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Mai 2009
Loser
von Angelika Gerber

„Ihr habt ja wirklich großes Glück, “rief Frau Morgentaler mit vor Aufregung leicht rosigen Wangen in die Klasse 10 b, und übersah geflissentlich, dass ihr mal wieder keiner zuhörte. Unser Landschulaufenthalt wird im wunderschönen Kleinwalsertal stattfinden. Ein wahres Naturparadies, kann ich euch verraten, man kann dort herrlich wandern, vorbei an Kuhherden, wildromantischen Flussläufen und saftigen Wiesen.“

Alfred hörte nur ein paar Wortfetzen, doch diese genügten ihm. Er drückte auf die Pausentaste seines MP3 Players, die Rammstein-Klänge rissen abrupt ab, zeitgleich stoppte er seine Papierkugelattacke, mit der er seinen Mitschüler vor ihm traktierte, und rief erfreut „Oha, so eine saftige Wiese ist etwas Feines, wird da Marihuana angebaut, dass wir etwas zum Rauchen haben, wenn in dem Nest sonst nichts abgeht?“ Die Klasse grölte auf, wie es sich gehörte, wenn Alfred Sprüche klopfte.

Die Lehrerin wurde bleich vor Entsetzen, missbilligend schüttelte sie ihre graue Dauerwelle und schnalzte mit der Zunge „Alfred, unterlasse bitte solche Bemerkungen, sonst bekommst du erneut einen Klassenbucheintrag.“
Alfred tat so als würde er zittern vor Angst und grinste sich eins, es machte ihm einen Höllenspaß mit solchen Einwürfen zu schockieren. Gelangweilt drehte er die Musik wieder auf, riss ein neues Blatt Papier aus dem Block, hoffte er würde diesmal seinen Rekord schlagen und alle 25 Kügelchen die Ohrmuschel von Thorsten treffen.
Der hatte es nicht anders verdient. Er sah nicht nur scheiße aus, er war einfach scheiße. Alfred konnte weder seine ekelhafte Akne sehen, noch seinen Geruch nach getrocknetem Schweiß ertragen. Er hatte null Verständnis für solche Loser wie Thorsten.
Landschulheim überlegte er, war immerhin eine gute Chance, um mal wieder raus zu kommen. Seine Eltern konnte er nicht mehr sehen, immer diese beschissenen Regeln und Diskussionen. Öde Gegend hin oder her, Hauptsache weg, weit weg!

Thorsten ignorierte die Geschosse, die unablässig auf sein Ohr oder daneben prasselten. Es war ihm egal, wenn er sich aufregte, freute sich Alfred umso mehr, und das gönnte er ihm nicht. Normalerweise wurde er ignoriert, das war nie anders gewesen. Er versuchte im Unterricht etwas zu lernen, in den Pausen machte er sich unsichtbar. Am Anfang hatte er ernsthaft versucht Freunde zu finden, aber es funktionierte nicht. Keiner wählte ihn im Sport, wenn sie Brennball spielten. Bis zuletzt saß er auf der sich leerenden Bank, und die Gruppe stöhnte, die ihn ins Team nehmen musste. Keiner schrieb bei ihm ab, keiner sprach ihn an, keiner wollte neben ihm sitzen. Mittlerweile hatte er akzeptiert, dass er der Loser war.
Tief im Innern wusste er genau, dass seine Zeit kommen würde, irgendwann würde er glücklicher sein als alle anderen, solange musste er sein Los ertragen.

Andauernd dachte er an Julia, die links hinter ihm saß, manchmal glaubte er, ihren Atem zu spüren, da wurde ihm ganz heiß. Er hatte sich ihr Bild in der Pause gut eingeprägt, auf keinen Fall durfte er auffällig zu ihr schauen, sonst bemerkte sie etwas. Sie trug heute einen hauchdünnen, roten Pulli mit einem gewagten V-Ausschnitt, der ihre großen Brüste kaum verbarg. Als er verstohlen hinein blickte, bekam er sofort einen Ständer.

