Gruselig geht's in unserer Horror-Geschichten- Anthologie zu. Auf Gewalt- und Blutorgien haben wir allerdings verzichtet. Manche Geschichten sind sogar witzig.
Er stand auf seines Daches Zinnen
und schaute mit vergnügten Sinnen
auf das beherrschte Samos hin.
"Dies alles ist mir untertänig",
begann er zu Ägyptens König,
"gestehe, dass ich glücklich bin."*
Bernhard saß auf der Terrasse seines Hauses und ließ den Blick über den Garten streifen. Die Blumenrabatten, die seine Frau mit großer Hingabe pflegte, versprühten die satten Farben des Sommers. Der leichte Abendwind säuselte in den Büschen und trug ihm den Duft gesättigten Wohlstandes zu. Groß und wuchtig erhob sich das Haus, ein modernes architektonisches Wunderwerk.
Glücklich und zufrieden konnte er sein. Hatte er nicht alles im Leben erreicht, was ein Mann erreichen kann?
Aus kleinen Verhältnissen hatte er sich empor gearbeitet, aus eigener Kraft geschaffen, was er besaß. Nicht immer war es ohne Blessuren abgegangen, eigene und solche, die er anderen zufügte. Wer nach oben will, darf nicht zimperlich sein!
"Du hast der Götter Gunst erfahren!
Die vormals deinesgleichen waren,
sie zwingt jetzt deines Zepters Macht.
Doch einer lebt noch, sie zu rächen,
dich kann mein Mund nicht glücklich sprechen,
so lang des Feindes Auge wacht."*
Natürlich gab es Neider – wer hätte sie nicht, wenn er den Gipfel erklommen hat? „Schätzchen“, lachte er, wenn Elvira ängstlich ihre Besorgtheit äußerte, „wer soll mir schon was tun? Ich bin es gewohnt, auf mich aufzupassen!“
Sicher, vor drei Jahren damals, das war schon komisch gewesen. Bis heute war er sich nicht sicher, ob man ihn hatte kidnappen wollen in dem Parkhaus. Drei Männer hatten sich auf ihn gestürzt, aber er hatte sie mit gezielten Faustschlägen in die Flucht geschlagen. Nicht einmal Anzeige hatte er erstattet, weil ihm das alles zu dumm vorkam. Später las er in der Zeitung, die Polizei hätte drei Typen bei einem Überfall gefasst und er erkannte sie auf den Fotos wieder.
…"Lass, Herr, des Opfers Düfte steigen,
und mit des Lorbeers muntern Zweigen
bekränze dir dein festlich Haar.
… Getroffen sank dein Feind vom Speere,
mich sendet mit der frohen Märe
dein treuer Feldherr Polydor."…*
Elvira erzählte er erst jetzt von dem Überfall. Sie brach in hysterisches Lachen aus. „Du hast mehr Glück als Verstand, Bernhard! Aber willst du dich dein Leben lang darauf verlassen?“
Er konnte es ihr nachfühlen, dass sie so dachte. Während er ständig in Geschäften unterwegs war, saß sie zu Hause, pflegte den Garten und wartete darauf, dass er wiederkam. Er wollte nicht, dass sie sich eine Arbeit suchte, das hatte sie nicht nötig. Und – ja, das war wohl der einzige Wermutstropfen in seinem Leben – er konnte sie nicht schwängern und mit einem Kind ihrem Leben einen zusätzlichen Sinn geben. Dies war vielleicht der Tribut, den er an das Schicksal zu zahlen hatte, das ihn ansonsten so reich beschenkte.
Manchmal, in ruhigen Augenblicken, konnte er selbst kaum fassen, wie fürsorglich das Leben mit ihm umging.
Beispielsweise der Börsencrash. Er schüttelte jetzt noch den Kopf, wenn er daran dachte. Mehrere Millionen hatte er in Aktien investiert.
“…Und eh ihm noch das Wort entfallen,
da sieht mans von den Schiffen wallen,
und tausend Stimmen rufen: "Sieg!
Von Feindesnot sind wir befreiet,
die Kreter hat der Sturm zerstreuet,
vorbei, geendet ist der Krieg."…*
Dann hatte ihn sein Börsenmakler angerufen. Er befürchte, dass es einen Absturz der Aktien geben könnte. Bernhard hatte ihm vertraut und alle Aktien abgestoßen. Als einer der wenigen ging er unbeschadet aus dem Debakel hervor. Im Gegenteil, er profitierte, wie schon so oft, vom Schaden der anderen, kaufte einige neue Betriebe hinzu, die sich im Strudel der Finanzwelt verloren hatten.
Elvira schüttelte den Kopf. „Bernhard, du forderst das Schicksal heraus! Das kann nicht gut gehen!“
Mit heimlichem Lächeln beobachtete er, wie sie immer öfter in die Kirche ging und selbst zu Hause begann, geweihte Kerzen anzuzünden. Er selbst glaubte an nichts als sich selbst, seinen Verstand, seine Beziehungen und sein Können. Darauf konnte er sich verlassen. Aber wenn es ihr gut tat? Warum sollte er ihr den Glauben an eine höhere Gerechtigkeit nehmen? Letztendlich war es auch etwas, das ihr Leben ausfüllte und ihm den Freiraum gab, seinen Geschäften ohne schlechtes Gewissen nachzugehen. Denn wenn ihre Ehe auch kinderlos bleiben musste, so bedeutete sie ihm doch neben seiner Obsession für´s Geldverdienen alles.
