Wellensang
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Die Fantasy haben wir in dieser von Alisha Bionda und Michael Borlik herausgegebenen Anthologie beim Wort genommen. Vor allem fantasievoll sind die Geschichten.
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September 2009
Nicht heute
von Helga Rougui

Fürchtest du dich?
Das solltest du auch.
Denn ich bin David.
König David.

Ich bin der Sieger, der Kleine mit der Schleuder, der mit seinem Brotkörbchen aufs Schlachtfeld taumelte und von dem niemand dachte, daß er je siegen könnte. Ich habe damals den Koloß zu Fall gebracht. Ob ich innerlich vor Angst zitterte? Ich weiß es nicht mehr.
Ich habe ihn zu Fall gebracht, und danach änderte sich alles.

Jahre sind seitdem vergangen. Macht wechselte den Besitzer, viele Kriege wurden geführt, und ein Reich entstand. Mein Reich. Ich wurde mächtiger und mächtiger.
Nun bin ich der Koloß.
Und meine Füße – man verzeihe den Anachronismus - sind nicht tönern, dafür habe ich gesorgt.

Aber da ist ein Punkt in meinem Inneren.
Ich kann ihn nicht erfassen, ich blende ihn aus. Ich umgehe ihn.
Er verwirrt mich, ich versuche ihn zu ignorieren.
Aber ich bin mir bewußt, daß da etwas ist. Etwas, was mir Unannehmlichkeit bedeuten könnte.

Ich fühle, daß eine Schleuder auf mich gerichtet ist.
Aber ich weiß nicht, aus welcher Richtung der Stein kommen wird.

Ich habe nicht mal eine Ahnung.
Alle Ahnungen haben mich verlassen.
Aber niemand weiß das. Es wäre nicht gut, wenn alle wüßten, daß den König die Ahnungen verlassen haben.
Aber meiner Stärke tut das keinen Abbruch.
Ich hatte viele Mitstreiter, sie sind mit mir groß geworden, haben sich in meinem Ruhm gesonnt und von meiner Macht profitiert.
Wie man halt so sagt.
Die Wahrheit ist, ich, ich ließ das zu. Nie geschah etwas ohne meinen Willen. Jeder unterwarf sich.
Die Knochenarbeit des Herrschens blieb immer dem Stärksten.
Und der war ich.
Immer.

Und wenn jetzt jemand denkt, ich würde schwach, nur um der Dramaturgie des Lebens (oder einer Geschichte) zu genügen – der irrt.
Ich bin und bleibe stark.
Ich singe laut im dunklen Wald, ich übertöne die Unruhe, die sich geräuschlos auf kleinstem Raume in mir windet, meine Stimme ist kräftiger, als es diese stummen Ungereimtheiten je sein werden. Ich höre sie nicht, diese lächerlichen lautlos platzenden Blasen, um so besser. Solange ich nicht weiß, was kommt und wann, werde ich das Spiel weiterspielen. Erfahrung, Mut, Zielstrebigkeit. Ich besiege jede Gefahr. Ich habe keine Angst.

Und doch, manchmal, diese Sprachlosigkeit.

Ich habe viele gesehen, die vom Stein der ihnen bestimmten Schleuder getroffen zusammenbrachen.

Und es hat lange gedauert, bis mir klar wurde, daß auch mir ein Stein und eine Schleuder bestimmt sind.

Nicht zu wissen, wann und wo. Aber sie sind auf mich gerichtet.

Manchmal hallt in mir - kaum abgeschwächt durch die vergangenen Jahrzehnte - das häßliche Lachen des sterbenden Riesen nach, ehe er verschied.
Und ich frage mich noch heute, was hatte der zu lachen im Augenblick seines Todes.
Die Zeit verging. Es gab viel zu tun.
Ich vergaß ihn und sein Lachen.
Aber nie ganz.
Und nun, in den letzten Wochen, erinnere ich mich immer häufiger.

Ich möchte meine innere Wunde nicht berühren, tue es aber doch.

Nur um zu sehen, ob ich noch stark genug bin.
Ich halte stand.

…

Die Diener treten lautlos ins Gemach, verbeugen sich tief.
Räucherpfannen werden hereingetragen.
Einer der Diener tritt hinter den König, legt ihm den Festmantel um, ein anderer nähert sich ihm gebückt, reicht ihm seinen goldenen Stab.
Sie halten die Augen wie befohlen gesenkt, niemand soll sehen, wie der König sich schwer aufstützt und mühsam erhebt, einen Moment leicht schwankend stehenbleibt und sich dann mit kleinen unsicheren, dann kräftigeren Schritten der Tür zum Altan nähert.
Es gilt, sich dem Volk in seiner ganzen Pracht und Stärke zu zeigen.

König David tritt hinaus, tritt an die Brüstung.

Die Menschen jubeln, toben, schreien.
Und der König schaut über die Menge, in die Menge, versucht den einen zu erkennen, der ihm bestimmt ist.
Wäre es heute? Wer würde es sein?

…

Tatsächlich wurde sein Stein bereits auf seine Schleuder gelegt.
Von einem, der sein Handwerk versteht.

Und der bestimmen wird, wann das sein wird – heute.

Letzte Aktualisierung: 18.09.2009 - 13.19 Uhr
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