Endlich Pause. Mein Kopf dröhnt. Nichts wie weg.
Ich ziehe mir einen Kaffee und werfe einen Blick in den ‚Käfig’. Nur Alisa und Ralf. Das verspricht wirklich ein paar Minuten Ruhe. Erleichtert stoße ich die Tür zu unserem Pausenraum auf.
„Schön, dass du auch kommst!“ Bettina. Um Himmels Willen!
„Wo kommst du denn auf einmal her?“, entfährt es mir.
„Ich hab mir eine Blase in meinen neuen High Heels geholt. Da hab ich gerade ein Pflaster drauf geklebt. Guck mal, die sind toll oder? Und waren gar nicht teuer …“
„Hier stinkt’s total nach Rauch“, beeile ich mich zu sagen. „Ich geh lieber wieder raus.“ „Draußen regnet’s, und wohin willst du denn gehen? …“ Bettina leidet unter Sprechdurchfall der übelsten Art. Aber wo sie Recht hat, hat sie Recht. Keine Möglichkeit zu entkommen. Einen Nichtraucherraum gibt’s nicht. Achtzig Prozent der Belegschaft rauchen.
„… Möchte nur wissen, wieso ich mir da eine Blase geholt habe.“
„Mit Blasen hast du’s halt.“
Auftritt Carlos, wie immer in Che-T-Shirt und engen Jeans.
„Ach, Carlos. Was du wieder denkst.“
Bettina nimmt einen tiefen Zug aus ihrer Zigarette.
Alisa zieht ihr Kopftuch enger um sich. Ralf grinst über seinem Autoheft.
„Ihr könnt mir helfen, mein Rätsel fertig zu machen“, bietet Carlos großzügig an und knallt mit Schwung die Zeitung auf den Tisch.
„Dreh erst mal die Musik lauter“, fordert Bettina und fängt unter vollem Körpereinsatz an zu wippen.
Im Radio läuft ‚Bettina, pack deine Brüste ein’.
„Nix drin“, weigert sich Carlos zum Glück. „Ist schließlich nur deine blöde Hymne. - Wie sieht’s aus, Frau Müller: Griechischer Gott der Fruchtbarkeit?“
„Du weißt genau, dass ‚Müller’ nur mein Telefoniername ist“, faucht Alisa.
„Dionysos“, sage ich.
„Was du alles weißt“, schmollt Bettina. Es ist schon faszinierend, wie sie permanent hörbar schmollt – zumindest nach Ansicht der männlichen Kollegen. „Ein larmoyantes Weib“, hatte meine Ex-Kollegin Vicky dagegen seinerzeit befunden. Ob Vicky wohl jetzt einen besseren Job hat? Sie hat einfach hier gekündigt und sich nie mehr gemeldet.
„Irgendwo muss sich das dämliche Abi ja bezahlt machen“, entgegne ich rasch.
„Du hast Abi?“ Carlos tut überrascht.
„Da ist sie hier nicht die Einzige.“ Alisa ist mal wieder gut drauf.
„Du etwa auch?“, grinst Carlos.
„Du etwa nicht?“, schnappt sie zurück.
„Ich hab auch kein Abi“, wirft Bettina solidarisch ein und bedenkt Carlos mit ein paar Rauchkringeln.
„Das hätte ich nun nicht gedacht“, höhnt er.
Bettina schmachtet ihn geschmeichelt an. Zu mir gewandt meint sie laut:
„Ich hab einen neuen Typ. Aber der meldet sich nicht. Dabei hab ich ihm schon so oft auf den AB gesprochen. Der ist total süß. Und diesmal auch nur fünf Jahre jünger. Hab ich in der Disco am Sonntag kennengelernt. Der hat’s echt drauf…“
„Was?“, fragt Ralf und grient in sein Heft.
„Ich weiß schon, was du meinst“, kichert Bettina. „Ich bin ja nicht blöd.“
„Na hoffentlich ist das diesmal dein Mann für’s Leben“, sage ich boshaft.
„Das hoffe ich auch“, erwidert sie voller Ernst und fährt in ihrem immer gleichen Tonfall fort:
„Wie findest du meine neuen Extensions? Und guck, meine Nägel habe ich mir auch wieder verlängern lassen. Und nächste Woche geh ich dann zum Waxing. Tut das eigentlich weh unten rum, Alisa?“
„Wie kannst du dir das alles leisten?“, fragt die statt einer Antwort zurück. Komm, du weißt genau wie wir alle, dass die Frau auf Pump lebt!
„Habt ihr gestern auch so wenig verkauft wie ich?“, lautet wiederum die Gegenfrage.
„Darüber dürfen wir doch nicht reden“, tadelt Alisa.
