Futter für die Bestie
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Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten-
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Juni 2009
Wie schreibt man Damamunga?
von Ingo Pietsch

Lange mache ich das hier nicht mehr mit – dachte Deniz.
Ein Blick auf die Uhr ließ ihn noch mehr schwitzen: 32 Sekunden waren vergangen und damit 2 Sekunden mehr als erlaubt.
Schnell drehte er den Fleischrohling mit dem Pfannenwender auf die andere Seite. Nervös sah er sich über die Schulter, aber sein Teamchef hatte nichts gemerkt. Der saß in seinem Büro und hackte auf seine Rechenmaschine ein.
Seit einem halben Jahr machte Deniz diesen Schichtdienst schon.
Zu dritt standen sie an der Arbeitsfläche: der Erste wärmte die Brötchenhälften, der Zweite briet die Rohlinge und der Dritte „bastelte“ den Burger aus dem vorgestanzten Gemüse und der Fertigsauce zusammen – und das alles genau nach Anweisung und in Rekordzeit.
Ein Piepen verriet Deniz, dass das nächste Fleisch dran war – nur noch vier Stunden bis Arbeitsende.

Schon als Deniz die Wohnungstür öffnete, befand er sich in einer völlig anderen Welt. Die Gerüche der türkischen Küche, die auf ihn hereinströmten, unterschieden sich von denen des Fast-Food-Restaurants wie Tag und Nacht.
Deniz` Vater Ibrahim war gerade dabei, eine deftige Bohnensuppe zu kochen.
Er lugte auf den Flur hinaus und sah auf den ersten Blick, dass mit seinem Sohn etwas nicht stimmte: „Deniz, mein Sohn, was ist los?“, fragte er in leicht gebrochenem Deutsch.
„Ich bin jetzt seit einem halben Jahr mit der Schule fertig und jobbe in dieser Burger-Bude. Ich habe keine Ahnung, was ich jetzt machen soll. Irgendwas fehlt in meinem Leben. Ich brauche eine richtige Perspektive.“
Ibrahim wusste über die Nöte seines Sohnes Bescheid. Er kannte seine Stärken und Schwächen.
„Hast du schon mal daran gedacht, im Laden deines Onkels zu arbeiten? Da stehst du nicht so unter Druck, kannst alles viel leichter anpacken und außerdem bleibt das Geschäft in der Familie!“
Deniz antwortete darauf nichts, ließ sich die Sache aber noch mal durch den Kopf gehen.
Vielleicht würde ihm die Veränderung gut tun und er würde dann auch mal was anderes sehen.

Deniz hatte den Ratschlag angenommen und sein „Onkel“ hatte nichts dagegen. Er war zwar nicht sein richtiger Onkel, aber irgendwie und um drei bis vier Ecken mit ihm verwandt.
Nasirs Basar hieß das Geschäft, war ein Gemischtwarenladen mit türkischen Spezialitäten und befand sich mitten in der Fußgängerzone der City.
Das Geschäft lief in letzter Zeit allerdings nicht mehr so gut. Die großen Supermarktketten machten Nasir mit einer immer größer werdenden Auswahl an ausländischen Produkten und niedrigeren Preisen das Leben schwer.
Mit Deniz` Anstellung erhoffte er sich mehr Jugendliche in seinen Basar zu locken.
„Manchmal wünschte ich mir, wieder ganz in die Heimat zu gehen und nicht nur im Urlaub.“
Doch dann erinnerte sich Nasir daran, dass die Türkei zwar schön war, es ihm in Deutschland aber besser ging.
„Man müsste die Leute mit irgendwas locken, was sie nicht überall bekommen.“

