'paar Schoten - Geschichten aus'm Pott
'paar Schoten - Geschichten aus'm Pott
Das Ruhrgebiet ist etwas besonderes, weil zwischen Dortmund und Duisburg, zwischen Marl und Witten ganz besondere Menschen leben. Wir haben diesem Geist nachgespürt.
mehr ... ] [ Verlagsprogramm ]
 SIE SIND HIER:   HOME » MITMACH-PROJEKT » SCHREIBAUFGABE » Helga Rougui IMPRESSUM
NEWSLETTER
Abonnieren Sie unseren Newsletter.

Jetzt anmelden! ]

UNSERE TOP-SEITEN
1.) Literatur-News-Ticker
2.) Leselust
3.) Forum
4.) Mitmach-Projekt
5.) Schreib-Lust-News 6.) Ausschreibungen 7.) Wettbewerbs-Tipps
August 2009
Der Dacks
von Helga Rougui

Zwölf Leute waren im Chat Flirt 50+ übriggeblieben gegen halb fünf Uhr morgens, aber schon seit einer Stunde nahm sie gar nicht mehr wahr, wie die Anzahl der Teilnehmer immer geringer wurde.
Kurz nach Mitternacht hatte sie ein angeregtes Privatgespräch mit RomantikerNRW (55) begonnen, der sie unter ihrem einfallsreichen Nick Rosenblüte (53) angesprochen hatte.
Sie tauschten die Mailadressen und wollten sich weiter schreiben.

Na, dachte sie, als sie ins Bett stieg, endlich mal kein Idiot, der war ja ganz in Ordnung, aber melden wird er sich genausowenig wie die anderen vorher. Die wollen alle nur nen schnellen Fick.

Er meldete sich aber, schon am nächsten Tag. Ein kleines Hin und Her von Mails begann, man hatte sich dies und jenes zu sagen, aus vielen kleinen Steinchen begann sich das Mosaik eines Menschen aus Fleisch und Blut zu formen.
Er hatte natürlich sofort sein Foto geschickt und wollte auch eins. Männer sind so.
Sie schimpfte das innerlich "Fleischbeschau" und schickte keins.
Da wollte er dann telefonieren und schrieb ihr seine Nummer. Sie dachte, nun geht alles wieder hopplahopp, aber gut, warum nicht, und brachte ihn dazu, ihre Nummer herauszufinden – im Internet steht dein halbes Leben, wenn du nur richtig suchst.

Sie telefonierten, und es war ein nettes Gespräch.
Nachdem sie aufgelegt hatten, dachte sie, ich hab wieder mal ein bißchen zuviel erzählt, für manches war es vielleicht noch zu früh.
Aber er hatte eine sehr sympathische Stimme.

Sie schickte ihm noch eine kleine Mail in die Nacht.

Zwei Tage tat sich nichts.

Sie berichtete einer Freundin von der Angelegenheit, die meinte, daß er vielleicht Zeit zum Überlegen brauche oder zu viel zu tun gehabt habe.
Aber beide glaubten nicht so richtig an die lange Liste der möglichen Gründe für sein Schweigen, die sie mit reichlich Erfindungsgeist zusammengestellt hatten.

Dann sagte ihre Freundin: "Gib ihm noch eine letzte Chance, das, was gut begonnen hat, gut weiterzuführen. Wenn er sich bis morgen nicht gemeldet hat, ist er bloß ein alter geiler Dacks … äh … Sack."
"Okee," sagte sie, "so mach ich das."

Es wurde Nacht, es wurde Tag, er hatte sich nicht gemeldet.
Chance vertan.

---

Es war aber eine unglückselige Verkettung der Umstände gewesen.
Er hatte nach dem Telefonat die ganze Zeit an ihr Gespräch gedacht und sich natürlich am nächsten Tag gleich nach der Arbeit wieder melden wollen. Auf dem Weg nach Hause jedoch fuhr dieser Lkw vor ihm, er selbst war müde von seinem Zehnstundentag und in Gedanken, heftiger Regen setzte ein, und als der LKW plötzlich und unerwartet bremste, raste er mit seinem Wagen ungebremst in ihn hinein.
Im Krankenwagen, nach etlichen Stabilisierungsversuchen, sagte ein Sanitäter: "Wenn wir rechtzeitig auf die Station kommen, hat er noch eine letzte Chance. Also gib Gas, Gerd! Blaulicht!"
Und Gerd gab Gas und raste mit Blaulicht und ungebremst in eine Straßenbahn, die er beim Überqueren der Hauptstraße übersehen hatte.
Chance vertan.

---

So ein Unsinn, dachte sie und schüttelte den Kopf über ihre blühende Phantasie, ihm wird plötzlich aufgefallen sein, daß ihm das alles doch nicht paßt, was weiß ich, vielleicht hat er sich erinnert, daß es ihm eigentlich nur um den schnellen Beischlaf ging, und alles andere sah er als lästiges Beiwerk.
Und sie vergaß ihn.

---

Aber er hat sie nie vergessen.
Gerd hat ihn natürlich schnellstens und ohne Unfall zum Krankenhaus gefahren und sein Leben konnte gerettet werden.
Doch er war und blieb gelähmt und konnte auch nie mehr sprechen.

Und natürlich nie mehr telefonieren.

Letzte Aktualisierung: 09.08.2009 - 14.26 Uhr
Dieser Text enthält 3566 Zeichen.

Druckversion

 LINKTIPPS: Naturwaren Diese Website wird unterstützt von:

www.mswaltrop.de
Copyright © 2006 - 2024 by Schreiblust-Verlag - Alle Rechte vorbehalten.