Der himmelblaue Schmengeling
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August 2009
Ein Leben lang?
von Eva Fischer

Ich weiß noch genau, wie wir uns kennen gelernt haben. Es war in der Disko. Ich war fünfzehn. Ich trug ein giftgrünes Minikleid. Die Augen hatte ich mir wie Cleopatra mit schwarzem Lidstrich angemalt. Ich thronte auf den hohen Absätzen meiner Schuhe. Der heiße Beat und die bunten Lichter, die wie Pistolenschüsse von der Decke kamen, versetzten mich in eine andere Welt, wo das große Abenteuer wartete.
Da machte mich meine Freundin mit dir bekannt. Als du in mich eindrangst, vernebelten sich meine Sinne, verlor ich den Boden unter den Füßen, aber ich fand dich unheimlich cool. Du gabst mir die Sicherheit, die ich damals nicht besaß.
Von da ab waren wir unzertrennlich. Ich durfte mich nicht mit dir zeigen, aber das machte dich nur anziehender. Ich ging noch zur Schule, und so trafen wir uns heimlich in der Pause. Mit pochendem Herzen genoss ich die wenigen Minuten, die uns blieben, versteckt hinter Häusermauern oder Büschen.
Allmählich wurden wir immer dreister, und es kam, wie es kommen musste, wir wurden erwischt. Nicht in der Schule, sondern zu Hause bei mir. Mein Vater schmiss dich raus, schimpfte laut, warnte mich vor dir. Genutzt hat es nichts. Nichts konnte uns trennen. Es war schon zu spät.
Doch mit der Zeit akzeptierte man dich, und wir konnten uns öffentlich zeigen. Unsere Bekanntschaft war vergleichbar mit der von Hunden. Entweder man mag sie oder man findet, dass sie stinken und sabbern. Auf jeden Fall sind Hundeliebhaber eine verschworene Gemeinschaft, und knüpfen Kontakte mit wildfremden Menschen.
Ich erinnere mich, als ich mit dir vor einer Raststätte in Frankreich stand, und in ein Gespräch mit einer Frau kam, die ich nie zuvor gesehen hatte, und die mir ihr Leben erzählte. Am Ende wollte sie mich sogar in ihr Haus zum Übernachten einladen. Viele weitere interessante Gespräche mit fremden Menschen folgten mit der Zeit. Deine kommunikative Komponente ist unübertrefflich.
Und doch habe ich einmal den Versuch unternommen, mich von dir zu trennen. Ich war schwanger, und während neun Monaten fand ich dich einfach zum Kotzen. Kaum war das Kind da und zehrte durch sein Geschrei an meinen Nerven, da brauchte ich dich wieder und unsere Liaison war so innig wie einst.
Jahrzehnte sind seitdem vergangen. Kann es ewig mit uns weitergehen, bis dass der Tod uns scheidet?

Du bist ein Hure, verkaufst dich tausendfach und immer teurer.
Noch schlimmer, du bist ein Mörder. Unzählige Menschen hast du auf dem Gewissen. Du lässt sie einen langsamen, qualvollen Tod sterben. Soll ich warten, bis du mir die Luft zum Atmen nimmst?
Nein, ich habe beschlossen dich zuerst zu töten.
Ich habe mir einen Plan ausgedacht. Du wirst genauso langsam sterben, wie du mich sterben lassen willst. Auch den Zeitpunkt habe ich mit Bedacht gewählt. Ich nehme extra Urlaub.
Siebzehn rauche ich am Tag. Soviel sind mittlerweile in einer Schachtel. Jeden Tag werde ich eine weniger rauchen.
Nach siebzehn Tagen bin ich frei und du bist für mich tot. Endgültig!

Ich weiß, du bist zäh. Man darf dich nicht unterschätzen.
Was beruhigt mich, wenn ich Stress habe? Was regt mich an, wenn ich nachdenke? Werde ich überhaupt noch eine Zeile auf das Papier bekommen? Was bildet den krönenden Abschluss nach einem guten Essen? Wird der Kaffee ohne dich schmecken? Der Wein? In meinen Träumen wirst du mir erscheinen und mich wieder zu verführen suchen. Auf einem Plakat wirst du mir wieder eine wunderschöne Vergangenheit vorgaukeln. Während eines Filmes wirst du mir hinterrücks deinen Geschmack in den Mund legen.
Am meisten fürchte ich deine Rache. Alle, die sich von dir losgesagt haben, hast du fett gemacht. Liegt es an einer Änderung des Stoffwechsels oder daran, dass man nach einem kalorienreichen Ersatz sucht?

Ich werde viel Disziplin und Raffinesse aufbringen müssen, um deiner Herr zu werden, um endlich frei zu werden.

Ich habe dir diesen Brief geschrieben, obwohl du ein seelenloses Wesen bist und gar nicht lesen kannst. Diesen Brief werde ich siebzehn Tage lang bei mir behalten und immer wieder lesen, wenn ich drohe, rückfällig zu werden. Papier soll mich jetzt retten, das mir einst zum Verderben wurde.
Ich habe sogar beschlossen, dich zu veröffentlichen, dich ins Internet zu setzen.
Viele Leser werden mich fragen werden, ob ich den Kampf gegen dich gewonnen habe. Ich möchte Sieger sein.

Letzte Woche war ich beim Arzt. Ich habe mich durchchecken lassen. Noch habe ich keinen Lungenkrebs. Ich hoffe, ich habe noch eine letzte Chance.

„Wer sich nicht selbst befiehlt, bleibt immer ein Knecht.“ (Johann Wolfgang Goethe)

Letzte Aktualisierung: 07.08.2009 - 15.59 Uhr
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