Der Cousin im Souterrain
Der Cousin im Souterrain
Der nach "Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten" zweite Streich der Dortmunder Autorinnengruppe "Undpunkt".
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Juli 2009
Der Gärtner ist IMMER der Mörder
von Sabine Poethke

„James, gereiche er mir doch bitte frischen Tee“, säuselte Hertha von Beerenstein ihrem Butler zu. Wie sie lächelte, sah pikiert aus, und sie hob, was den Eindruck der vornehmen Etikette noch unterstützte, ihre Nase etwas höher, während sie erwartete, dass ihrer Weisung Folge geleistet werde. Trotz ihres reifen Alters, sie schien mindestens hundert zu sein, machte sie einen recht munteren Eindruck. In ihrer Jugendzeit musste sie eine sehr schöne Frau gewesen sein.
Mit spitzen Fingern angelte sich die alte Dame eine Weinrebe und begann die Trauben abzuklauben.
„My Lady.“ In steifer Körperhaltung schenkte James, der eigentlich Oskar Fräghoff hieß, das Gewünschte nach. Dann schlurfte er, obwohl gerade vierundvierzig Jahre alt, zum Teewagen. Butler sein hieß, ein alter James zu sein. So wünschte es Frau von Beerenstein, und wer so gut bezahlte, der hatte eben Recht.
Hertha schlürfte ihren Tee bis auf den letzten Anstandstropfen, erhob sich von ihrem Sessel, kniff die Sehschlitze eng und sah durch ein Monokel auf ihren Butler, während sie sprach: „Er kann abräumen. Ich werde nach dem Fünf-Uhr-Tee jetzt ein Stündchen ruhen, wie jeden Tag, James.“ Sie wandte sich der Treppe zu, die in ihre Gemächer führte.
Endlich Pause, dachte Oskar. Ihm tat von dem steifen Getue arg das Kreuz weh.
Doch kaum hatte Hertha ein paar Stufen erklommen, blieb sie stehen und drehte ihren Kopf zurück. „Sage er dem Gärtner, ich wünsche frischen Salat für Minka.“
Fräghoff erwachte, kaum das die Alte außer Sicht, aus der steifen Körperhaltung. Mit einem Seufzer und raschen Schrittes lief er zur Terrassentür und sah sich suchend um. „Gustav. Gustav! Bist du am Start?“, rief er mit gepresster Stimme in Richtung Garten, und eilte, als er keine Antwort erhielt, in den selbigen hinaus, um dem Gärtner den Auftrag zu überbringen.

