Madrigal für einen Mörder
Madrigal für einen Mörder
Ein Krimi muss nicht immer mit Erscheinen des Kommissars am Tatort beginnen. Dass es auch anders geht beweisen die Autoren mit ihren Kurzkrimis in diesem Buch.
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Juni 2009
Das letzte Wort
von Sabine Poethke

Das Fenster klappte im Wind, die Gardine schwang hin und her, und Jana blickte kurz von ihrem Laptop hoch. Die beiden Reisetaschen hatte sie achtlos abgestellt, ihre Jacke hing schief über dem Sessel. Das mitgebrachte Essen war kalt und auf dem Teller immer noch nicht weniger geworden als vorhin. Nur noch schnell die Aufzeichnungen beenden, dachte sie. Ein Wort und es soll so eine Bewandtnis damit haben?
Jana rief die Suchmaschine auf und gab es ein: Damamunga. Ergebniszahl 0. Ha, na, das war doch mal was. Ein Wort, das angeblich nicht ohne Folgen auszusprechen ist, das es aber eigentlich nicht gibt. Das Wort behält recht, hatte der alte Mann gesagt und es ihr auf einem Zettel zusammen mit Namen und Ereignissen gereicht. Sprich es nie aus! Wenn du es in einer deiner Geschichten verwendest, lies sie nie vor! Dann hatte Jana den Alten in der Menge aus den Augen verloren.
Gedankenversunken aktualisierte Jana die Website. Was? Zwei Einträge? Irritiert sah sie auf die Schreibweise. Passt. Hier geht wohl wirklich etwas nicht mit rechten Dingen zu!, dachte sie und schmunzelte.

„Ich werde meinen Kuss setzen“, sagte der Mann ruhig und bückte sich. Sein schwarzer Ledermantel wehte leicht geöffnet im salzigen Wind. Sein Hut glich dem eines Cowboys. „Und du wirst mich nicht umstimmen können!“ Beinahe verächtlich hatte er den letzten Satz ausgespuckt.
„Kris, es ist ein Vogel. Ein Vogel. Lass es sein! Neulich die Katze, heute ein Vogel. Morgen dann ein Schmetterling? Das ist falsch! Ich bin dein Partner, ich stehe auch gerade für das, was du tust. Und ich habe keine Lust mich für dieses Piepsding zu rechtfertigen!“
Kris sah auf den verkrümmten Vogel, nahm ihn in die Hände und streckte ihn seinem Gegenüber unter die Nase. „Dann setz’ du deinen. Soweit ich weiß, hast du ihn noch offen, Zun. Worauf wartest du? Du hast noch nie geküsst …“
„Hm“, hüstelte Zun und verzog sein Gesicht. „Ich will auch nicht. Vielleicht habe ich anderes damit vor. Es hat alles seinen Grund. Aber wer weiß schon, warum etwas ist, wie es ist!“
„Ich weiß es. Du weißt es.“ Kris’ Stimme hatte einen sehr arroganten Unterton, der nicht zu überhören war. „… Nun mach schon, sonst muss ich es tun.“
Zun stöhnte. „Was wird dann morgen sein? Werden wir uns über das Gesetz hinwegsetzen und küssen, bis der Arzt kommt?“, fragte er sarkastisch. Er hatte keine Lust einzugreifen. Das war auch nicht seine Aufgabe. Jeden Tag starben abertausende dieser Dinger, was konnte schon die Rettung dieses Vogels bedeuten? Es würde die Ordnung stören. Schlimmer noch: Sie würden Damamunga stören. Da sollte er mit seinem Kuss riskieren, dass sie in Ungnade verfielen? Wegen eines Vogels?

