Honigfalter
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Juli 2009
Signale
von Bernd Kleber

Sie wusste nicht wohin mit dem Popel. Er klebte an ihrem Zeigefinger und wurde von Sekunde zu Sekunde lästiger. Vici sah gebannt auf den prallen Hintern ihres Mannes Kol, der drei Schritte entfernt wippte. Kol wusch das Mittagsgeschirr ab. Eine Spannung lag in der Luft wie Gewitter, das zu schwach ist, sich über den See zu schieben.
Der Nasenrest musste weg. Mit der freien Hand fingerte sie hektisch in den Taschen der Kleidung,
kein Taschentuch. Auf dem Tisch keine Serviette. Bevor er sich umdrehte, sollte das Ding entsorgt
sein. Es war Eile geboten, um das andere Gewitter ebenfalls nicht über den See zu lassen, das
Gezeter ihres Mannes.
Sie parkte das Geschmier neben festgetrockneten Altlasten unter dem Stuhl. Die hatte sie in ähnlichen Notsituationen dort hinterlassen. Erleichtertes Aufatmen. Vici durfte nicht vergessen, später die harten Krümel abzupolken. Das konnte sie nur, wenn sie allein war. Die Pickelhauben fühlten sich an wie ein Echsenpanzer.
Der runde Po ihres Mannes wackelte noch im Takt zum klappernden Geschirr.
Sie hob einhändig die doppelt gefaltete Zeitung und las weiter im Sportteil. Die rechte Hand schob sie zwischen ihre Beine. Ein schabendes Kratzen war zu hören, worauf Kol sich umdrehte und sich räusperte. Das Schmirgelgeräusch blieb. Das Gewitter hatte Ladung getankt und grummelte schon hörbar.
„Vici, geh duschen, das unflätige Benehmen hier am Esstisch dulde ich nicht. In zwanzig Minuten wollen wir los!“
Vici brummte, legte die Gazette beiseite und trabte ins Bad. Zwei negative Teilchen würden jetzt einen Blitz ergeben.
„Aber morgen haben wir nichts vor, oder?“
Sie gab dem Hintern ihres Mannes einen Klaps. Kol juchzte auf.
Die Geste war eine Ausnahme. Seit einiger Zeit hatte Kol den Eindruck, dass sie sich als Paar voneinander entfernten. Seine Frau war einsilbig geworden. Der Alltagstrott hielt keine Abwechslungen bereit. Wenn sie abends nebeneinander auf der Couch lümmelten, schlief sie nach wenigen Minuten ein. Das Schnarchen Vicis übertönte die Dialoge der Filme und störte später im Bett beim Einschlafen.
Während er darüber nachdachte, hörte er ein Trällern aus dem Bad. Das Wasser plätscherte ungenutzt in die Recyclinganlage und der Schaum würde sicher für Monate reichen.
Er rief: „Vici, mach jetzt, spül dich ab, singen kannst du später!“
Ein weiterer Blitz hatte sich entladen, Vici musste auf der Hut sein, nichts war unangenehmer als die schlechte Stimmung ihres Gatten.
Kol hatte einen Besuch in der Karaoke-Bar geplant, dort wollte er nicht nur Freunde treffen.
Seine Frau hatte gemurrt, sich aber gefügt.
Er sah in den Spiegel, fingerte sich an den Augen, liftete Fältchen und atmete schwer. Das Serum mit der Collagenmasse verteilte er sorgfältig und massierte es mit klopfenden Bewegungen ein.
„Oh, ich werde mit Macht alt, Schatz!“, tönte er. Und murmelte „Q10“.
„Was für ´n Nachtwald?“
Kol schniefte. Vici hatte ihn nicht verstanden, wollte sie es noch?
Er kleidete sich abendlich, zog sein neuestes Gewand an. Sie kam in Freizeitbekleidung. Eine Diskussion wollte Kol nicht beginnen, bei der er den Kürzeren ziehen würde.
Während sie gingen, legte Vici fest, dass Kol die Rücktour fahren müsse. Das Gewitter hatte sich verzogen, war in sich zusammen gepufft.

