Der himmelblaue Schmengeling
Der himmelblaue Schmengeling
Glück ist für jeden etwas anderes. Unter der Herausgeberschaft von Katharina Joanowitsch versuchen unsere Autoren 33 Annäherungen an diesen schwierigen Begriff.
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April 2009
Namen
von Thomas Lisowsky

„Wir sind unsterblich“, sagte der Schwarze. Die Goldringe in seinen Lippen glänzten wie Honig, und bei den Worten schob er die Perlen einer Kette durch seine Hände. Das Gitter ratterte vor ihnen nach oben.
„Ich weiß nicht, wie ich heiße“, sagte der ohne Namen und suchte Hilfe bei den geschlossenen Augen des Schwarzen. Wenn sie eines nicht waren, dann unsterblich.
„Also soll ich es wissen, ja? Woher willst du einen Namen haben? Du warst noch nie da draußen.“
Draußen, auf dem Sand, auf den die Sonne glühte und ihn weiß machte, als wäre er Schnee.
„Aber einen Namen brauche ich doch.“
„Wozu einen Namen für jemanden, von dem niemand weiß, ob er nicht in den ersten Sekunden zerrissen wird? Sag selbst.“ Der Schwarze ließ die Perlen los, sie schepperten an seiner nackten Brust. Nur die Hüften wurden von einem Fetzen Leinen umhüllt. Er hob die Axt mit den zwei Schneiden vom Rücken und zog sie hinter sich durch den Sand, hinein in die Arenasonne. „Du bist der Fremde.“
Der Namenlose eilte hinterher. Wie die Sonne kitzelte, nach all den Tagen der Kälte und Nässe in den Kerkern. Das Johlen der Menge brandete aus den steinernen Rängen zu ihnen herunter.
„Aber was ist mit den anderen?“, rief der Namenlose dem Schwarzen zu. In der Helligkeit leuchtete seine Haut wie Obsidian. „Haben die Namen? Die da oben? Haben die auch hier unten gestanden?“
„Du fragst zuviel, Fremder. Nimm deine Waffe.“
Er drehte sich um. Waffe? Woher? Das Gitter zum Kerkereingang fuhr wieder herunter und schloss ihm den Weg ab.
„Gut“, hörte er den Schwarzen über dem Grölen der Menge, „du hast keine. Dummheit, wo du doch so versessen auf einen Namen bist.“
Dann hieb die Axt neben ihm in den Sand und blieb schräg darin stecken. Er bedeckte die Augen vor der Sonne. Der Schwarze ließ den Axtgriff los und nickte ihm zu.
„Das ist nicht mehr als eine Leihgabe, bis ich dir etwas anderes besorgt habe.“
Der Namenlose hob die Axt auf. So schwer, dass er damit kaum einen Schlag würde führen können.
Zwanzig Meter weiter tat sich das Gitter in der gegenüberliegenden Arenawand auf und ließ vier Schatten nach draußen. Weiße Männer, denen Gitterhelme die Gesichter verdeckten. Sie reckten Dreizacke und Lanzen in die Höhe, und die Stimmen des Publikums in den Rängen hoben sich.
„Wer sind sie?“, fragte der Namenlose. Er griff die Axt mit einer Hand am oberen, mit der anderen am unteren Ende. So konnte er wenigstens parieren.
„Muss dich nicht interessieren. Nur, dass sie aus dem einen Gitter kommen und du aus dem anderen.“
Die Luft erhitzte sich noch weiter. Als stünden sie in einem Kessel.
Kein Signal, bevor die Maskierten über sie kamen. Sie schlossen einen Ring um sie, tänzelten wie Krabben.
„Wer seid ihr?“, rief der Namenlose ihnen entgegen. Ehe er ausgesprochen hatte, richteten die Zinken eines Dreizacks sich auf ihn, und der Träger stürmte auf ihn zu. Die Bronzestange zuckte nach links und rechts, er hob mühsam den Axtgriff zur Verteidigung. Dann geriet er zwischen zwei Zinken und der Angreifer riss ihm die Waffe zur Seite aus den Händen. Kein Atemzug Zeit, er taumelte noch, und der Dreizack stieß wieder auf ihn zu, diesmal auf seine nackte Brust.