Dieser Satz hing Deniz noch bis in den Abend in den Gedanken.
Halil, Deniz` Mutter, war gerade dabei, das traditionelle Damar Ongar zuzubereiten.
Dabei handelte es sich um mageres Rindfleisch, in dünne Scheiben geschnitten und mit Joghurt und Marinade abwechselnd wie Lasagne in einer Auflaufform geschichtet.
Das Ganze wurde im Ofen gebacken und anschließend mit Reis, Tomaten, Salat, leckerer Knoblauchsauce und Fladenbrot serviert.
Der Joghurt zog während des Garens ins Fleisch und machte daraus einen kompakten Braten, der dann zum Essen wieder portioniert wurde.
Deniz liebte dieses Essen und eigentlich kochte seine Mutter es nur, wenn Feiertage waren oder ein besonderer Anlass bestand.
„Gibt es was Besonderes zu feiern?“, fragte er seine Mutter.
Halil überlegte kurz: „Ach so, du meinst, weil ich das Damar Ongar zubereite? Nein, mir war einfach danach, und außerdem weiß ich doch, wie gerne ihr das esst.“
In Deniz` Kopf machte es Klick und jetzt hatte er eine Idee, wie er den Laden seines Onkels in Schwung bringen konnte.

„Was hältst du davon, wenn wir hier Damar Ongar verkaufen würden? Schon fertiges natürlich!“
Nasir war davon nicht so begeistert. „Deniz, das ist zwar eine gute Idee, aber wir betreiben hier kein Restaurant, sondern ein Gemischtwarenladen. Aber wenn du dich darum selber kümmern würdest, könnte ich dir unter die Arme greifen.“

Den ganzen Tag dachte Deniz nur noch an das Damar Ongar und wie man es am besten vermarkten konnte. Er machte sich Notizen und plante schon die Mengen an Gemüse, Fleisch und Fladenbrot, die er am Anfang brauchen würde.
Ganz oben auf der Liste standen ein Verkaufsstand, ein Grill und eine Möglichkeit, den Salat zu kühlen.
Einen Stand hatte sein Onkel nicht, aber dafür eine alte Popcornmaschine. Die bestand aus einem großen Glaskasten auf der linken Seite und einer Ablagefläche auf der Rechten. Darunter war genügend Stauraum für Servietten und Tüten. Außerdem stand die gesamte Konstruktion auf Rädern und war somit mobil.
Einen Tischgrill fand sich auch noch in Nasirs Lager. Ein ausrangiertes Edelmetall-Waschbecken konnte als Wanne für die Salate dienen.

Zuerst trennte Deniz die rückwärtige Scheibe des Glaskastens heraus. Dann sägte er ein Loch von der Größe des Beckens in die rechte Platte und befestigte es darin. Der Grill wurde in den Glaskasten geschoben und das Fleisch war von äußeren Einflüssen geschützt. In die Wanne kam zerstoßenes Eis und darauf standen dann die Teller mit dem Salat – Weißkohl, Rotkohl, Gurke, Tomate und die Knoblauchsoße.
Das Fleisch bereitete seine Mutter schon am Vortag vor, sodass es auf dem Grill nur noch erhitzt zu werden brauchte.
Verkaufen wollte Deniz das Damar Ongar auf Papptellern mit Plastikgeschirr. So fiel das lästige Abwaschen weg.
Den Strom gab es von Nasir und dann konnte es losgehen.

