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August 2009
Wenn ich doch ein Mann wär ...
von Marika Bergmann

Anne war es leid. Warum wurde sie immer behandelt wie ein hilfloses Wesen, das "Mann" vorzugsweise in die Parfümerieabteilung eines Warenhauses stellte. Sie studierte Architektur, nur das Berufspraktikum und die Angraberei ihres Vorgesetzten hatten sie nicht gerade motiviert. Na gut, sie zog ihr Studium erst mal durch. Ihre Mutter hatte ja immer gesagt:
Kind, was du lernst, kann dir keiner mehr nehmen. Also stürzte sie sich auf Werkstoffkunde, statische Berechnungen, Aufmaße und Wärmedurchgangskoeffizienten. Sie würde als eine der Besten abschneiden. Aber das sollte nichts heißen. Das wahre Leben unterschied sich doch gewaltig von dem auf dem Zeichenbrett.

Mit Diplom in der Tasche zog sie nach Berlin. Hier wollte sie Fuß fassen. Ihr war klar, dass sie nur ein kleines Licht in der großen Stadt sein würde. Aber, wer nicht wagt, der nicht gewinnt. In die Duftwolke eines Kaufhauses konnte sie sich auch in Berlin noch stellen, wenn alle Stricke reißen sollten. Die ersten Erfahrungen bei der Stellensuche waren schmerzlich. Es kam zwar sehr dezent, dennoch offensichtlich der Hinweis:

„Sie wissen ja, worauf es uns bei den Kundenkontakten ankommt. Wenn ich Sie so ansehe ... “

Der Personalchef sah sie an. Genauer gesagt, ihr Dekolletee. Sie war gut gebaut – das musste ihr keiner sagen. Ihr langes, schwarzes Haar, die Wespentaille, die üppige Oberweite, die schlanken, langen Beine und ihr Stupsnäschen. Da würde auch keine Verkleidung helfen –
sie war kein Mann. Anne beschloss, sich bei einem von Frauen geführten Unternehmen zu bewerben. Doch dort bekam sie schon am Telefon die ernüchternde Antwort von einer wohlklingenden Frauenstimme gesäuselt:

„Da unserer Hauptkundschaft aus Frauen besteht, stellen wir nur männliche Architekten ein. Jung und frisch – na, Sie wissen schon.“

Ausweglos. Um sich selbstständig zu machen, fehlte es ihr an nötigem Rückhalt. Sie kam aus nicht gerade vermögenden Verhältnissen und Beziehungen hatte sie sicher, nur nicht die richtigen. Da war kein reicher Onkel, der an ihre Fähigkeiten glaubte und sie mit einer gehörigen Geldspritze unterstützte. Ihr Notebook gab bald den Geist auf und der Umzug nach Berlin hatte ihre letzten Ersparnisse gefressen. Sie wünschte, sie wäre ein Mann. Männer genießen es doch, der Hahn im Korb zu sein. Sie haben die Trümpfe in der Hand und spielen den Joker aus, wann immer ihnen danach ist. Was war das nur für eine verflixte Männerwelt! Männer erlösen die schönen Prinzessinnen. So ist es. Vielleicht sollte sie sich einen reichen Kerl suchen. Zumindest einen Gönner, der sie unterstützt. Anne streifte ihre Pumps von den müden Füßen, ließ das Badewasser ein und suchte ihr neues Radio, ein Werbegeschenk, das gestern als Postwurfsendung im Briefkasten lag. Die Firma schmückte sich mit dem Namen "Chance". OK! Wie heißt es so schön: "Nomen est Omen". Schlimmer konnte es doch gar nicht kommen. Vielleicht sollte sie es mal in der Werbebranche versuchen? Genervt suchte sie nach dem Badezusatz. Da, nein, der Flakon war leer. Sie hatte noch die Schachtel mit den vielen Pröbchen. Obenauf lag schon was – "letzte Chance" stand auf dem kleinen Tütchen. Sie kicherte leicht euphorisch. Warum nicht! Das Pulver rieselte ins Wasser und zischte, als hätte man Brausepulver in die Wanne gegeben. Anne zog die enge Kleidung aus, um sich in das prickelnde Nass zu stürzen. Moment, das Radio. Sie drehte an dem kleinen Rädchen. Es knisterte und rauschte. Na toll. Was hat man denn zu erwarten von einem Geschenk, ging es ihr grade durch den Kopf, als sie eine Stimme hörte.

Dieser Song ist einer enttäuschten, jungen Frau gewidmet, die sich wünscht, ein Mann zu sein.

