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Juli 2009
Dumm fickt gut
von Andreas Schröter

Als er den Schlüssel nachts um drei ins Haustür-Schloss seiner Pension steckte, war Michael stocksauer. Warum um alles in der Welt hatte er sich darauf eingelassen, zu diesem saublöden Klassentreffen in dieses Kaff zu fahren? Das waren doch alles Idioten hier. Und schon damals, nach dem Realschulabschluss, hatte er sich geschworen, sie möglichst nie wieder zu sehen. Warum hatte er das verdammt noch mal nicht in die Tat umgesetzt? Er passte einfach nicht zu diesen Leuten. Hatte noch nie zu ihnen gepasst. Er war schließlich aufs Gymnasium gewechselt, hatte Kunstgeschichte und Musik studiert und es bis zum wichtigsten Konzertkritiker des bedeutendsten Kultur-Magazins in Berlin gebracht. Jawoll!

Und nun mühte er sich mit einem blöden, schlecht passenden Schlüssel irgendwo in der Prärie ab. Er hätte heute beim Schubert-Klavierfestival sitzen sollen, das nun irgendein armseliger Volontär genießen durfte. Ärgerlich, so was. Seine Klassenkameraden waren Automechaniker geworden – wenn es gut für sie gelaufen war. Oder Aushilfs-Einkaufswagenzusammenschieber im Supermarkt. Oder gleich arbeitslos.

Und sie mochten ihn, den Gewinner, nicht. Logo, der blanke Neid! Vorhin, kurz bevor er endgültig die Nase voll gehabt hatte, hatte Stefan, der Autowaschstraßen-Bediener, ihn in den Arm genommen – eine Spur zu hart, als dass man es noch hätte als freundschaftlich bezeichnen können – und hatte ihm sternhagelvoll etwas ins Ohr geflüstert: „Du bist ein arrogantes Arschloch geworden, aber auch wenn du dir noch so viel Haydn oder Wagner oder wie die ganzen Wichser heißen, anhörst: Eines haben wir dir hier alle voraus ...“ Schweigen. Der Griff lockerte sich kurz und Michael hoffte schon, den alkoholgeschwängerten Vortrag hinter sich zu haben, als sich Stefan noch einmal aufraffte und umso fester zupackte. Michael hätte fast aufgeschrieen. „Das da!“ Er folgte Stefans Blick Richtung Toiletten-Eingang, aus dem soeben eine Frau kam, die Michael vorher noch nicht bemerkt hatte: gertenschlank, schwarze, in Stufen geschnittene Haare, knielanger Rock, rote Stöckelschuhe ... Wer zum Teufel war das? Stefan nahm Michaels Kopf in beide Hände und drehte ihn in seine Richtung. Dann verzog er sein Gesicht zu etwas, was möglicherweise ein Grinsen darstellen sollte, und hauchte die drei Worte, die Michael seither nicht mehr aus dem Kopf gingen:

„Dumm fickt gut.“

Scheiße, warum musste er nun immerzu daran denken? Wieso hatte ein Sturzbetrunkener so viel Macht über ihn? Vielleicht weil Karin, so hatte Stefan die Frau genannt, atemberaubend gut ausgesehen hatte? Weil er seit zwei Jahren keinen Sex mehr gehabt hatte? Statt dessen seit drei Monaten eine äußerst komplizierte Beziehung zu einer Frau, die am liebsten über die Farbgebung bei Monet, ihrem Lieblingsmaler, dozierte. Herrje. Als Michael einmal seinen Arm in ihre Richtung gestreckt hatte, war sie schreiend aufgesprungen und hatte ihn aus der Wohnung geworfen – nur um ihm am nächsten Tag wieder eine E-Mail mit der Frage zu schicken, zu wie viel Prozent ihre Bilder wohl denen Monets glichen. Er durfte ankreuzen: 1 Prozent, 5 Prozent, 7,5 Prozent. Er kreuzte 7,5 Prozent an, um sie schneller ins Bett zu kriegen. Gebracht hatte es bisher nichts.

„Dumm fickt gut.“ Und wenn nun was dran wäre? Bei dem Gedanken spürte er, wie sich in seiner Hose etwas regte. Wieso dachte ein intelligenter Mann wie er, der über solchen Dingen stehen sollte, nun permanent an einen solch saudummen Spruch? Scheiße! Es wurde jetzt echt Zeit, dass er diese verkackte Tür aufbekam.

Genau in dem Moment, in dem sie tatsächlich aufsprang, legte sich eine Hand auf seine Schulter, und Michael fuhr erschreckt herum. Er blickte genau in Karins dunkle Augen. „Darf ich reinkommen?“, fragte sie mit rauchiger Stimme.

