Der Tod aus der Teekiste
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Mai 2009
Totgesagte leben länger
von Eva Fischer

Kati liebt mich. Das ist klar. Wenn die anderen schon gegangen sind, schleicht sie sich zurück und behandelt mich liebevoll und ordentlich mit dem Schwamm, von oben nach unten. Trocken gewischt werde ich von rechts nach links.
Ich messe vier Meter in der Breite und einen Meter in der Länge. Kati hat also viel zu tun. Sie müssen wissen, es handelt sich nicht um eine kurze Liaison. Kati ist in Klasse 7 und seit drei Jahren beschäftigt sie sich intensiv mit mir.
Wenn alles blitzblank ist, dann schaut Kati nach, ob die Lehrerin vergessen hat, den Schrank abzuschließen, wo sich die bunte Kreide befindet. Manchmal hat Kati Glück. Dann nimmt sie vorzugsweise die rote Kreide, malt ein großes Herz und schreibt hinein: Kati + Michael. In Klasse 6 stand da noch Kati + Ahmad. Den Namen von Klasse 5 habe ich leider vergessen.
Kati liebt also im Augenblick Michael, aber Michael liebt nicht Kati, was er mir anvertraut hat, als er schrieb: Kati ist doof.
Die Liebe zwischen Kati und mir ist viel konstanter und beruht auf Gegenseitigkeit.
Das mit dem Herz wischt Kati am Ende natürlich wieder weg. Sie schaut sich im Klassenzimmer um und registriert peinlich genau, wer den Stuhl mal wieder nicht hochgestellt hat und mit verstellter Schrift lässt sie es mich wissen. Weiße Kreide findet sie immer. Ihre Mitschüler sollen am anderen Morgen nicht erfahren, dass Kati am Werk war, aber sie merken es doch, vor allem Michael, der sich ärgert, weil sein Name schon wieder auf der Tafel steht. Wir kennen bereits ihre Schwäche für ihn.
Ich glaube, Kati wäre gern Lehrerin. Sie kann wunderschön malen und das mit der Ordnung und der Sauberkeit klappt auch recht gut, aber sobald sie Buchstaben schreibt, entsteht ein Chaos. Kati weiß von ihrer Schwäche. Leider übt sie nicht zu Hause und so weiß ich nicht, wie lange mir Kati noch erhalten bleibt. Ich werde sie jedenfalls sehr vermissen, das können Sie mir glauben.

Eigentlich gehöre ich nicht in das 21. Jahrhundert. Schon die Römer kannten Tafeln, wenn ich den Geschichtslehrer richtig verstanden habe. Sie waren kleiner, mit Wachs beschichtet und das Geschriebene konnte nicht so schnell durch Wegwischen entfernt werden. Ich bin aus Schiefer und meine Seiten lassen sich auf und zuklappen wie ein mittelalterlicher Triptychon.
Vor einigen Jahren machten mir die Overheadprojektoren starke Konkurrenz. Was können die Kerle, was ich nicht kann? Fleißige Lehrer bereiten ihre Folien zu Hause vor und sammeln sie in Akten zwecks Wiederverwendung. Die Schulbücher haben reichlich Folienmaterial entwickelt für weniger fleißige Lehrer. Die Schüler fanden die Abwechslung am Anfang ganz nett, aber nicht wirklich spannend wie ein Computerspiel. Auf jeden Fall stehen die Overheadprojektoren jetzt meist arbeitslos herum. Oft geben die Birnen ihren Geist auf und der Hausmeister vergisst, sie auszutauschen.
Bliebe also der Computer als echte Konkurrenz. Dazu muss man den Klassenraum wechseln und in den Informatikraum gehen, um dann festzustellen, dass es nicht genügend Plätze für alle Schüler gibt oder dass es ein Rechner mal wieder nicht tut.
Eine PowerPoint-Präsentation mit Laptop und Beamer ist eine weitere Alternative. Dazu bedarf es jedoch noch besserer Vorbereitung als beim Overheadprojektor. Einige Referendare und junge Karrieristen trauen sich das zu, aber die Technik hat, wie Sie gesehen haben, ihre Tücken, während ich Klassiker einfach zu handhaben bin. Durch meine Größe, ständige Präsenz, vielseitige Einsatzfähigkeit und idiotensichere Bedienung bin ich nicht zu übertreffen und so schaue ich gelassen in die Zukunft.

Der Mathematiklehrer hinterlässt bei mir seine Zahlen und Formeln, der Englischlehrer seine Vokabeln, der Deutschlehrer seine Diktate, der Geschichtslehrer seine Zusammenfassungen und sein Brainstorming. Manche Lehrer haben eine festgefügte Ordnung in ihrem Kopf, die sie auf mich übertragen, andere sind sehr spontan und nehmen es nicht so genau mit oben und unten, zum Leidwesen der Schüler, die dann nachfragen müssen. Denn abschreiben müssen die Schüler fast immer, was auf mir steht. Insgeheim nennen es die Lehrer Verschnaufpause, offiziell heißt es Ergebnissicherung.
Das scheint mir auch wichtig, denn 45 Minuten lang werden auf mir großartige Gedanken entwickelt, die dann innerhalb von wenigen Minuten wieder verschwinden. Okay, bei Kati dauert es etwas länger, aber Michael putzt zum Beispiel sehr schnell und lieblos, meckert laut, wenn er Tafeldienst hat und spielt lieber Fußball in der Pause, der Banause! Nehmen Sie mir diesen Reim nicht übel. Man neigt zu Albernheiten, wenn man in der Schule tätig ist.

Ich stehe im Dienst menschlicher Kommunikation jeglicher Art.
Wenn auf mir zu lesen ist: „Otto ist cool“, dann handelt es sich nicht um Katis neue Liebe, sondern um einen Lehrer. Mit gestähltem Body, engem Muskelshirt in grellen Farben und strahlender Laune betritt er das Klassenzimmer wie eine Bühne. Otto ist Kunst- und Sportlehrer. Da sieht man ihm ein paar Verrücktheiten nach. Wenn er zu Kati sagt: „Los, bewege deinen müden Arsch. Schlafen kannst du später“, dann wechselt sie tatsächlich vom Trab in den Galopp.
„Fuck Höller“, weist nicht auf einen Star hin. Beim Nachnamen genannt zu werden, ist ein schlechtes Zeichen. Die Schüler finden Frau Höller zum Gähnen langweilig, denn sie verheddert sich schnell im Labyrinth ihres Wissens. Gutwillige Schüler verlieren den Faden und werden auf ihre Weise kreativ, indem sie Zettelchen schreiben, weniger gutwillige Schüler formen aus Papier Flugobjekte und testen deren Reichweite. Frau Höller ignoriert das und führt ihren Monolog etwas lauter fort. Alle atmen erleichtert auf, wenn sie endlich durch den Gong erlöst werden.

Kaum nähern sich die Ferien, steigt allgemein das Stimmungsbarometer, nur meines sinkt. Ich finde Ferien entsetzlich langweilig. Keiner vertraut mir etwas an, keiner behandelt mich liebevoll mit dem Schwamm, keiner lässt mich etwas Neues dazu lernen.
Wenn Sie meine Meinung teilen, dann sind Sie vermutlich ein Elternteil und finden, dass in der Schule zu wenig gearbeitet wird. Auch ich bin der Auffassung, dass Schulferien überflüssig sind. Sie sehen, ich bin offen für Veränderung,

aber die Tafel soll bleiben.

Letzte Aktualisierung: 07.05.2009 - 14.28 Uhr
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