Vor der Bar angekommen, öffnete jemand die Beifahrertür. Kol reichte der Dame in Uniform die Hand und ließ sich aus dem Font helfen. Vici hatte den Starter einer anderen Uniformierten zugeworfen, die das Vehikel wegparkte. An der Fassade flatterte ein Riesenplakat mit einem berühmten männlichen Model, das lächelnd Shampoo präsentierte. Es war Gesellschaftsabend.
Kol und Vici betraten die Bar, Vici musste wiederholt Geschäftspartner grüßen und nickte hier und da. Kol fühlte sich gut an ihrer Seite. Wie früher.
Sie trafen ihre Freunde. Nach einem Begrüßungstrunk fachsimpelten die Frauen über neueste politische Veränderungen auf der Südhalbkugel und technische Neuerungen, die es ermöglichten, in ferne Galaxien zu reisen. Die Männer prüften die Stoffe ihrer Kleidung und werteten die modischen Fauxpas an den Nachbartischen aus.
Eine Bedienung kam und reichte den Männern, danach den Damen die Speisekarten. Vici bestellte eine Flasche des besten Tropfens und lächelte mit Kennermiene den Herren zu.
Musik erklang, ein sportlicher Typ mit langem Haar betrat die Bühne. Mit freiem Oberkörper und knappem Höschen rekelte er sich mit seinem Mikrofon an einer Stange und sang einen lasziven Song. Rhythmisch zuckte und ruckte er mit der Hüfte, dass jeder im Saal annehmen musste, dass der kleine Stofffetzen gleich quer durch den Saal schießen würde. Dazu blinkerte er gekonnt mit den Augen. Die Frauen ließen keinen Blick von ihm, waren nicht mehr ansprechbar. Wie hypnotisiert und mit hängendem Unterkiefer starrte das anwesende weibliche Geschlecht auf die Bühne. Absolute Windstille.
Kol flüsterte in das Ohr seines Freundes. „Lass uns aufs Klo gehen, du weißt ...“
Beide erhoben sich, wandten sich in Richtung Restrooms.
Im Raum für Herren angekommen, trafen sie auf eine diskutierende Gruppe. Jemand stand an der Tür und lugte in den Flur. Ein Dicker sprach.
„... wir können uns das nicht länger gefallen lassen. Wir müssen für unser Wahlrecht kämpfen! Sagt allen Männern Bescheid, dass wir am kommenden freien Tag demonstrieren werden. Es ist die Zeit gekommen, endlich unser Recht auf Gleichberechtigung zu fordern! Habt Ihr die Aufnahmen der Transunivers-Sonde gesehen? In vielen Cinemascopen werden sie ausgestrahlt. Das ist wichtig. Geht euch das angucken.“
„Psst, Frau Selmi kommt!“
Die Männer verschwanden in den Toilettenboxen oder verließen den Waschraum. Man hörte die Gattin auf dem Flur rufen „Schatz, bist du so weit, ich will mit dir singen.“
Er rief zurück: „Ich komme!“ Andere Männer gackerten: „Er kommt ...“

٭ ٭ ٭

Monate später hatte sich die Provinz verändert. Die Männer um Kol hatten sich organisiert und auf ihr Recht beharrt, wie Frauen behandelt zu werden. Es war zu vielen Tumulten und Ausschreitungen gekommen. Frauenhundertschaften waren über demonstrierende Männer hergefallen, hatten sie zusammengetrieben, ihre Anführer verhaftet.
Der Film in den Kinos hatte diese Befreiungsbewegung ausgelöst. Die gezeigten Aufnahmen ließen kein Zurück zu. Burschen verbrannten öffentlich ihre Reizwäsche, ihre Lendenschurze. Frauen der Opposition forderten chirurgische Zwangseingriffe. Die Filmzensur wurde eingeführt. Zu spät!
Die unabhängige Raumfahrtbehörde hatte sich das Geschäft mit teuren Tantiemen für ihren spektakulären Mitschnitt nicht entgehen lassen. Ihre Sonde hatte Funksignale in einer benachbarten Galaxis abgefangen, so einen Unterhaltungsfilm aufgenommen, welcher einen Archäologen zeigte, der offenbar alle Rechte der Frauen hatte. Der erlebte Abenteuer gegen ganze Regierungen und verteidigte Schützenswertes gegen Despoten. Nach wissenschaftlichen Methoden hatte man den Dialog versucht zu interpretieren. Als Leuchtschrift lief dieser über den Filmstreifen. Die Aufführungen waren seit Monaten ausverkauft, ein sensationeller Kassenerfolg. Zum Film war ein boomender Merchandisingzweig entstanden.
Beide Geschlechter sahen ihn mehrfach. Man erfreute sich an den Lebewesen, die ihnen ähnelten. In dem Film kopierte der Held Klischees der Frauen. Der Wandel war nicht mehr aufzuhalten. Die Luft klarte auf, wie nach einem reinigenden Guss.

Vici stand am Waschbecken und wusch das Geschirr der Mahlzeit ab, die sie für Kol und sich zubereitet hatte. Dieser trug nun ein Outfit wie sein Held: Lara Croft.
Die Kleidung spannte über dem Bauch. Bald würde Kol ein Kind gebären, denn das würde im Lauf der Zeit alleinige Männersache bleiben.

Letzte Aktualisierung: 08.07.2009 - 16.08 Uhr
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