'paar Schoten - Geschichten aus'm Pott
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Juni 2009
Das Erbe
von Sabine Barnickel

„Demut?“, wiederholte er.
„Ja, Demut, oder wenn du willst Hingabe. Und Achtung. Achtung vor anderen Menschen, dem Leben, der Natur“, sagte der alte Mann.
„Was soll das, alter Mann? Ich wollte von dir wissen, was das Damamunga ist. Und du faselst etwas von Demut und Achtung? Keine Ahnung, was sich mein Vater dabei gedacht hat.“
Damamunga, stand im Testament seines Vaters, das ist der Schlüssel zu Glück und Wohlstand, mein Sohn. Finde es selbst heraus, Du wirst schon sehen. Wenn Du Hilfe brauchst, wende Dich an den Weisen. Er wird Dir den Weg zeigen.
Das Schmunzeln des Alten schürte seine Wut. Doch dieser ließ sich nicht beirren.
„Es ist ein Rätsel, mein junger Freund. Dein Vater hat es gelöst.“
„Warum hat er mir dann nicht einfach die Lösung gegeben? Wäre doch viel bequemer gewesen.“
„Bequemlichkeit“, sagte der alte Mann, jetzt ernst geworden, „Bequemlichkeit gehört nicht dazu, Egoismus auch nicht. So wirst du nie den Mut finden, das Rätsel zu lösen und dein Erbe anzutreten. Komm‘ wieder, wenn du bereit bist.“
Der alte Mann beugte sich wieder über sein Buch. Das Gespräch war beendet.
„Dummer, alter Schwätzer“, murmelte der junge Mann.

Die nächsten Tage und Wochen verbrachte er in den Bibliotheken, durchforstete jedes Buch, dessen er habhaft werden konnte, nach einem Hinweis auf das Damamunga. Dabei entwickelte er eine Ausdauer, die er noch nie an sich selbst gekannt hatte, und vernachlässigte alles andere. Nach einer Weile kamen ihm die Worte des alten Mannes wieder in den Sinn. Demut und Achtung und Mut. Die Fülle an Wissen, die die Bücher boten, erfüllte ihn mit Demut. Die Menschen, die es niedergeschrieben hatten, verdienten Achtung. Bedurfte es auch Mut, dieses Wissen aufzunehmen. Ausdauer, ja. Aber Mut?

Die Erkenntnis vertrieb ihn aus den Bibliotheken. Draußen waren die Straßen voller Menschen. Männer, Frauen, Kinder. Reiche, Arme, Gesunde, Kranke. Der Anblick überwältigte ihn nach Wochen der Abgeschiedenheit. Bettler streckten ihre Hände nach ihm aus. Hatte es sie schon immer gegeben? Er konnte sich nicht daran erinnern, je auch nur einen bemerkt zu haben. Achtung, dachte er, ich habe sie nur nie beachtet. Ein Gefühl regte sich in seiner Brust: Mitgefühl. Und er gab den Armen und Hungrigen Brot, den Frierenden Kleidung. Für seine Veränderung erntete er Spott von seinen alten Freunden und nicht immer waren die Menschen dankbar für die Hilfe, die er ihnen anbot.

„Nur Mut, mein junger Freund“, sagte der weise Mann.
„Aber meine Freunde wenden sich von mir ab. Und die Menschen wollen meine Hilfe nicht.“
„Du bist auf dem richtigen Weg. Mitgefühl ist gut, aber nicht alles. Höre nur genau zu.“ Der Alte lächelte.

Er hörte zu, wie sich seine Freunde über die Faulheit der Bettler beklagten. Die wollten doch nur den Reichen das Geld aus der Tasche ziehen und nichts dafür tun.
Die Armen sagten, sie wollten kein Almosen, lieber verhungern, nicht als Schmarotzer leben müssen.
So hatte er das nie gesehen. Wie seltsam das Leben doch war.

Da war die Mutter mit den drei Kindern, eines war sehr krank. Er sagte zu ihr: „Komm‘ in mein Haus. Ich brauche eine Köchin. Meine ist alt und hat sich einen ruhigen Lebensabend verdient. Bringe deine Kinder mit, ich werde den Arzt für deinen Jüngsten bezahlen.“
„Aber was wird dann aus deiner alten Köchin?“ Er bewunderte ihre Selbstlosigkeit.
„Keine Sorge, ihr wird an nichts fehlen. Das verspreche ich.“ Und er hielt seine Versprechen.

Mit Umsicht verhalf er auch anderen zu Arbeit, Lohn und Brot. Anfangs verlachten ihn seine alten Freunde. Doch er blieb standhaft. Niemals ließ er Ungerechtigkeiten zu. Im Laufe der Zeit rief man ihn, um Streitigkeiten zu schlichten.

Eines Tages ließ ihn der Weise zu sich kommen.
„Mein junger Freund, meine Zeit geht zu Ende. Beantworte mir eine Frage bevor ich gehe … Sie rühmen deine Nächstenliebe, Gerechtigkeit und Aufrichtigkeit. Sag‘ mir: Bist du glücklich?“
„Ja“, antwortete er schlicht.
„Und bist du immer noch auf der Suche?“
„Auf der Suche?“
Der Alte lachte. „Nach dem Erbe deines Vaters natürlich. Nach Damamunga?“
Der inzwischen gar nicht mehr so junge Mann erwiderte das Lachen des Alten.
„Nein, mein weiser Freund. Das habe ich inzwischen gefunden.“

D emut
A chtung
M ut
A usdauer
M itgefühl
U msicht
N ächstenliebe
G erechtigkeit
A ufrichtigkeit
Ja, er hatte es gefunden: DAMAMUNGA, das Erbe seines Vaters, sein Glück und seinen Wohlstand.

Er hielt die Hand des Alten, bis dieser gegangen war.

Letzte Aktualisierung: 24.06.2009 - 12.23 Uhr
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