* * *

Gemeinsam den Flur bis zu seinem Zimmer entlangzuhetzen und auch die Zimmertür zu öffnen, war ganz leicht. Was folgte, war:

-) ein bunter Sternenregen
-) eine Kaskade voll von fluoreszierendem Licht
-) eine Meteoritenflug mit langem Feuerschweif
-) der Feuerstoß eines ausgewachsenen Drachens
-) und zuletzt die Explosion einer mittelgroßen bis großen Sonne

* * *

Als die diesmal echte Sonne aufging, lagen Karin und Michael ganz ruhig nebeneinander. Ihre Augen waren offen. Geschlafen hatten beide nicht. Karin dachte: „Endlich habe ich meinen Traummann gefunden“ – Michael dachte: „Dumm fickt gut“. Sein Gehirn war seit dem vorigen Abend in einer Art Endlosschleife gefangen. Nur langsam drangen weitere Gedanken in sein Bewusstsein: Wie kam er aus diesem Zimmer, ohne sich das vermutlich total verquaste Zeug von dieser Karin anhören zu müssen – wie lieb sie ihren Hamster Mausi hatte und wie gemein die Kolleginnen beim Friseur immer zu ihr waren. Um die Sache möglichst schnell hinter sich zu bringen, fragte er sie geradeheraus: „Und was machst du so beruflich?“
„Ist das wichtig?“ Sie setzte sich auf und zog zu Michaels Enttäuschung das T-Shirt an, das zerknubbelt neben dem Bett gelegen hatte.
„Äh ...“, er beschloss, das Thema zu wechseln, „wieso kenne ich dich nicht von früher?“
„Weil ich nicht in eurer Schule war. Jeder durfte noch jemanden mitbringen, schon vergessen? Ich bin mit Stefan gekommen.“
Stefan also. Um Himmels Willen. Da hatten sich ja zwei gefunden ... Er würde gleich so tun, als ob er ins Bad ginge, dachte Michael, stattdessen aber einfach verschwinden. Seine Sachen könnte er ja später abholen, wenn Karin weg war. „Und wieso hat dein Stefan nichts dagegen, dass du mir nachrennst?“
„Weil er leider stockschwul ist.“
„Was? Aber er hat doch gesagt ...“
„Dumm fickt gut?“
„Ähh – ja.“
„Bist du böse?“ Sie griff nach seiner Hand. „Bitte sei nicht böse!“
„Ähh - wieso?“
„Es war Stefans Idee. Er bildet sich ungeheuer viel darauf ein, Menschen nur nach Beobachtung ihrer Gesten und ihres ganzen Auftretens beurteilen zu können. Und bei dir hat er eben gemeint, mit einem solchen Spruch aus der Proll-Kiste seist du am besten anzuturnen. Ich habe ihm doch den ganzen Abend in den Ohren gelegen, wie toll du aussiehst. Da haben wir’s eben probiert.“
„Da habt ihr’s probiert ...“
„Und es hat ja auch funktioniert.“ Sie beugte sich zu ihm und gab ihm einen Kuss.
„Ganz schön durchtrieben für einen Autowaschstraßen-Helfer.“
„Was? Das hat er dir erzählt?“ Karin lachte. „Typisch Stefan. Er ist Schauspieler und hat soeben ein Engagement an der Metropolitan Opera in New York ergattert. Er muss da einen prolligen deutschen Touristen spielen, der ewig betrunken ist. Wahrscheinlich hat er gestern einfach ein bisschen geübt.“
„Jetzt sagst du mir vermutlich gleich, dass er auch gar nicht betrunken war.“
„Das ist vielleicht der einzige Kritikpunkt, den ich an Stefan habe: Er trinkt nicht, raucht nicht und isst kein Fleisch. Manchmal geht er mir damit das ganz schön auf den Geist.“
Karin stand auf und verschwand im Bad.
Das Rauschen der Dusche hatte soeben eingesetzt, als der Song „Born to be wild“ aus Karins Jeansjacke ertönte. Ihr Handy. Sollte er rangehen? Er robbte aus dem Bett und angelte sich ihr Motorola aus der Jacke: „Hallo?“
„Ähh – ist da nicht Karin Mechler?“ Die Stimme einer jungen Frau.
„Doch, doch, sie kann gerade nicht. Kann ich was ausrichten?“
„Ohh“ – die Stimme wurde förmlicher, „ja, richten Sie Professor Mechler doch bitte aus, ihre Sekretärin habe angerufen, es gebe da ein Problem mit einem ihrer Doktoranden. Sie möge bitte einmal kurz im Institut zurückrufen.“
„Ähh – okay!“ Michael drückte die rote Taste des Telefons und sank in die Kissen zurück. Er hatte plötzlich das Gefühl, dass sich das Zimmer um ihn drehte.
Beethovens Neunte erklang. Sein eigenes Handy.
„Ja, bitte?“
„Hör mal, ich habe der Wiese im Vordergrund nun etwas mehr Grün beigemischt. Ich glaube, das kommt der Farbwahl Monets etwas näher.“
„Meine Liebe, ich muss dir etwas gestehen. Ich finde, deine Bilder haben noch weniger als 1 Prozent mit Monet zu tun. Vielleicht 0,025 Prozent.“ Ohne ihre Antwort abzuwarten, drückte er die rote Taste und lauschte dem Rauschen der Dusche. Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus.

Letzte Aktualisierung: 09.07.2009 - 10.26 Uhr
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