Sie traute ihren Ohren nicht. Jetzt müsste das Radio nur noch "Bohemian Rhapsody" von Queen spielen. Ihr Atem stockte, als die ersten Takte die Klänge ihres Lieblingssongs waren.
Mit einem Schmunzeln auf den Lippen glitt sie ins Wasser wie eine Nixe. Was war das nur für ein merkwürdiges Radio. So ein Zufall. Erst diese Ansage an eine Frau, die sich wünscht ein Mann zu sein. War sie gemeint? Ja, sie wünschte sich manchmal, ein Mann zu sein. Woher wusste die Stimme das? Und dann der Song. Das gab es doch nicht. Sie grinste und lehnte sich entspannt zurück. Leicht mitsummend genoss sie das sprudelnde Bad. In welchen Film war sie nur geraten? Badete sie gerade in einem Zauberelixier und würde als Mann aus dem Wasser steigen wie in einer Kinokomödie? Begutachtend blickte sie an ihrem Körper hinab.
Lautes Lachen. Nein, da war nichts zu viel und nichts zu wenig an ihr. Wie albern, allein so einen irrwitzigen Gedanken zu haben. Sie sollte jetzt besser ihr Kopfkino ausschalten und Freddies Stimme lauschen.

Hmmmmm – hm-hm-hm-hmmmmm – hm, hm, hm ...

Die letzte Möglichkeit endlich zur Ruhe zu kommen. Anne schloss ihre Augen und überlegte, wie sie aussehen würde, wenn sie ein Mann wäre. Ob sie dann wohl breite Schultern hätte und einen schönen, schmalen Po? Sie hätte Haare auf der Brust, oh Gott, und erst an den Beinen. Der Bartwuchs im Gesicht – wie lästig. Obwohl – das gefiel ihr ja gerade an Männern. So ein Drei-Tage-Bart. Rrrrrrrrrrr! Mit was sie wohl weiter ausgestattet sein würde! Das muss ja ein Gefühl sein, so eine Latte zu kriegen. Sie liebte es, wenn ein Mann sein anschwellendes Glied an ihr Becken presste und ein starker Arm sie festhielt. Einmal hatte sie ja einer auf seine Schulter gehievt und sich ganz schnell mit ihr gedreht bis ihr schwindlig wurde. Nein! – Nicht weiter denken. Buoh ... was für eine Kotzerei war das. Und das war's dann auch! Oh, zu Ende. Bye Freddie. Frau sein hat doch auch seine guten Seiten. Wer weiß, welche Erfahrungen ich erst mit Frauen machen würde – so als Mann. Oder ich steh‘ als Mann immer noch auf Männer. Was denk‘ ich nur für einen Schwachsinn! Da bleib ich doch lieber ICH. Was faselt der da im Radio?

Für alle, die jetzt in der Badewanne liegen ...

Hab‘ ich richtig gehört?

... bleibt, wie ihr seid und nutzt eure letzte Chance!

Anne tauchte kurz unter. Als sie wieder hoch kam, bekam sie noch ein paar Zahlen mit.

... 28, 29, 36, 40 und die Zusatzzahl 7.

Hastig setzte sie sich auf und klopfte sich mit der Innenfläche ihrer Hand das Wasser aus
einem Ohr.

Jetzt noch mal zum Mitschreiben: 2, 20, 28, 29, 36, 40, die Zusatzzahl ist die 7.

Annes Zahlengedächtnis war sehr gut. Das hatte sie sich damals während ihres Studiums so antrainiert. Außerdem war der 28.02. ihr Geburtstag. Sie hatte noch 20 Bewerbungen am Start, war jetzt 28 und würde bald 29. Sie wohnte in Hausnummer 36 und hatte eine Einladung zum 40. Geburtstag ihrer Freundin aus Dortmund bekommen, der am 7. ist.
So ein Blödsinn – Lotto spielen! Eine Chance von 14 Millionen auf den großen Gewinn, der alle Sorgen auf einmal wegfegt. Irgendetwas ließ sie dennoch nicht los. Anne horchte nach der Stimme.

... und an alle Ungläubigen wie dich. Ein letzter Hinweis: Es ist die Ziehung von übermorgen – liebe Anne! Deine "letzte Chance"!

Anne griff nach dem Radioempfänger und schüttelte ihn. Er war jetzt stumm. Kein Laut mehr.
Sie begann das Ding heftiger zu bearbeiten. Schlug fest mit der flachen Hand darauf rum. Nichts! Kein Knistern, kein Rauschen. Wütend stieg sie aus der Badewanne. Wer hat sich denn da so einen dummen Scherz gemacht? Trotzig ging sie an diesem Abend ins Bett.
Als sie am nächste Morgen auf dem Weg zur U-Bahnstation "Kurfürstendamm" an einer Lottoannahmestelle vorbei musste, klang es ihr im Ohr: Es ist deine letzte Chance! Außerdem juckte ihre linke Hand.

Hat sie oder hat sie nicht?

Anne hat gestern einen Lottoschein ausgefüllt und die Zahlen: 2, 20, 28, 29, 36, 40 angekreuzt.

Zur Sicherheit auch:
2, 7, 20, 28, 29, 36
2, 7, 20, 28, 36, 40
2, 7, 20, 29, 36, 40
2, 7, 20, 28, 29, 40
7, 20, 28, 29, 36, 40 – man kann ja nie wissen, wenn's um die letzte Chance geht.
Wer bekommt schon so schnell eine zweite. Und fünf und Zusatzzahl, ist ja schon mal ein Anfang.

Das war gestern. Die Ziehung ist heute.

Letzte Aktualisierung: 09.08.2009 - 14.29 Uhr
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