“… Drum, willst du dich vor Leid bewahren,
so flehe zu den Unsichtbaren,
dass sie zum Glück den Schmerz verleihn.
Noch keinen sah ich fröhlich enden,
auf den mit immer vollen Händen
die Götter ihre Gaben streun….“*
„Liebling, die Pfarrei Sankt Augustin hat einen neuen Pfarrer. Er will die Kirche renovieren, aber es fehlt das Geld. Könntest du nicht …?“ Elvira sah ihn bittend an. Bernhard war befremdet. Das hatte er nun nicht erwartet. „Mausi, das ist kein lohnendes Geschäft! Und überhaupt, wer verfügt schon über mehr Reichtümer als die Kirche?“ Er sah ihre Enttäuschung, lenkte ein. „Nun gut, ich kann etwas spenden und es von der Steuer absetzen. Aber erwarte nicht zu viel.“ Widerwillig unterschrieb er einen Scheck über zwanzigtausend Euro. Das sollte als Pfand für den Pfarrer reichen.
“Und wenns die Götter nicht gewähren,
so acht auf eines Freundes Lehren
und rufe selbst das Unglück her,
und was von allen deinen Schätzen
dein Herz am höchsten mag ergötzen,
das nimm und wirfs in dieses Meer."
Und jener spricht, von Furcht beweget:
"Von allem, was die Insel heget,
Ist dieser Ring mein höchstes Gut.
Ihn will ich den Erynnien weihen,
ob sie mein Glück mir dann verzeihen."
Und wirft das Kleinod in die Flut.*
Es kam nun immer öfter vor, dass er vor ihr zu Hause war. Ihre Augen begannen wieder zu strahlen wie damals, als sie sich kennen gelernt hatten. „Liebling, der Pfarrer ist ja ein so charismatischer Mensch! Es ist unglaublich, was er alles auf die Beine stellt, wie er die Leute begeistert! Stell dir vor, er hat bei Bibelabenden schon so viel Spenden gesammelt, dass er mit der Kirchenrenovierung beginnen kann. Deine Spende war natürlich auch wichtig, aber das hätte ja nicht ausgereicht. Und ich darf ihm helfen bei der Planung und all so was.“ Es sprudelte nur so aus ihr heraus. Er schluckte seinen Ärger über ihre häufige Abwesenheit hinunter. Hatte sie nicht auch jahrelang auf ihn warten müssen? Offenbar hatte sie endlich eine Aufgabe gefunden, die ihr Leben ausfüllte und reicher machte. Wie konnte er ihr das verbieten? Er liebte sie doch!
Angesichts ihrer Begeisterung hielt er es nicht für angebracht, ihr zu sagen, dass jene Spende ihm wieder einmal Glück gebracht hatte. Ein zufälliges, rasches Börsengeschäft hatte ihm ein Vielfaches dessen erbracht, was er gespendet hatte.
…."Sieh, Herr, den Ring, den du getragen,
ihn fand ich in des Fisches Magen,
o, ohne Grenzen ist dein Glück!"
Hier wendet sich der Gast mit Grausen:
"So kann ich hier nicht ferner hausen,
mein Freund kannst du nicht weiter sein.
Die Götter wollen dein Verderben,
fort eil ich, nicht mit dir zu sterben."
Und sprachs und schiffte schnell sich ein.*
Er fand ihren Brief an dem Abend, als er das größte Geschäft seines Lebens abgeschlossen hatte. Nun war er wirklich ganz oben, nun konnte niemand ihn mehr von dem Finanzthron stoßen, den er sich selbst errichtet hatte! Er hoffte so, dass sie heute Abend zu Hause wäre, mit ihm feiern würde.
Aber da lag nur dieser weiße Umschlag. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn, als er das Kuvert aufschlitzte.
Lieber Bernhard,
erst in den letzten Monaten ist mir klar geworden, was mir in der Beziehung zu dir immer gefehlt hat. Es ist das Bewusstsein, selbst etwas zu bedeuten, selbst etwas zu sein. Immer war ich nur der Hintergrund, auf dem du dein Leben gelebt hast. Über all deinen Geschäften, deiner Geschäftigkeit, hast du vergessen, dass das Leben daneben noch anderes zu bieten hat. Als Günstling des Schicksals ist das Leben an dir vorbei gegangen, hast du es übersehen. Erfolg und Geld ist nicht alles, wofür es sich zu leben lohnt.
Es gab viele Chancen und Hinweise für dich, das zu verändern. Du hast sie nicht wahrgenommen. Nun bin ich an der Reihe, dies für mich zu tun. Das Leben hat mir mit Pfarrer Richard von St. Augustin eine letzte Chance eingeräumt und ich werde sie wahrnehmen. Gott allein weiß, wie ich, wie wir, sie nützen können.
Du jedenfalls wirst dabei keine Rolle mehr spielen.
Elvira
*Friedrich Schiller (1759 – 1805), Der Ring des Polykrates
Letzte Aktualisierung: 18.08.2009 - 23.54 Uhr Dieser Text enthält 8534 Zeichen.