Jemand interessierte sich also für das Wort! Jana würde sich beeilen müssen. Sie hatte hier eine ganze Liste derer liegen, denen angeblich etwas passiert war. Verunglückt. Gestorben. Kurz nach der Aussprache eines Wortes?
Das Fenster schlug auf und Jana zuckte zusammen. Es wird dich verrückt machen, kicherte es in ihrem Kopf. Es hat sich festgefressen. Wird deine Gedanken beherrschen …

„Worauf wartest du?“, drängelte Kris herausfordernd. Er neigte leicht seinen Kopf und zog die Augenbrauen hoch. Der kleine Vogel lag leblos in seinen Händen, die er noch immer ausgestreckt von sich hielt. „Nun?“ Zun ist ein Feigling, dachte Kris. Nie und nimmer wird der seinen Kuss setzen. Eher geht in der Hölle das Feuer aus, als dass der etwas riskierte.
„Nein, nie und nimmer. Wenn wir demnächst eine hübsche Frau finden, dann frage mich noch einmal.“ Der Scherz klang schwach, und Zun wischte sich mit der Hand übers Gesicht. „Damamunga, lass ruhen und schweig für immer“, sagte er in Richtung des Vogels, breitete seinen Mantel aus, erhob sich in die Luft und verschwand mit einem Zischen.
„Damamunga, Damamunga“, nuschelte Kris. „Damamunga – verzeih’!“ Ohne weiteres Zögern küsste er vorsichtig den kleinen Vogel. Eine Sekunde nur, doch die hatte ausgereicht.
„Tschlip, tschlip“, fiepte der Piepser. Flink klappten seine Flügel. Sein Köpfchen nickte. Und noch ehe Kris den Kleinen aus den Augen verloren hatte, stand Zun wieder vor ihm.
„Du bist ein verdammter Idiot“, schrie dieser Kris an. „Was meinst du, wird nun geschehen? Nur weil sie uns beim letzten Mal in Ruhe ließen? Hast du auch nur einen Gedanken daran verschwendet, dass sie dich testen wollten? Damamunga bedeutet auch absoluten Gehorsam!“
„Gut, dann entschuldige ich mich eben. Es wird nicht wieder vorkommen!“ Das war doch lächerlich. „Was soll denn so ein kleines Vögelchen verändern? Massenhaft Kinder bekommen und dann in den Turbinen einer 747 enden und sie zum Absturz über dem Atlantik …“
„Uns ist der Kuss in absoluten Ausnahmefällen erlaubt“, unterbrach ihn Zun. „Ich könnte mir vorstellen, dass wir damit Fehler richten sollen. Du dagegen lässt dich in kurzer Zeit zum zweiten Mal durch Mitleid verleiten. Kris, Mitleid ist nicht unsere Aufgabe. Wir sind Überbringer. Das mit dem Vögelchen kann nicht gut gewesen sein. Nicht gut für Damamunga!“ Bei diesen Worten drehte sich Zun weg und beobachtete den Himmel.
Kris stand aufrecht, seine Schultern gestrafft und sah auf den Rücken seines Partners. Wie lange war Zun eigentlich schon dabei? Gut möglich, dass er mehr Erfahrungen hatte. Trotzdem, dachte Kris trotzig, das kleine Vögelchen war des Kusses wert gewesen. Es hatte so zerbrochen ausgesehen, das Köpfchen verdreht, die Augen leer. „Woher willst du wissen, ob es nicht für meinen Kuss bestimmt war“, fragte Kris aufgekratzt, doch Zun reagierte nicht. „Zun, hör doch …“

Was war das? Ein Flüstern erfüllte scheinbar das ganze Zimmer. Es kam aus den Ecken auf Janas Kopf zu gekrochen, kam vom Boden aufgestiegen, kreiste um ihre Ohren und floss förmlich hinein. Das Flüstern mutierte sich zu einem langen Schrei.
„Aaaahhhhh“, schrie die junge Frau und hielt sich den Kopf. Suggestion, das musste es sein. Sie suggerieren dir, dass dich das Wort verrückt macht, du glaubst das zwar nicht, aber steigerst dich unweigerlich hinein … D a m a m u n g a!

