Mainhattan Moments
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Susanne Ruitenberg und Julia Breitenöder haben Geschichten geschrieben, die alle etwas mit Frankfurt zu tun haben.
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Juni 2009
Damamunga - der Rhythmus in Dir
von Katka Jäger

Zuerst kommt ein leichter Wind. Gefolgt vom Rauschen der Büsche und Baumwipfel ergibt sich schnell ein schönes wie bedrohliches Bild. Beim Rattern der Windräder auf den begrünten Balkonen der Stadt gehen die Türen auf und einige flüstern leise „gleich kommt es, das Gewitter!“. Die dunkelgrauen Wolken fliegen dahin, passend zu den Stimmungen darunter. Wie von unsichtbarer Hand dirigiert fügen sich alle Bilder rhythmisch zusammen: der immer stärkere Wind, das Geräusch der sich biegenden Äste, das langsame Einsetzen des Regens, das Klopfen der Wassertropfen auf die Bätter der Balkonpflanzen, das immer schnellere Rattern der Windräder.
Sie konnte nicht schlafen, so schwül-heiß war es weiterhin. Der Gewitterregen hatte nur kurz Kühlung verschafft. Sie wälzte sich herum, dann spürte sie den kleinen Hops: ihre kleine Katze war über ihren Rücken gesprungen, um sich gleich neben ihr auf dem etwas kleineren Kissen zu plazieren. Zuerst begann Speedy mit den Vorderpfoten den Stoff zurecht zu kneten, fast gleichzeitig setzte ihr rhythmisches Brummen ein – für sich gesehen wohl eine Art Katzensong, mit dem sie sich selbst einlullte. Susan liebte es, dem rhytmischen Brummen ihrer Katze zuzuhören, bis sie selbst einschlief und alles andere der Nacht überließ. Das sich Wälzen im Schlaf, das Drehen des Kofkissens, das Schnarchen, die verschiedenen Laute, die von draußen nach drinnen vordringen. Lautes Gerede von angeheiterten Kneipenbesuchern, das surrende Geräusch von Fahrradreifen, das Zuschlagen von Türen und das Aufheulen von wenigen Motoren. Manchmal kamen ein paar Extraakzente hinzu: schnellere Fahrzeuge, die plötzlich heftig bremsten, das dumpfe Knattern von Rotorblättern tieffliegender Polizeihubschrauber. Das rasche Hochziehen alter Jalousien von den Nachbarn unter Susan. Das Konzert der Nacht, das letzte Lied der Dämmerung wird abrupt aufgehoben – vom alles zerstörenden Alarm des Morgenweckers.
Die Katze Speedy beim Wassertrinken in der Badewanne, Susan beim Zähneputzen, das Radio mit seinem Morgenprogramm, das Blubbern der Kaffeemaschine, das Getrampel der Leute im Treppenhaus und das häufige Wegfahren von Autos und Motorrädern. Das Schminken im Bad. Die Suche nach den Kleidungsstücken für den Tag. Dabei beginnt Susan ihr ganz eigenes Lied vor sich hin zu summen ... „Damamunga, Damamunga ...“.




Das Konzert des Tages kennt jeder. Für viele sind die unterschiedlichen Rhythmen nur allzu bekannt. Der Lärm der Straße, die Bewegungen in den U-Bahn-Schächten, das Brausen der Züge, das Rascheln von Zeitungen, sich schnell verfliegende Sprach- und Wortfetzen der verschiedensten Sprachen, das Klappern von Schuhen und später das leise Klimpern von Computertasten, das Läuten der Telefone, das Klingeln der Faxgeräte, die Küchengeräusche einer Kantine, die Klospülung, das Auf- und Zudrehen von Wasserhähnen.
Am Dienstag liebt es Susan besonders, wenn der Tag schnell vorüberfliegt, denn abends ist das Training. „Damamunga ...“ singt sie vor sich hin.
Immer wiederkehrende Bilder und Rhythmen: das schnelle Betreten des Gebäudes, das Rennen die Treppen hinab, das Auf- und Zumachen von Türen, von Schränken, von Taschen. Kurzes Waschen der Füße, schnelles Abtrocknen, rasches Ablegen der Straßenkleidung, sorgfältiges Anziehen des Gi, der Karatehose, - jacke und das Zusammenziehen des Blaugurtes. Das Auf- und Zuziehen der Tür zum Dojo, dem Ort, an dem Kampfkunst gelehrt und trainiert wird.
Zuerst die ganz normalen Geräusche wie bei größeren Kindern in einer Turnhalle. Gehüpfe, Gelächter, Bälle, die gegen die Wand geworfen werden, sich lautes Unterhalten, das weitere Öffnen und Schließen von Türen – bis nur noch einmal die Tür aufgeht: der sensei, der Lehrer. Das stumme Läuten. Die langsam eintretende Stille. „Damamunga“ geht es Susan durch den Kopf. Dann versucht auch sie, an Nichts zu denken. Kara – die Leere. Zen – Stille. Das Sein im Nichtsein. Eine Reihe von Schülern, deren Können über die Gurtfarben symbolisiert werden. Vor ihnen der sensei. Alle im zazen-Sitz. Kaum hörbare Rhythmen, das Ein- und Ausatmen, der ganz eigene Herzschlag, das kaum hörbare Rascheln der Dojokleidung. Dann die Worte des ranghöchsten Schülers: „Shomeni rei, sensei rei, gakusai rei!“ - Die Begrüßung der Götter, des Lehrers, der Schüler. Schüler und Lehrer verneigen sich voreinander, stehen auf und verbeugen sich nochmals. Susan lauscht in sich hinein, „Damamunga“ ... das Training beginnt.
Auch da hat alles seinen eigenen Ablauf: Gymnastik, Grundschule, Partnerübungen und zuletzt die Kata, eine Art Schattenkampf in verschiedene Richtungen. Jede Kata hat einen Namen, einen Schwierigkeitsgrad, ist dazu da, besondere Verteidigungs- und Angriffstechniken zu üben. Aus etwa 20 bis 24 Bewegungen bestehend, hat jede Kata ihre eigene Geschwindigkeit und im Ablauf der Bewegungen ihren ganz eigenen Rhythmus. „Damamunga ...“, spürt Susan.




Als sie das Dojo verläßt, hat die Nacht ihren Platz zurückerobert. Weniger Menschen, weniger Geräusche, aber wieder mehr Wolken und ein Wind, der langsam stärker wird. Susans Haare sind verschwitzt und verstrubbelt. Verspielt baumelt ihre weiche Trainingstasche um ihren jetzt wachen Körper. Es sind die wenigen Seitenstraßen, die Susans Aufmerksamkeit jede Woche neu auf die Probe stellen. Ein weißes Auto, das im Halbdunkel nun eher grau aussieht, fährt langsam an Susan vorbei. Dann biegt es ab. Zwei Fahrräder huschen vorbei. Unweit von Susan hält der Nachtbus kurz an einer Haltestelle, um gleich wieder weiter zu fahren. Susan hat ihre ganz eigene Schrittgeschwindigkeit. Die verändert sie auch nicht, als sich ein Schatten aus einem Hauseingang löst, langsam auf sie zukommt. Dann stoppt Susan. Kara – die Leere. Kein Raum für irgend etwas, auch nicht für Angst. Auch nicht, wenn der Schatten größer wird. Der Rhythmus ist in Dir, spürt Susan. Der Schatten weicht zurück. „Damamunga ...“, flüstert sie.

Letzte Aktualisierung: 08.06.2009 - 20.07 Uhr
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