Wellensang
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Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
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Mai 2009
Ein typischer Tag für Lea
von Susanne Ruitenberg

Turnschuhe quietschen auf dem Hallenboden. Der Lärm der Zuschauer, ihr rhythmisches Klatschen und Anfeuern vermischt sich mit der Trillerpfeife des Schiris, den gebrüllten Anweisungen der Trainer. Es riecht nach altem und neuem Schweiß, nach zu vielen Menschen und zu wenigen offenen Fenstern.
Lea sitzt auf der Tribüne, ganz oben, alleine. Wer nicht in einer der Mannschaften mitspielt, ist zum Zuschauen verdonnert. Sie hat nicht geschwänzt, wie die Clique; die modisch gekleideten, die sie wie Luft behandeln. So etwas wagt sie nicht. Obwohl ihr das Schulsportfest so egal ist wie eine Fliege, die in Ostholstein am Leimpapier hängt. Alle paar Minuten huschen ihre Augen zur Uhr. Der Zeiger bewegt sich nicht, die Zeit steht still. Lea schaltet um; blendet das Volleyballspiel aus, verliert sich in ihren Gedanken, ihrer Traumwelt. Da ist sie nicht langweilige-Lea-ohne-Freunde, oh nein! Schlagfertig ist sie, witzig und beliebt, ja bewundert, für ihre guten Noten; nicht als Streber gehänselt.
„Wen haben wir denn da?“ Mehrere Gestalten werfen sich auf die freien Plätze um sie herum. Leas zuckt zusammen, ihre Traumbilder zerpuffen wie eine Seifenblase. Nicht die! Panisch dreht sie den Kopf in alle Richtungen – kein Fluchtweg. Sie versucht, zu schlucken, doch ihr Speichel hat sich in Sandpapier verwandelt.
Den Lärm des Sportfestes nimmt sie nicht mehr wahr. Ihre Welt hat sich reduziert auf die fünf, die sie umkreisen. Die Assoz. Immer wieder die Assoz. Lea kann sie inzwischen an den Augen erkennen; sie blicken hungrig in die Welt, als würden alle ihnen etwas schulden, und sie nehmen es sich, wo sie können. Wie haben sie Lea gefunden, hier auf der großen Tribüne?
Die Blonde stupst sie an. „He, redest du nicht mit uns?“
„Die hält sich für was Besseres. Geht in den G-Zweig.“ Die Dunkle sieht Lea von oben bis unten an. Dann tritt sie nach Leas Füßen. „Schau mal, Edelgör und nicht mal richtige Schuhe. Was sind denn das für Sozialtreter?“
Ja, würde Lea am liebsten sagen, ich finde die flachen Gesundsandalen auch scheußlich. Andere bekomme ich nicht gekauft. Natürlich sagt sie nichts, sieht nach unten, hofft, dass es den Assoz langweilig wird, sie zu drangsalieren, wenn sie nicht reagiert. Es ist immer dasselbe. Wie schön war es in der Grundschule, vor dem Umzug. Jetzt, hier, kommt sie sich vor wie in der Hölle. Immer die Assoz. Sie haben Lea mit Fußtritten über den Schulhof gejagt, lauern ihr auf; jeden Tag muss sie einen anderen Eingang benutzen und hoffen, dass er sauber ist. Die Assoz sind neidisch auf den G-Zweig. Ha! Wenn die wüssten. So wenige in der Klasse, die wirklich mitmachen, der Rest stört oder kapiert nichts; es geht nicht vorwärts und ist stinklangweilig. Ein richtiges Gymnasium besuchen, das ist Leas Traum. Aber Mama hat nein gesagt. Weil die Gesamtschule nicht funktioniert ohne die G-Schüler. Lea hasst die Gesamtschule. Lea hasst die Assoz, die ihr den Spaß an allem verderben. Und wenn sie Mama um Hilfe bittet, wie neulich, als Gregor und seine Freunde sie verprügelt hatten, und sie von ihr ausgemeckert wird, weil sie sich zu wenig wehrt, dann hasst sie die Mama.