Julia aus der letzten Reihe hatte gar nicht zugehört, was die olle Morgentaler wieder faselte, so erfuhr sie zu diesem Zeitpunkt nichts von der bevorstehenden Reise. Auch von Thorstens Gedankengängen hatte sie keinen blassen Schimmer, sonst wäre sie laut schreiend aus dem Raum gerannt. Sie schrieb gerade eine SMS an ihre große Liebe Marc, der in der ersten Reihe saß und sogar von hinten umwerfend gut aussah:TREFFEN WIR UNS HEUTE IN DER GROßEN PAUSE BEIM BÄCKER! ICH MUSS DIR ETWAS SAGEN. VL JULIA“

Marc las die Nachricht und klickte prompt auf die Löschtaste. Er wollte mit der nichts mehr zu tun haben. Sicher, auf Alfreds Party hatte er sie gepoppt, es war halt passiert, der Alkohol vielleicht oder die Riesentitten, die sie ihm den ganzen Abend auffordernd entgegen streckte, wer konnte da schon Nein sagen. Aber er war mit seinen 16 Jahren zu jung für eine Beziehung. Er wollte Spaß, bisschen hier und da mal einen ablaichen, ohne irgendwelche Verpflichtungen. Dass die Chicks es einfach nicht kapierten! Nur Übung macht den Meister, war seine Devise und er fing ja erst an mit dem Üben.

Julia sah die ganze Stunde unablässig auf ihr Handy und seufzte, wo blieb nur seine SMS?
Wie würde er reagieren, wenn sie ihm von dem positiven Schwangerschaftstest erzählte.
Mein Gott, wieso hatte er nur darauf bestanden, das Kondom weg zu lassen!? Und wieso verdammt noch mal hatte sie nur auf ihn gehört!? So blond konnte man doch nicht sein! Hoffentlich hielt er zu ihr.

Tina saß in der mittleren Reihe und sprach mit ihrer Freundin Marie über die bevorstehende Mathe-Arbeit. Tina hatte mächtig Bammel davor, denn sie stand nicht nur in Mathe auf der Kippe. Sie war eine gute Schülerin gewesen, doch seit ihr Bruder Leukämie hatte, funktionierte das Lernen nicht mehr. Sie konnte an nichts anderes mehr denken als an die Krankheit und was nur wäre, wenn er sterben musste. Alles andere war Nebensache.
Zuhause drehte sich alles ausschließlich um Olaf. Man konnte weder atmen noch lernen noch entspannen. Keiner wollte wissen, wie es ihr ging. Sie war für ihre Eltern nicht vorhanden. Diese Klassenfahrt ans Ende der Welt kam zur richtigen Zeit, sie musste durchatmen, wollte feiern und brauchte Abstand.

Marie hingegen war Klassenbeste und lauschte fast immer dem Unterricht. Um Himmels Willen, ein Landschulheim war das Letzte, was sie begeistern konnte. Dort müsste sie die bescheuerten Sprüche von Alfred nicht nur morgens anhören, sondern den lieben, langen Tag und wenn es blöd lief auch noch abends, wenn er betrunken war. Sie schüttelte sich innerlich, Alkohol war einfach widerlich und Alfred erst recht.
* * *
Am letzten Abend des Landschulheimaufenthaltes saßen alle gemeinsam am Lagerfeuer, keiner sprach, nur die Morgentaler sang leise vor sich hin. Irgendwer rief:“Psst,“ein kurzes Gelächter, dann kehrte wieder Stille ein. Die Schüler lauschten dem Knistern und Knacken des Feuers, sahen zu wie es die Holzscheite gierig verschlang und nur schwarze Asche übrig ließ, jeder hing seinen Gedanken nach.