„Jaja“, stöhnt Bettina. „Immer schön positiv. Wann kommt eigentlich dein Mann nach Deutschland, Alisa-Lisa?“
„Vorsicht: Chef“, zischt Ralf, und schon betritt Kerner mit federnden Schritten den ‚Käfig’:
„Geht’s euch gut?“
Wir liefern gehorsam ein munteres „Ja, Chef“ ab. Er zündet sich genussbetont seinen Zigarillo an und bezieht aufmerksam Position.
„Fehlt nur noch die afrikanische Wüste mit fünf Buchstaben. Am Anfang ist ein N“, rettet uns Carlos.
„Niger“, strahlt Bettina.
„Frau Reitmeier!“ Der Chef ist entsetzt. „Namib. Es muss Namib heißen. Der Niger ist doch keine Wüste. Ich bitte Sie!“
„Damamunga“, sagt Carlos.
„Bitte was?“ Kerner ist leicht irritiert.
„Das Lösungswort“, antwortet Carlos stirnrunzelnd.
„Und was ist ein Damamunga?“, fragt Bettina.
„Also, ich kenn nur einen DKW-Munga“, lässt sich Ralf vernehmen.
„Hört sich nach Auto an“, meint Carlos.
„Ja, ein super geländegängiges. Mit dem haben sie ganze Generationen von Soldaten ausgebildet. Wenn ich mein Haus abbezahlt habe, kauf ich mir einen. Geniale Kiste, sag ich euch. Zu Hause habe ich einen Bildband drüber. Wenn ihr wollt, bring ich den morgen mal mit.“
Es ist selten, dass Ralf so viel redet. Er ist voll in seinem Element.
„Mach das.“ Carlos klingt nicht wirklich begeistert.
„Ja und was ist denn nun ein Damamunga?“ Bettina lässt nicht locker.
„Die Dama sind ein südwestafrikanischer Volksstamm, soweit ich weiß“.
Wir schauen fragend auf Alisa.
„Naja“, meint sie verlegen. „Eine Freundin hat mir mal so Märchen aus Namibia geschenkt. Ich hab sie aber nicht gelesen.“
„Ein Damamunga ist so eine Art afrikanischer Zauberer“, klärt uns Carlos da auf. „Der kümmert sich um die unbefriedigten Frauen.“
„Echt? Und wie macht er das?!?“ Bettina ist sofort Wissensbegierde pur.
„Zauber“, entgegnet Carlos. „Er sorgt halt dafür, dass die Frauen zufrieden sind.“
„Also ein erfahrener, starker junger Mann“, stellt Bettina fest. „So eine Art Feuerwehr-Liebhaber. Geil.“
„Jung und erfahren. Wie im wahren Leben“, kommentiert Ralf.
„Nee“, widerspricht Carlos, „der sorgt einfach dafür, dass die mit ihren Männern zufrieden sind.“
„Einer, der die Männer die Liebe lehrt?“, hake ich jetzt nach. „Übernimmt das nicht eine Frau?“
„Nee, der bringt den Frauen das bei, dass die eben zufrieden sind.“
„Carlos, das musst du mir näher erklären“, verlange ich.
„Ja, also ich versteh das auch nicht“, klagt Bettina.
„Meine Pause ist rum.“ Alisa verschwindet naserümpfend.
„Und wie lange sind Sie schon hier, Frau Reitmeier?“, will der Chef wissen.
„Ich geh ja schon“, antwortet Bettina und schwenkt demonstrativ humpelnd ihre Hüften zur Tür hinaus.
„Na, Sie sind mir vielleicht einer, Carlos.“
Kerner klopft unserem Prachtstück auf die Schulter und verpasst mir ein „Aber dass Sie sich auf so was einlassen …“, bevor er gönnerhaft fortfährt: „Ach ja, Carlos, und das Lösungswort ist übrigens ‚Dalmatien’. Da ist Ihnen ein bisschen was durcheinander geraten.“
„Die Frauen laufen laut schreiend aus ihren Hütten, wenn sie Grund zur Klage haben. Evelyn S. Kessler. Sehr lesenswert.“
Damit verziehe ich mich in Richtung stilles Örtchen.
Bettina ist inzwischen wieder an ihrem Platz. Als ich an ihr vorbeikomme, höre ich ein leise geseufztes „Damamunga, ach ja.“
Dann greift sie pflichtbewusst zum Telefon: „Kanal 6. Die Hotline für Ihr Glück. Mein Name ist Beate Freud …“ Irgendwo auf meinem Schreibtisch zu Hause muss ich Vickys Handynummer verbuddelt haben …
Letzte Aktualisierung: 24.06.2009 - 12.26 Uhr Dieser Text enthält 7349 Zeichen.