigen geschenkt hatte. Er hatte den Fingerreif selbst entworfen und anfertigen lassen. Mit Sicherheit war er ein Vermögen wert. Ich liebte dieses Schmuckstück vom ersten Moment an.
Ihr könnt Euch denken, wie unglücklich ich war, als ich entdeckte, dass ich dieses Kleinod verloren hatte. Ich rannte durch die Wohnung, wie ein Junkie auf der Suche nach seinem nächsten Schuss, krempelte alles um, was mir in die Quere kam, kroch in jede noch so kleine Ecke. Alles half nichts. Der Ring war verschwunden.
Ich machte mir schwere Vorwürfe. Wie konnte ich nur so leichtfertig sein? Schließlich verkörperte er das Wichtigste in meinem Leben. Ben.
Ein paar Wochen später sollte sich alles aufklären.
Ich hatte gerade eine neue Stelle als Putze angenommen. Das Haus lag in der besten Gegend der Stadt, und Susan, die Hausherrin, war eine Frau, die nie vergessen hatte, wo sie herkam und dass wir alle Menschen sind.
Die Zeiten der herablassenden Worte und der sklavenähnlichen Verhältnisse schienen vorbei zu sein. Seit Langem hatte ich wieder das Gefühl, dass das Glück auf meiner Seite stand.
Mir lag zwar immer noch der Verlust des Ringes schwer im Magen, aber was sollte ich tun? Er war nun einmal unauffindbar. Ich musste mich damit abfinden.
Dann kam der Tag, an dem mich Susan durchs Haus führte, um mir alles zu zeigen.
Ich war mächtig beeindruckt, von dem exklusiven Ambiente.
Alles war vom Feinsten, aber geschmackvoll und schlicht, ja fast schon avantgardistisch.
Nicht dieser überladene Stil, bei dem man sich fragt, ob moderne, junge Menschen so etwas wirklich geil finden, nur weil so ein raffgieriger Inneneinrichter freie Hand hatte. Nach dem Motto, hässlich aber sauteuer.
Sprich, ich habe mich vom ersten Moment an sehr wohl gefühlt, da es genau meinem Geschmack entsprach.
An diesem Tag sah ich Susan das vorletzte Mal.
Wir hatten vereinbart, dass sie die Schlüssel zukünftig bei der Nachbarin hinterlegt. Das war mir ganz recht. So kam ich nie in die Verlegenheit, unter Beobachtung, meiner Arbeit nachzugehen.
Ich mache meine Arbeit wirklich gut. Doch ich möchte sie in Ruhe und ungestört verrichten.
Dann war es soweit, mein erster Tag in dieser luxuriösen Villa.
Ich war aufgeregt, wollte alles richtig machen. Dieser Job war wichtig für mein Ego und für meine Beziehung mit Ben.
Ich hatte es satt, morgens aus dem Haus zu gehen, um erst spät abends, wenn Ben schon schlief, wieder zu Hause zu sein. Endlich konnte ich die anderen Tätigkeiten an den Nagel hängen, da ich hier genug verdiente. Ich war bereit alles zu geben.
Hätte ich geahnt, wie hoch der Preis werden würde, ich hätte dankend abgelehnt.
Ich schloss die Eingangstür hinter mir und lehnte mich dagegen. Mit geschlossenen Augen und einem Lächeln im Gesicht atmete ich tief ein, um die Luft der Reichen in meinen Lungen zu spüren.
Dann ging ich an die Arbeit.
Wie ich vermutete, war dieser Job nicht übermäßig anspruchsvoll. Die Frage, warum ich benötigt wurde, ging mir immer wieder durch den Kopf. Susan schien selbst oft den Putzfeudel zu schwingen, sodass nicht viel für mich übrig blieb. Mir war es nur recht. Wer beschwert sich schon über leicht verdientes Geld? Ich nicht!
Dann überkam mich die Neugier. Ich lief gerade das x-te Mal an dem Zimmer vorbei, das Susan bei der Besichtigung ausgelassen hatte.
Ich hatte die Anweisung, diesen Raum nicht zu putzen, aber von nicht hineinsehen, war nie die Rede gewesen. Ich vermutete, dass der Raum sowieso verschlossen sein würde, doch dann gab die Tür den Blick in den Raum frei. Leider konnte ich mich nicht beherrschen und trat ein.
Ich stand in einem Saal und kam mir vor, wie Alice im Wunderland, nichts schien mehr real.
Der Raum war durchflutet von einem Licht, das so rein war, wie das weißeste Weiß, das man sich vorstellen kann.
Im Kontrast dazu gab es abstrakte Bilder an den Wänden, die das moderne Flair unterstrichen.
Rote Farbkleckser in sämtlichen Variationen zierten unzählige Leinwände, die ringsherum angebracht waren.
Für die grünen Akzente waren Pflanzen aller Art zuständig.
Dazwischen vereinzelt riesige Volieren, mit den exotischsten Vögeln.
Ein Gefühl von Dschungelexpedition machte sich in mir breit, da die Atmosphäre keine andere Empfindung zuließ. Als wäre das nicht genug, stand in der Mitte des Raumes das Bett. Es hatte die zehnfachen Ausmaße eines üblichen Bettes und war mit einem Baldachin aus weißem Tüll überspannt. Ich hätte mich am liebsten hineingelegt, um nie wieder aufzustehen.
Dann wehte eine leichte Brise durch den Raum, welche die filigranen Vorhänge der Fenster auf und ab tanzen ließ. Ein Blick nach draußen offenbarte mir den großzügig angelegten Garten, der an einem verträumten See endete.
Ich war wie berauscht von den vielen Eindrücken und musste mich setzen.
Ich ließ ich mich auf dem Bett nieder und schloss die Augen.
Das alles war zu viel für mich.
Nach ein paar Minuten ging es mir besser. Ich stemmte mich aus dem Bett und dabei fiel mein Blick auf den Nachttisch. Darauf stand ein kleines gerahmtes Bild, das Susan zeigte, wie sie einen Kussmund in Richtung Fotograf warf.
Davor lag, einsam und verlassen mein Ring.
Mit einem Mal war ich von oben bis unten durchgeschwitzt und mein Herz schien auszusetzen.
Ich schnappte nach Luft und hatte das Gefühl gleich durchzudrehen.
Konnte es wirklich sein? Die Wahrheit traf mich wie ein Schlag. Ja, es war Wirklichkeit. Habe ich mich eben noch gefühlt, wie in einem Traum, wurde ich nun von der Realität überrollt. Von einem Augenblick zum nächsten war Ben fremd für mich geworden.
Jetzt sitze ich auf einem Stuhl und warte darauf, das Motiv für meine Schlussszene zu bekommen.
In der einen Hand halte ich einen Revolver und in der anderen eine blitzende Klinge, während das Leben Tropfen für Tropfen aus meinen Armen weicht.
Vor mir, auf dem Bett, liegen zwei leblose Körper.
Ben, den ich glaubte, zu kennen und eine Frau, von der ich nur den Namen wusste.
Das Weiß des Zimmers steht nun auch im Kontrast mit dem Rot, das auf der Bettwäsche und dem Boden verteilt ist. Es scheint, als hätten sich die Gemälde in den Raum ergossen.
Nach einer Weile lasse ich den Revolver fallen und den Kopf nach vorne sinken.
Das Schlussmotiv rutscht aus meinem Blickfeld.
Ich warte auf den Anfang des Films, während der rote Teppich unter mir immer größer wird. Leider warte ich vergebens ...
Letzte Aktualisierung: 14.04.2009 - 10.20 Uhr Dieser Text enthält 7178 Zeichen.