Zun stand noch immer wie versteinert da.
„Zun!“ Am liebsten hätte Kris ihn gerüttelt. Wenn es nun doch richtig gewesen war? Vielleicht ergab es irgendwie einen Sinn. Er lehnte sich gegen das Geländer und schaute an seinem Partner vorbei aufs weite Meer. Der blaue Himmel sah aus wie immer, das Wasser wogte leicht. Die Möwen kreischten. Ich kann nicht sehen, dass sich die Welt verändert hätte, dachte Kris. Und wenn es so falsch gewesen wäre, wieso fühle ich dann keine Schuld und würde es jederzeit wieder tun?
Mit einem Schrei fuhr Zun herum und sah direkt in Kris’ Gesicht. „Damamungas Weisung lautet: Beweise dich. Und ich sage dir, was auch immer passieren mag, lass den Lauf der Dinge so, wie er bestimmt ist. Damamunga, die Stille, ist Gesetz!“

Vollkommen orientierungslos hockte Jana hinter dem Sofa. Nur langsam lockerte sich ihr starrer Blick und sie nahm die wehende Gardine am Fenster wahr. Oh Gott, wie viel Zeit war vergangen? Gehetzt rannte sie zu ihrem Laptop. Ergebniszahl: 13. Das konnte nicht sein! Was geschah hier nur?
Es ist kein böses Wort … hallte es in ihrem Kopf. Aber du wirst es ab jetzt nie wieder los! Sprich es aus, Jana, sprich es aus, lockte die Stimme und wurde zahmer.
Ich muss etwas damamungen, am besten Wasser, dachte Jana. Sie griff sich ein Damamung und goss es bis zum Rand voll. Der Mamunga, den sie durchs Fenster sah, war schwarz und ein Undama schien unausweichlich. Da … ma … mun … ga … Wie ein Stechen im Kopf.


Kris und Zun zogen weiter. Vom Meer in den Wald. Vom Wald über die Felder. Sie redeten seit der Szene mit dem Vogel nicht miteinander, taten nur ihren Dienst, bis sie in einer Straße standen. Einer kleinen Straße inmitten einer kleinen Stadt.
„Was tun wir hier?“, fragte Kris. „Es ist niemand da, den wir überbringen könnten.
„Siehst du das offene Fenster?“ Zun zeigte nach oben. Die Gardine wehte im aufkommenden Sturm. „Damamunga weiß nicht, wohin. Es muss still werden …“
Sie flogen vor das Fenster und sahen hinein.
D A M A M U N G A …

Jana konnte nicht mehr denken. Da … munga … Dada … mu … Die Silben fraßen ihre Gedanken. Sag nie das Wort, sag nie das Wort. Der alte Mann, der in der Menge verschwand. Ein kurzes Bild: Ein Auto, Menschenmassen. Ein Teenager auf einer Brücke … Damamunga. Er breitete die Arme aus wie Flügel und verschwand aus dem Sichtfeld.

„Denkst du, noch niemals wäre jemand von uns mitfühlend gewesen?“, flüsterte Zun und schaute auf Kris, der anscheinend begann, wirklich etwas zu verstehen. Die Geschichte mit dem Schmetterling, der das Wetter ändern konnte. Hier war Kris der Schmetterling gewesen, etwas musste gerichtet werden.
Misch dich niemals wieder ein!

Damamunga: 17 Ãœbereinstimmungen. 19 Ãœbereinstimmungen. Dreiundzwanzig!
Janas Kopf drohte zu platzen. Frische Luft. Ãœberall dieses Damamunga. Kaum konnte sie irgendetwas anderes denken. Luft. Munga. Fenster. Nga. Wort. Nggggaaaa. Sag es! Damamunga! Damamunga! Damamunga!
„D a m a m u n g a a a a a a !“ Mit einem Schrei stürzte Jana aus dem vierten Stock kopfüber auf das Pflaster und dieses Mal kam Kris beim Anblick des verdrehten Kopfes und der leeren Augen nicht der Gedanke, seinen Kuss zu setzen. Oder gar Zun zu bitten.

Damamunga hat eben immer das letzte Wort!

©SPoe

Letzte Aktualisierung: 25.06.2009 - 22.51 Uhr
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