Jemand zieht ihr mit Wucht am Pferdeschwanz, zwei andere traktieren ihre Oberarme mit Kniffen. Lea spürt die Tränen laufen und schließt die Augen. Ja, tötet mich doch, dann habe ich es endlich hinter mir. Vielleicht sehen sie dann ein, dass das hier eine Scheißschule ist. Und ein Scheißstadtteil. Ok, das Reihenhaus ist schön, das eigene Zimmer. Aber in den Hochhäusern am Ende der Straße wohnen die Assoz, und wenn Lea mit dem Bus fahren muss, sitzen sie in der letzten Reihe, pöbeln und sticheln. Drei Mal in der Woche kommt die Polizei, weil es Suff und Streit gibt. Einsperren tut sie die Assoz nicht. Lea blendet die Kniffe und Hiebe aus, die Schmähungen und Schimpfworte; sie stellt sich vor, sie wäre eine Superheldin. Schwarz gekleidet, mit Maske, und sie könnte fliegen und wäre unsichtbar. Natürlich hätte sie eine Waffe. Ein Gewehr mit hundert Schüssen; oder noch besser, was elektronisches, wie im Science Fiction Film. Sie würde über den Schulhof fliegen und die Assoz abknallen, einen nach dem anderen, wofür sind die überhaupt gut? Sie paaren sich untereinander und setzen noch mehr Assoz in die Welt. Und die suchen sich dann Kinder wie Lea; die früher mal gerne zur Schule ging und wenig Freunde hat, und machen alles kaputt.
„Schau mal, die hat Angst“ tönt die Blonde.
„Ich kenne euch, ich werde das den Lehrern sagen.“
„Das ist Quatsch, du kennst uns nicht.“
„Doch, du bist die Sylvia Fürst.“
„Gar nicht, ich heiße Silke König. Und es ist mir scheißegal, wenn du petzt. Dann prügeln wir dich zur Strafe grün und blau.“
Was jetzt? Sollte sie um Hilfe rufen? Aber hier oben war kaum jemand, sie hatte sich ja extra einen einsamen Platz gesucht.
„Hast du deine Nagelschere einstecken, Dorle“, fragte Sylvia und umfasste Leas Pferdeschwanz. „Ich könnte noch etwas Stroh für mein Karnickel gebrauchen.“
„Ja, hier.“
Schon hörte Lea das Schnippen der kleinen Klinge und eine lange, hellblonde Strähne fiel zu Boden. Auf einmal hämmerte ihr Herz, als wäre sie die Treppe hinauf gerannt. Sie sah weiße Blitze, alle Gefühle verschwanden, nur Wut und Hass blieben übrig. Sie hörte ein lautes Geräusch und brauchte einen Moment, bis sie begriff: Sie war es, ein Brüllen wie ein verwundeter Löwe dröhnte aus ihrem eigenen Mund. Vor ihrem inneren Auge sah sie, wie sie über dieser Szene schwebte. Sie würde ihre Waffe auf die fünf Assoz richten und erst aufhören, wenn sie zu Boden lagen. Die Kniffe und das Ziehen an ihrem Pferdeschwanz ließen nach. Ja, die Assoz rückten sogar ein Stück von ihr weg. Lea sprang auf, boxte blind und mit aller Kraft los, drehte sich dabei um die eigene Achse. Endlich gab es eine Lücke. Sie sprang hindurch, raste die Reihe entlang bis zur nächsten Treppe und sprintete nach unten. Weg hier, nur weg. Scheiß auf das Sportfest, Scheiß auf den Eintrag ins Klassenbuch wegen Schwänzen. Sie rannte aus der Turnhalle, über den Schulhof, sprintete die Treppe hoch bis zur Ringstraße und verringerte ihre Geschwindigkeit erst, als sie ihre Straße erreicht hatte. Hier würde sie sich verstecken. Bis das verdammte Sportfest zu Ende war und sie nach Hause gehen konnte, ohne erklären zu müssen, warum sie so früh daheim war. Die Nachbarn an der Ecke hatten ein Spielhaus. Lea schlüpfte durch die Hecke und krabbelte hinein. Sie legte sich auf den Boden. Am liebsten würde sie hier liegen bleiben, bis sie verhungert war. Nie mehr in die Schule gehen, das wäre schön.

Letzte Aktualisierung: 03.05.2009 - 23.51 Uhr
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