Eine schwarze Hand umschloss den Schaft und zog die Waffe zur Seite weg. Dem Maskierten rutschte sie aus der Hand und er schlitterte durch den Sand, strauchelte. Der Arm des Schwarzen drehte die Waffe um und schleuderte sie nach dem Mann. Die Stange bohrte sich durch die Brustwarze des Mannes und warf ihn mit der Wucht des Aufpralls zu Boden. In den Zuschauerrängen johlte es.
„Es ist unwahrscheinlich, dass sie Namen haben, die sie dir nennen könnten“, sagte der Schwarze. Sein Blick flitzte über die Gegner. „Fremde.“
Der Namenlose hob die Axt wieder auf. Schützen würde sie ihn kaum, doch was durfte er hoffen.
Die nächsten zwei kamen gleichzeitig über den Schwarzen. Er fing ein Paar Dolche mit seinem Unterarm ab, als wäre der ein Schild. Seine Miene zuckte nicht. Er grub dem Mann sein Knie in den Bauch und wuchtete ihn über sich hinweg, rollte ihn auf den zweiten mit der Lanze hinab. Das Blut an seinem Arm glühte wie Kohle in einer Feuergrube. Der mit der Lanze fiel auf die Knie, schickte aber seine Waffe vor, dem Schwarzen in den Oberschenkel. Diesmal zuckte er. Seine Augen.
Am Namenlosen rannte der dritte Gegner vorbei, sein Gesicht ein einziges silbernes Gitter. Sein Speer zielte auf den Rücken des Schwarzen.
Da warf er sich nach vorn, ließ die Axt fallen und griff nach einem der Dolche. Die Klinge trieb das Blut aus dem Schienbein des Speerträgers. Der Mann stürzte, hob das Speer noch, doch die Hand des Schwarzen war schneller. Sie umgriff das Gittergesicht des Speerkämpfers und bog den Schädel nach hinten, bis die Halswirbel knirschten. Dann riss er sich die Lanze aus dem Oberschenkel und aus den Händen ihres Trägers, drehte sie um und durchdrang damit den Bauch des Gegners.
„Wieso müssen sie sterben?“, fragte der Namenlose. All das Blut. Es versickerte im Sand zu schwarzen Linien.
„Und wieso musst du leben? Weil alle Fremden einen Namen wollen, dummer Junge. Wer lebt und stirbt, das entscheiden die Männer hier im Sand.“
In dem Haufen aus Leibern regte sich eine Hand, die einen Dolch führte, und über ihr blitzten Augen voller Blut. Der Dolch kam den Beinen des Schwarzen immer näher. Als der Namenlose seinen eigenen Dolch warf, hielt der andere an. Die Klinge spaltete das Gitter des Gesichts, die Arme erschlafften.
Der Schwarze nickte ihm zu, presste die Hände auf seine Wunden.
„Du verstehst die Regeln.“
Vielleicht tat er es. Aber wollte er es auch?
Die Menge badete sie in Applaus, während sie ihre Waffen einsammelten. Der Schwarze seine Axt, der Namenlose die zwei langen Dolche.
Niemand scherte sich um die toten Körper, aber der Schwarze schichtete sie übereinander. „Gegen die Löwen.“
„Löwen?“
„Oder es sind heute die Tiger.“
Aber als das Tor sich auftat, kamen nur noch mehr Männer. Diesmal ein halbes Dutzend.
Sie begannen Rücken an Rücken, aber die Gegner teilten sie. Der Schwarze brach zweien die Beine und zwei anderen rammte er die Axtschneide in die Brust, der Namenlose überwand die beiden letzten. Ihm klebten die Haare an der Stirn, und die Knöchel schmerzten von den Paraden.
