Honigfalter
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Juli 2009
Termin
von Ann Nissuth

„Ich will Ihnen keine falschen Hoffnungen machen. Wir werden wohl kaum einen Job für Sie finden. Sie sind schließlich nicht mehr die Jüngste.“
Die junge Frau vor mir könnte meine Tochter sein, zugegeben. Aber das berechtigt sie noch lange nicht zu pubertär intolerantem Verhalten.
Ich lege los: „Okay. Ich bin über fünfzig. Aber schließlich habe ich die Kraft der zwei Herzen, ernähre mich von meinen paar Kröten so gesund wie möglich, laufe zwei Mal die Woche zehn Kilometer, bin ehrenamtlich als Lesepatin tätig, organisiere einmal im Monat ein Frauenfrühstück, bin im Vorstand meiner Partei … Wieso, bitte, soll ich zu alt für einen Job sein?“
„Sie haben da zwar mit Sicherheit Schlüsselqualifikationen“, beschwichtigt sie kurz, „ aber ansonsten haben Sie einfach nichts vorzuweisen.“
Nichts vorzuweisen? Ich atme tief durch und erwidere so ruhig wie möglich:
„Ich biete Ihnen Lebensweisheit. Die suchen Sie bei Jüngeren vergebens. Schwanger werde ich übrigens auch nicht mehr.“
„Das mag ja gerne sein. Aber Sie haben nun mal nichts gelernt.“
Süße, wenn du glaubst, ich lass mich hier von dir auf die Palme bringen, hast du dich vertan. Das gönne ich dir nicht.
„Fremdsprachensekretärin“, sage ich überaus freundlich. „Ich bin gelernte Fremdsprachensekretärin. Steht in meinen Unterlagen alles drin“
„Die habe ich bereits gelesen. Und daraus geht auch hervor, dass Sie in diesem Beruf nie wirklich gearbeitet haben.“
„Ich habe schließlich damals für ein kleines und zudem krankes Kind sorgen müssen.“
Vorsicht, Loni, fang nur nicht an dich zu verteidigen.
Gegenangriff: „Haben Sie Kinder?“
„Nein“, antwortet sie unwirsch.
„Bevor ich übrigens schwanger geworden bin, hatte ich das Angebot, auf dem Arbeitsamt anzufangen.“
Punkt fĂĽr mich!
„Uns interessiert hier nur, was Sie wirklich gemacht haben.“
„Hören Sie, Frau Scholz, Ich mag zwar Cellulitis und Krampfadern haben …“
„Das tut hier nun wirklich nichts zur Sache“, unterbricht sie mich.
Ich beuge mich schnell vor:
„Ihr Bindegewebe scheint mir auch nicht das beste zu sein. Da sollten Sie etwas unternehmen. Kalte Güsse und vor allem Sport. Sie sind arg blass. Treiben Sie überhaupt Sport?“
„Nein, dazu reicht die Zeit nie“, kommt es zu meiner Überraschung wie automatisch.
„Machen Sie wenigstens abends ein bisschen Yoga“, empfehle ich ihr. „Schwimmen, Walken oder nur rasches Spazierengehen …“
„Wir kommen vom Thema ab, fürchte ich“, unterbricht sie schroff.
Offensichtlich ist ihr ‚Ausrutscher’ ihr peinlich.
„Stimmt“, sage ich entschuldigend. „Also weiter: Computermäßig bin ich auch auf dem Laufenden. Ich habe vor Kurzem den großen ECDL erworben. Und“ – wieder beuge ich mich vor- „habe als Beste abgeschnitten, obwohl ich die Älteste war.“
„So kommen wir nicht weiter“, meint sie streng.
„Ich wollte nur erläutern, dass ich eine rasche Auffassungsgabe habe. Aber Sie haben natürlich recht: So kommen wir nicht weiter.“
Misstrauisch schaut sie mich an, setzt sich schnell hinter den schĂĽtzenden Schreibtisch.
„Was wollen Sie damit sagen?“
„Ich denke, wir sollten uns darauf konzentrieren, was Sie mir zu bieten haben“, erkläre ich ihr.
Sie schnauft hörbar, bevor Sie mir das Minimalangebot präsentiert:
„Am besten machen Sie erst mal ein Bewerbungstraining mit.“
„Brauche ich nicht“, widerspreche ich nettmöglichst. „Das hat mir Ihre Vorgängerin schon angedeihen lassen. Da bin ich durchaus firm.“
„Firm“, wiederholt sie zweifelnd. „Was genau wollen Sie eigentlich von mir?“
Nun reicht’s mir aber: „Ach wissen Sie, ich will gar nichts mehr von Ihnen. Und ich hab leider auch keine Zeit mehr. Eine Verabredung im Hotel Orient in Wien, Sie verstehen? Tut mir leid. War schön, Sie auch mal kennenzulernen. Falls Sie noch da sind, sehen wir uns eventuell in drei Monaten.“
Damit entschwinde ich und lasse die junge Frau allein.
Morgen bewerbe ich mich auf die Anzeige als Personal Coach. Da hat sie mich auf eine prima Idee gebracht.
Beflügelt gehe ich nach draußen, atme den Spätsommer ein und schwinge mich auf mein Rad. Jetzt habe ich noch eine satte Stunde, um mich ein wenig herzurichten.
NatĂĽrlich fahre ich dann nicht mit dem Zug nach Wien. Das war klar gelogen. Ich muss nur vier Stationen weiter. Mein Liebhaber wartet im Goldenen Schwan. Voller Vorfreude trete ich in die Pedale.

Letzte Aktualisierung: 10.07.2009 - 18.38 Uhr
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