Der Cousin im Souterrain
Der Cousin im Souterrain
Der nach "Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten" zweite Streich der Dortmunder Autorinnengruppe "Undpunkt".
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August 2009
Alter Mann und großer Fisch
von Christian Rautmann

Der große Fisch erwachte inmitten eines Büschels Seegras aus einem traumlosen Schlaf. Müde sah er sich um. Wo befand er sich? Seine gewohnte Umgebung schien es nicht zu sein. Nirgends konnte er das Korallenriff entdecken, in dem er sich immer seine Nahrung suchte und wo er oft den Clownfischen beim Versteckspiel zusah. Auch den fast bis zur Wasseroberfläche reichende Hügel, auf dem häufig Seekühe weideten, konnte er nicht entdecken. Stattdessen erstrecke sich vor ihm eine weite Ebene, die von einer Vielzahl unterschiedlicher Pflanzen bewachsen war. Ein paar kleine rot-gelbe Fische schwammen in seiner Nähe umher und betrachteten ihn neugierig. Einige Pflanzen wuchsen in dem Versuch der Sonne nahe zu sein, fast bis zur Wasseroberfläche. Sonnenstrahlen drangen durch das klare Wasser und gaben der Szenerie ein freundliches Aussehen.
Eine Idee, wo er sein könnte, hatte der große Fisch aber noch immer nicht. Er wusste nicht einmal, wie er hierher gekommen war. Hatte er es einfach vergessen? Mit Kleinigkeiten passierte ihm das In letzter Zeit häufiger. Vielleicht lag es am Alter? Der jüngste war er ja nicht mehr.
»Wie viel Zeit ich wohl noch habe?«, fragte er sich und ließ seinen Blick auf den sandigen Boden wandern. Würde er eines Tages einfach hinunter sinken und mit allem, was dort lag zur Nahrung von Aasfressern werden?« Im wurde wehmütig ums Herz. Schließlich riss er seinen Blick los und schwamm mit einigen schnellen Bewegungen seiner Flossen aus dem Schutz des Seegrases heraus ins offene Wasser. Auch wenn er ein großer Fisch war, so hatten in die Jahre doch gelehrt, dass es immer noch größere gab, die ihm gefährlich werden konnten. Daher sah er sich aufmerksam um. Doch weder ein Hai noch ein anderer Raubfisch waren zu sehen. Und Verstecke für einen Hinterhalt gab es kaum.
Warum hatte der alte Mann ihn hierher gebracht?
Nach und nach erinnerte er sich, was geschehen war: Er spürte förmlich, wie sich die Schlingen des Fangnetzes um ihn geschlossen und wie sie ihn bewegungsunfähig gemacht hatten. Zitternd und in Todesangst hatte er auf dem Deck des Fischerbootes gelegen. Dann war das Gesicht eines alten Mannes über ihm aufgetaucht und hatte ihn aus grauen Augen betrachtete. Dem großen Fisch war es wie eine Ewigkeit vorgekommen und er hatte gespürt, dass ihm die Luft ausging und die Trockenheit unter seine Schuppen kroch. Schließlich hatte sich der fast zahnloser Mund geöffnet und mit ihm gesprochen: »Ich weiß, dass du ein besonderen Fisch bist! Daher werde ich dich nicht behalten, sondern an einen Ort bringen, an dem du sicher bist. « Er hatte ihn traurig betrachtet und leise hinzugefügt: »Das ist wohl deine letzte Chance! «.
Schließlich hatte er ihn aufgehoben und in einen Kasten gelegt. An mehr konnte er sich nicht erinnern. Erwacht war er im Seegrasbüschel.
»Wieso letzte Chance?« Immer wieder stellte der große Fisch sich diese Frage. Eine Antwort darauf hatte er nicht.
Nach und nach erkundete er die Gegend. Die weite Ebene entpuppte sich dabei als ein eher kleines von Felsen umgebenes Gebiet. In welche Richtung der große Fisch auch schwamm: einen Weg in das offene weite Meer, das er so liebte, konnte er nirgends finden.
Was hatte der alte Mann mit ihm gemacht? Warum hatte er ihn hierher gebracht? Was für eine letzte Chance sollte das sein? Er wollte nach Hause zu seinem Korallenriff und nicht in dieser fremden Gegend eingeschlossen sein.
Immer wieder schwamm der große Fisch an den Felsen entlang. Schneller und schneller. Immer im Kreis herum. Und immer wieder kehrte er zu seinem Ausgangspunkt zurück und hatte wieder keinen Ausgang gefunden. In seinem Inneren machte sich Verzweiflung breit. Er wollte hier nicht sein. Er wollte zurück. Er wollte die Weite des Ozeans spüren.
Müde machte er sich erneut auf den Weg. Diesmal schwamm er sehr nah der Wasseroberfläche. Dort einen Durchschlupf zu finden war seine letzte Hoffnung. Und tatsächlich: nach einer Weile entdeckte er einen Weg, der sich zwischen den Felsen entlang wand und ihn aus seiner Gefangenschaft befreitet.
Er war entkommen! Die Freiheit lag vor ihm!
Glücklich schoss der große Fisch durch das Wasser. Er sah nicht den länglichen Schatten über ihm und merkte zu spät, wie sich das Schleppnetz um ihn schloss, ihn bewegungsunfähig machte und ihm die Kraft zu Atmen raubte.

An Bord der Kunui-Maru freuten sich die Fischer über den guten Fang, der ihnen ins Netz gegangen war. Zwei von ihnen saßen auf Taurollen und klaubten nach und nach die Fische aus dem Netz.
»Was meinst du, Hiroki? «, sagt der kleinere der beiden und nickte in Richtung einer Reihe aus dem Meer ragender Klippen. Er war ein vom Wetter gegerbter Mann mit einer Narbe, die über die rechte Wange verlief. »Ob wir doch noch einen Weg in diese Bucht hinein finden? «
Der angesprochene, ein hagerer Mann mit eingefallenen Wangen und einem ersten Gesicht blickte den andere an und schüttelte den Kopf. »Nein, Ito. Das haben wir schon so oft versucht.
»Na, was soll´s«, lachte Ito. »Wir fangen ja auch so genug. »Da können die paar Fische in der Lagune ruhig vor uns in Sicherheit sein. «
Er zog den nur noch schwach atmenden großen Fisch aus dem Netz
»Schau dir mal den an. Ein ganz besonderes Exemplar. Der wird uns gutes Geld bringen! « Er legte den großen Fisch an die Seite und klatschte in die Hände.

Letzte Aktualisierung: 20.08.2009 - 22.50 Uhr
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