Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
An öden Samstagvormittagen könnte man zur eigenen Erheiterung sein Auto waschen lassen. Am liebsten in einer dieser Waschhallen, in denen das Auto auf der Stelle stehen bleibt und bei denen man zuschauen kann, wie sich gewaltige Bürsten unermüdlich über das angestaubte Blech schieben.
Damit sich niemand vordrängelt, parke ich schon mal mein Auto direkt in der Waschhalle, die ausnahmsweise frei ist. Als ich mit meinem Chip aus der überfüllten Tankstelle zurückkomme, stehen bereits drei weitere Fahrzeuge da. Tja, Jungs, da war ich wohl etwas schlauer. Ein wenig schadenfroh ob meiner genialen Idee und mit lässigem Schulterzucken in Richtung der Wartenden, gehe ich zunächst zu meinem Wagen, um das zusätzlich erworbene Gutscheinheftchen zu deponieren. Abgeschlossen. Ich öffne meine Handtasche und beginne zu wühlen. Ich wühle tiefer. Ich greife in meine Jackentasche. Erste Schweißperlchen machen sich auf meiner Stirn breit.
„Kann ich helfen?“, ertönt es hinter mir aus dem ersten Fahrzeug.
„Ich – äh – finde meinen Autoschlüssel nicht!“, rufe ich freundlich zurück.
„Dann tu doch schon mal den Chip rein, Mädchen. Suchen kannst du auch, während dein Auto gewaschen wird.“ Die Stimme klingt etwas ungehalten.
Während sich der erste Schwall Wasser über mein Auto ergießt, kippe ich nervös meine Handtasche aus. Der Mann zu dem die Stimme von vorhin gehört, räuspert sich hinter mir: „Vielleicht liegt er ja neben dem Auto?“
Die Bürsten sind erst vorne auf der Motorhaube, also nutze ich den Moment und laufe zur Fahrerseite, bücke mich und schaue unter den Wagen. Bevor ich fündig werde, kommen die Bürsten auf mich zu. Ich fliehe hinaus. Mittlerweile sind sechs Fahrzeuge in der Warteschlange, deren Besitzer mir amüsiert zuschauen.
Ein Taxifahrer steigt aus. „Ich suche auf der Beifahrerseite!“, ruft er eifrig und hilfsbereit, als die Bürsten wieder zurückweichen. Ich nicke ihm dankbar zu und gemeinsam laufen wir durch die riesigen Wasserpfützen erneut in die Halle. Es bleiben uns jedoch nur wenige Sekunden, bis sich die Bürstenungetüme abermals und diesmal voller Schaum auf uns zu bewegen. Erfolglos rennen wir, von rotierenden Bürsten verfolgt, in letzter Sekunde nach draußen. Die Schaulustigen applaudieren.
Während ich demütig den Inhalt meiner Handtasche wieder einräume, senkt sich zum Trockenvorgang das Rolltor und damit auch vorübergehend die Chance, noch einmal in der Halle zu suchen.
Mit reuigem Blick murmele ich, dass der Schlüssel sicher an der Kasse liegen wird, renne hektisch in die Tankstelle und schicke ein Stoßgebet in den Himmel. Vergebens. Der Kassierer schüttelt mitleidig den Kopf, ich wühle in Hanuta- und Marskartons, krame zwischen Kaugummidisplays herum, werfe ein Gestell mit Feuerzeugen zu Boden, krieche unter die Theke und versuche meine Adrenalinstöße auf einem erträglichen Level zu halten.
Vom Leben besiegt schleiche ich zurück zur Waschhalle.
„Und?“, empfängt man mich erwartungsfroh.
Ich schüttele verneinend den Kopf.
Der Taxifahrer flucht, rangiert seinen Wagen aus der Schlange und brettert davon. Die anderen Fahrzeuge rücken nach. Vierzehn Autos zähle ich beschämt. Die meisten Fahrer haben die Türen geöffnet, lümmeln sich auf den Sitzen, rauchen und hören zur Untermalung meiner Misere laute Pop-Musik.
Als sich das Rolltor ächzend in Bewegung setzt und den Blick auf mein getrocknetes Gefährt freigibt, kommt der Chef. „Sie müssen aber jetzt irgendwie hier raus.“ Ja, du Schlauberger.
Mittlerweile reicht die Schlange bis auf die Straße und der Verkehr staut sich bis in die Innenstadt. Das Hupkonzert ist ohrenbetäubend.
„Ich könnte den Ersatzschlüssel holen.“, schlage ich unterwürfig vor und wische mir die Schweißtropfen von der Stirn.
Der Chef fährt mich. Danke. Auf der Fahrt fällt mir ein, dass am Autoschlüssel auch der Hausschlüssel hängt – lieber Gott, ich spende ein Monatsgehalt an das hiesige Kinderheim, wenn jetzt jemand zu Hause ist. Tatsächlich öffnet mir eines meiner Kinder die Türe und der befürchtete Herzinfarkt bleibt aus.
Zwei Polizisten regeln den Verkehr zur Tankstellenzufahrt, jemand hat einen Grill aufgebaut und der Duft von Bratwürstchen umfängt mich. Der Tankwart reicht kühle Getränke. Die Wartenden haben sich verbündet und prosten sich zu und ich nicke erleichtert in die Runde.
Während ich unter tosendem Applaus zu meinem Auto schreite, lässt mich ein zartes Klimpern in einer der zahlreichen Innentaschen meiner neuen Treckingjacke aufhorchen.
Mit angehaltenem Atem fühle ich außen und taste innen – und eine dumpfe Ahnung steigt in mir hoch.
Letzte Aktualisierung: 26.07.2009 - 23.45 Uhr Dieser Text enthält 4662 Zeichen.