„James, kann er mir auf die Terrasse helfen?“ Hertha war noch schlaftrunken und blickte sich verwirrt um. Wo steckte James nur? Es war doch sonst nicht seine Art, so auf sich warten zu lassen, wenn sie läutete. Holprigen Ganges schritt sie, sich auf die Suche zu machen. Der Mond spiegelte sich im Gartenteich, die Rosenbüsche verströmten ihren süßen Duft und warfen bizarre Schatten auf die Wiese. Die Trauerweiden schwenkten ihre Zweige wie baumelnde Arme. Hertha von Beerenstein atmete schwer. Ihre Augen weiteten sich. Ein stechender Schmerz in ihrem Herzen ließ sie aufschreien, verzweifelt fasste sie sich an die linke Brust. „Nein“, röchelte sie und stolperte ein paar Schritte, bevor sie vornüber fiel. Das Aufspritzen des Wassers bemerkte die alte Dame schon nicht mehr, auch nicht das rote Licht um sie herum
„Oskar, hast du das gehört? Hat’s gebimmelt?“, fragte Gustav und hielt mitten im Schachzug inne. Die beiden Bediensteten saßen bei Korn und Chips im Angestelltentrakt und frönten ihrer Lieblingsbeschäftigung.
„Nö.“ Oskar sah gespannt auf die in der Schwebe verharrende Spielfigur des Gärtners.
„Aber, jetzt. Da war doch was! Im Garten. – Ha. Schach und matt!“ Gustav lächelte. „ Ich dachte, die Alte hätte deinen Namen gerufen.“
„Verdammt, olle Beerenstein. Die hab ich übers Spiel ja ganz vergessen!“ Der Butler sprang auf und sah auf die Uhr. „Verdammt!“, rief er abermals und rannte los.
Gustav klappte das Schachspiel zu, ging zum Seiteneingang und schloss die Tür von außen. „Hierher!“, hörte er Oskar schreien. „Ich hab sie!“ Hektisch folgte er dem Lichtkegel.
Der Butler hielt die Taschenlampe auf einen Kleiderhügel zu seinen Füßen. „Die ist hin“, stellte er ziemlich rüde fest.
Gustav zuckte zusammen. „Wie konnte ... Himmel, wie erklären wir das?“
„Unfall. Klar, war es doch auch“, schlug Oskar vor. "Was sonst? Dass du sie um die Ecke gebracht hast ...“ Er versuchte zu lachen.
„Das ist nicht witzig! Komm, ziehen wir sie aus dem Teich. Mensch, wird sicher kein schöner Anblick!“ Der Gärtner rannte zum Haus, holte Gartenfackeln und entzündete sie.
Die beiden Männer packten den leblosen Körper, rutschten im Uferschlamm des Gartenteiches aus, wurden pitschnass, zerrten die Leiche ins Gras, wo sie Hertha von Beerenstein auf den Rücken wälzten.
„Verdammt“, rutschte es Oskar abermals heraus. „Der steckt ja ein Skalpell in der Brust … und mit Augen schließen ist auch nicht viel … Pfui Geier, wer macht denn soetwas?“
Die Höhlen der alten Lady klafften leer aus dem eingefallenen Gesicht. Ihr Mund wirkte verzerrt und war sperrangelweit geöffnet.
„Scheiße, Scheiße, was nun?“, Gustav schüttelte sich. „Wir müssen die Gendarmerie holen. Gott sei Dank haben wir beide ein hieb- und stichfestes Alibi!“ Mit der Hand wischte er sich den Schweiß von Nase und Stirn und hinterließ dabei Spuren aus Dreck. Die Gesichter der Männer sahen unwirklich aus im flackernden Licht der Fackeln. Doch selbst in diesem Schummerlicht konnte jeder die Angst in den Augen des anderen sehen.
„Er muss noch hier sein“, flüsterte der Butler und sein Blick glitt durch den düsteren Garten.
„Wer?“
„Oberst von Gatow mit dem Kerzenständer in der Bibliothek …“ Oskar wurde hysterisch. „Was meinst du? Der Mörder natürlich! Scheiße, er beobachtet uns vielleicht! Hier im Fackelschein sind wir die ideale Zielscheibe!“
Statt einer Antwort rannte der Gärtner los, Richtung Terrassentür, und verschwand ohne sich umzuschauen im Haus.
Oskar Fräghoff, welcher gleichermaßen erschrocken nur einige Sekunden später in Richtung Haus floh, sah das rote Licht trudeln. Es kam unaufhaltsam auf ihn zu. Der Butler schrie. Und schrie. Strauchelte am Kopf getroffen, kroch weiter, bis er vor der Tür gänzlich zusammensackte und verstummte, das blutige Gesicht an die Scheibe gepresst.