In der ersten Woche war der Andrang eher gering: 12 Damars gingen über die Ladentheke. Deniz hatte hauptsächlich mit dem Fleisch zu kämpfen – er konnte den Braten gar nicht schnell genug umdrehen und das Fleisch abschneiden, wie es anbrannte. Der Geruch verschreckte natürlich die potentiellen Kunden. Außerdem brach das billige Plastikgeschirr ab und die Käufer klagten darüber, dass sie nirgends einen Platz zum Abstellen der Teller fanden.
Dem wurde durch einen Bistrotisch abgeholfen.
Der herbe Rückschlag stellte sich am Samstag ein: durch das ständig tropfende Fleisch, auch wenn es sehr mager war, bekam der Grill einen Kurzschluss.
Also musste Deniz einen neuen besorgen.
Trotzdem gab es noch das Problem mit dem Drehen.
Die Lösung fand Deniz am Ende Woche bei seiner Mutter.
Halil nähte den Saum einer Hose um. Sie nutzte dazu ihre elektrische Nähmaschine. Deniz fragte sie wie die Maschine genau funktionierte und sie erklärte es ihm: über ein Fußpedal konnte die Geschwindigkeit reguliert werden und auch auf Automatik mit jeder beliebigen Geschwindigkeit gestellt werden. Dabei rollte sich die Spule mit dem Garn ab.
„Sag mal, Mama, kannst du mir deine Maschine zufällig mal leihen?“
„Nein, Deniz, die kannst du nicht haben, aber ich habe im Keller noch eine ältere ausrangierte.“ Sie hatte keine Ahnung, wozu er die Nähmaschine brauchte und auch nicht den Mixer, den sie am Sonntag vergeblich gesucht hatte, weil sie einen Kuchen backen wollte.

Ein befreundeter Elektriker verband die Kabel des Pedals zur Geschwindigkeitsregulierung mit dem Regler des Mixers. Diesen montierte Deniz verkehrt herum unter den Glaskasten seines Damar-Ongar-Mobils. Er klinkte einen Rührstab ein und konnte darauf den Braten spießen.
Den neuen Grill stellte er hochkant an die Scheibe mit den Heizelementen zum Spieß. Jetzt konnte das Fleisch nicht mehr anbrennen und per Pedal drehte sich alles von alleine.

In der zweiten Woche kam der große Durchbruch: über fünfzig Damar Ongars wanderten über die Ladentheke. Selbst Nasir konnte es kaum glauben. Und auch seine Eltern waren begeistert.
Trotzdem gab es immer wieder Beschwerden wegen des Bestecks. Irgendwann sagte einmal eine Kunde: „Steck das Fleisch und den Salat einfach in das Fladenbrot, dann kann ich es unterwegs essen!“
Deniz überlegte nicht lange. Und so wurde der Damar Ongar im Fladenbrot so ein Verkaufschlager, dass in der dritten Woche über einhundert Stück verkauft wurden.
Gerade zur Mittagszeit und abends nach Geschäftsschluss der anderen Läden gab es ein regelrechtes Gedränge an Deniz` Stand.

Nasir stieg in den Damar Ongar Handel mit ein und wurde Partner. Sie kauften zusammen eine große Kühltheke und einen richtigen Drehspieß.
Die Nachfrage an der Köstlichkeit wurde größer und größer, sodass sich selbst die Lokalpresse dafür interessierte.
Ein Reporter stellte sich eines Tages vor und wollte einen Artikel über das Produkt schreiben, das dem Hamburger Konkurrenz machte.
Er ließ sich alles haarklein von den ersten Anfängen und über die Herstellung erzählen.
„Sagen Sie mal“, fragte er weiter: „Wie schreibt man eigentlich Damamunga?“
„Es heißt nicht Damamunga“ , antwortete Deniz, „sondern: Damar Ongar.“
„Und was bedeutet es?“
„Das ist türkisch. ´Damar´ steht für Ader oder Vene und ´Ongar´ wird übersetzt mit „Befreiung“. Sinngemäß lautet es: Die Kraft, die durch die Adern fließt.“
„Ganz schön kompliziert! Haben Sie nicht vielleicht einen anderen, einfacheren Namen dafür?“
„Aber es heißt nun einmal Damar Ongar!“
Der Blick des Reporters fiel auf das Namensschild. „Warum benennen wir es nicht nach Ihnen?“
„Soll es Deniz genannt werden?“
„Nein, aber wie wäre es mit Döner?“, denn auf dem Schild stand D.Öner – Deniz Öner.

Letzte Aktualisierung: 22.06.2009 - 15.56 Uhr
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