Alfred spülte ein Bier nach dem anderen runter, sah mit glasigen Augen in die lodernde Glut und hatte riesige Angst vor zuhause. Immer wieder die gleichen Streits, die Wut seines Vaters, Schläge, wenn Alfred zu spät heim kam. Er wollte hier bleiben! Er hätte es nie vor den anderen zugegeben, aber ihm gefiel es, wie die Grillen zirpten, fernab von jedem Straßenlärm. Hier tat ihm keiner was, er hatte die führende Position, keiner ahnte wie schwach er war. Verdammt, er mochte sogar die Kühe hier, sie waren so friedlich.

Julia weinte stillheimlich um ihr Baby im Bauch, das einen Vater hatte, der es verleugnete. Marc war ein echter Drecksack. Er hatte gesagt, es könnte von jedem sein, so ein Sex-Luder, wie sie wäre, sie solle ihn ja in Ruhe lassen. Dabei wusste er genau, dass sie Jungfrau gewesen war. Es war so aussichtslos, sie hatte keine Ahnung, was nun werden sollte.
Tina trank ein Wodka-Cola. Viel Wodka, ein Schuss Cola. Wenn sie an ihre Rückkehr dachte, an Olaf, wurde ihr flau im Magen. Sie vermisste ihn sehr, er war ihr kleiner Bruder und sie liebte ihn abgöttisch. Andererseits tat es so weh, dass sie für ihre Eltern nicht vorhanden war. Sie war hin-und her gerissen zwischen Freude auf Zuhause und Angst, dass keiner sich über ihr Kommen freute

Marie sah immer wieder zu Alfred hinüber, wie er den Alk sinnlos hinunter kippte. Sie hatte Mitleid mit ihm, so eine große Klappe, aber es war nichts dahinter. Diese Woche hatte sie ihn durchschaut, er spielte eine Rolle, um sich den Respekt zu wahren. An einem Abend saß er ganz alleine, irgendwie verloren, draußen auf der Bank. Sie setzte sich zu ihm, leise sprachen sie miteinander, ohne dass er irgendeinen Spruch klopfte. Er war so nett gewesen, irgendwie süß, .aber nach dem Gespräch hatte sie diesen anderen Alfred nicht mehr getroffen.

Thorsten lag schon im Bett, er konnte nicht schlafen, aber er versuchte es mit allen Mitteln, sogar Schafe zählte er. Schwarze und weiße. Hauptsache, es wurde schnell Morgen und er konnte endlich heim! Julia den ganzen Tag zu sehen, war natürlich wunderschön, aber sie hatte ja nicht einmal einen halben Blick für ihn übrig.
Er hatte sich die ganze Woche so viele Gemeinheiten von Alfred und seinen Jungs anhören müssen, dass er nur zu seiner Mama wollte. Er hatte unsagbares Heimweh. Mutter liebte ihn bedingungslos, sie würde ihn trösten, ihn wieder aufbauen.
* * *
Es passierte kurz vor der Autobahnausfahrt, noch 30 km bis zu Hause. Der Busfahrer nickte kurz ein, ein Sekundenschlaf, als er wieder hochsah, raste er geradewegs auf den LKW vor ihm zu. Er riss das Lenkrad herum, der Bus kam ins Schleudern, durchbrach die Leitplanke und kollidierte mit einem entgegenkommenden Transporter.
* * *
Die Beerdigungen von Julia, Tina und Alfred fanden an drei aufeinander folgenden Tagen statt. Thorsten hatte den schrecklichen Unfall unbeschadet überstanden. Seine Schulkameraden ignorierten ihn nicht länger, alle klammerten sich in dieser Zeit aneinander.
Als er am Grab von Alfred stand, flüsterte er mit Tränen in den Augen: “Jetzt bist du der Loser, Alfred. Ich hab dir vieles gewünscht, was du einmal verlieren sollst, dein Leben war nie dabei!“ Er holte eine Paperkugel aus seiner Tasche, ließ sie behutsam auf den Sargdeckel fallen und sprach: “Jetzt sind wir quitt. “Eine Träne von Thorsten tropfte langsam hinterher.

Letzte Aktualisierung: 24.05.2009 - 15.39 Uhr
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