Mit zittrigen Fingern wählte Gustav drinnen indessen die Nummer der Gendarmerie, um dem Kommissar den Mord an seiner Arbeitgeberin zu melden und Hilfe zu holen. Doch als er zur Glastür zurückkehrte, fand er dort, und der Fund ließ ihm beinahe das Blut in den Adern gefrieren, den toten Butler. Sah ihm direkt ins ... schrecklich! Gustav erstarrte. Jeden Moment erwartete der verschreckte Mann das Gesicht des Mörders vor sich hochschnellen und ihn durchs Glas anstarren zu sehen. Gleich … Gleich … Harrr! Harrr! Das Tatütata der Sirenen ertönte.
Gustav schickte ein StoĂźgebet gen Himmel!
Während der Beerensteinsche Gärtner, den Kopf durch seine Hände gestüzt, fast erleichtert in der Küche hockte, die ersehnte Rettung nahte, und er hoffte, alles nähme bald ein gutes Ende für ihn ... fiel sein Blick, durch ein rotes Licht, aus den Augenwinkeln wahrgenommen, angelockt, wieder zur leblosen Hertha von Beerenstein in den Garten hinaus. Was er da erblickte, übertraf den ganzen Schrecken der letzten Stunde noch um Längen!
Verwirrt fanden sie ihn später neben der Leiche. Stotternd beantwortete er die Fragen der Gendarmen, die verhalten hinter seinem Rücken lächelten und sich dabei an die Stirn tippten.
„Und während Sie Schach spielten, also, Sie und der Butler James, der eigentlich Oskar Fräghoff hieß, hörten Sie Schreie aus dem Garten. Aha“, sagte Kommissar Hecht mit höhnischer Stimme. „Das Blut kam natürlich an ihren Körper, weil Sie gemeinsam mit dem Butler die alte Dame versuchten zu retten.“
„Zu bergen eher, denn sie war ja schon tot“, warf Gustav berichtigend ein.
„Hmm, das Skalpell hat also nicht ihre Fingerabdrücke?“ Der Mann im karierten Outfit öffnete seinen Mantel und ein pinkfarbener Pullover stach grell hervor.
„Weil ich es im ersten Affekt rausziehen wollte. Es klingt für Sie sicher komisch, aber ich habe mit den Morden nichts zu tun!“, beteuerte der Verdächtige und ahnte schon an dieser Stelle, dass seine Aussichten auf Entlastung wohl nicht so rosig waren.
„Nun, Herr Gustav, wie lautet ihr Nachname?“ Kommissar Hecht zog eine Augenbraue hoch.
„Stecher“, nuschelte der Gärtner und kaute an seinen Fingernägeln.
„Ja, Stecher, so ein Zufall. Da ist der Gärtner nicht nur der Mörder, sondern der Name ist auch noch ….“ Hecht zog sein klingelndes Handy aus der Tasche und telefonierte. „Geständnis? Soweit sind wir lange nicht … Ja, so ein Zufall aber auch. Gut, dass Sie sich gleich gemeldet haben! Bis später.“ Dann wandte er sich wieder an den Verdächtigen. „Das war die Freundin der Verstorbenen. Das es ein Testament gab, in dem der Butler alles erben sollte und sie als nächster eingesetzt waren, falls dem Fräghoff was passieren würde … wussten Sie natürlich nicht?“
„Ich, ich höre jetzt das erste Mal etwas davon.“
„Haben Sie deshalb den armen Butler erschlagen?“ Der Kommissar schüttelte den Kopf. „Mensch, Stecher, da kommen Sie doch nicht raus. Wollen Sie nicht lieber die Wahrheit sagen?“
„Die Wahrheit? Die WAHRHEIT?“, schrie der Gärtner nun ohne jede Beherrschung. „Die Wahrheit ist, dass ich etwas sah, kurz bevor Sie kamen. Ich sah ein Licht und lief zu Herta von Beerenstein, und musste sehen, dass aus ihren leeren Augenhöhlen ein paar winzigkleine grüne Wichte krabbelten, mindestens fünf, mit trichterartigen Hörnchen am Kopf und jedes trug ein kleines Reiseköfferchen in der Hand. Dann kam ein pizzatellergroßes Ufo und saugte mit rotem Lichtschein die Außerirdischen in seinen Bauch. Sie flogen ganz dicht an meiner Nase vorbei, hätten mich beinahe gerammt, und winkten. Ja. Dann zischten sie davon und Sie und ihre Männer kamen um die Ecke gesaust. Hi hi, hi hi!“ Er begann wie irre zu kichern.
Kommissar Hecht atmete tief, bevor er seinen Jungs zunickte, von denen einer nach draußen ging, um schon nach kurzer Zeit mit vier Männern in weißen Kitteln wiederzukommen.
„Ich war es doch nicht, ich war es doch wirklich nicht, ich bin ja noch nicht mal Gärtner, sondern Wurstfachverkäufer! Mich hat doch der Oskar ins Haus geholt, weil die Alte so gut bezahlte!“ Gustav Stecher schrie noch, als sie ihn schon gut verpackt mit sich zerrten.

Verrückte Sache, sagte Hecht später zu Hause zu seiner Frau und nahm ein Salatblatt. Nun erbt die alte Minka alles. Na, und der, der sie bis zum natürlichen Tode pflegt. Und wie lange kann das bei einer über fünfzig Jahre alten Schildkröte schon dauern?

Letzte Aktualisierung: 27.07.2009 - 20.17 Uhr
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