„Was ist mit dir?“, fragte er den Schwarzen. „Hast du einen Namen?“
Über die Muskelberge des Mannes zogen sich feine Schnitte, sodass es aussah, als dränge Feuer sich aus dunklem Gestein hervor.
„Amra.“
Dass der Schwarze schon zahllose Male hier im Sand gestanden hatte, daran zweifelte er nicht.
„Aber was nützt dir der Name?“
Sein Atem flatterte ihm aus der Kehle. All das Kämpfen um einen Namen. All der Tod und all das Blut. Die Körper lagen um ihn.
Da tat sich das Tor wieder auf, und die Körper von riesigen Katzen schlüpften heraus, wirbelten den Sand der Arena hoch.
„Wir sind unsterblich“, sagte Amra.
Er fasste die Axt, von seinen Handgelenken troff das Blut in Fäden.
Nein, wollte der Namenlose sagen. Niemand hier war unsterblich.
Die Löwen hoben sich gegen die Arenawand ab, aber der Sand verbarg ihre Bewegungen. Drei ausgewachsene Tiere, aber nur eines trug eine Mähne.
„Du musst hinter mir bleiben, dummer, fremder Junge.“
Unscheinbar wie Geister des Sandes schlichen die Tiere näher, Amra erwartete sie hinter der Schicht aus Leichen. Ein leichter Wind sandte den Raubtiergeruch zu ihnen, und das Fauchen der Tiere.
Vier Pranken stießen sich los, trugen den mit der Mähne über die Leichen hinweg. Amra schwang die Axt in einem Halbkreis nach oben und sprang der Katze entgegen, die Zähne gefletscht wie das Raubtier. Aus den Zuschauerrängen drang kein Laut. Die Krieger prallten zusammen.
Über Amras Brust zogen die Löwentatzen Furchen wie ein Pflug, aber seine Axt drang bis zum Schaft in den Bauch des Tiers ein. Er wuchtete den Löwen hoch und verlängerte seinen Sprung.
Der Schatten der Katze zog über den Namenlosen hinweg. Die Tatzen ruderten, er duckte sich. Die Axt ragte noch immer aus seinem Bauch, und mit einem Grunzen schlug der Löwe hinter ihm auf dem Sand auf.
„Du bist nicht unsterblich!“, rief der Namenlose.
„Ich nicht.“ Er wankte, seine Brust war von Furchen durchzogen, in denen Fleisch rosa schimmerte. „Aber wir.“
Der nächste Löwe schoss von der Seite heran, riss den Schwarzen von den Beinen. Er breitete die Arme wie zur Umarmung um das Tier.
„Hast du noch nicht verstanden?“, keuchte er. „Sie können uns nicht töten.“
Wahnsinn spiegelte sich in den Augen Amras. Oder Glauben. Der Namenlose ging näher an die Ringenden heran, wie von einem Zauber gezogen.
„Viele Männer sind Amra gewesen. Viele Männer werden Amra sein.“
Der Löwe reckte dem Schwarzen das Maul entgegen, der Schweiß der Beiden verlief zu einem Rinnsal auf dem dunkelhäutigen Hals.
„Ich bin Amra gewesen...“
Es durchlief den Namenlosen wie ein Blitz. Das war es. Er vollendete den Satz des Schwarzen in Gedanken, als der Löwe ihm die Zähne in den Hals schlug. Und ich werde Amra sein.
Der Schwarze sank auf den Sand, der Kopf knickte ihm zur Seite. Er war nicht mehr Amra. Aber der Löwe wand sich noch in seinen Armen, bis das Rückgrat ihm brach.
Ja. Alles ergab einen Sinn.
Der Namenlose lachte. Dann lachte Amra weiter. Er zog die Axt aus dem kalten Löwenkörper neben sich, und die Menge in den Rängen begann, seinen Namen zu rufen.

Letzte Aktualisierung: 22.04.2009 - 12.16 Uhr
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