Unsere Literaturzeitschrift Schreib-Lust Print bietet die neun besten Geschichten eines jeden Quartals aus unserem Mitmachprojekt. Dazu Kolumnen, Infos, Reportagen und ...
Eigentlich hatte ich keine Lust. Aber ich war für das Punktspiel aufgestellt und musste nun auch antreten. Die Luft war morgens schon warm und schwül. Es würde ein schweißtreibendes Match werden. Meine Gegnerin stand schon auf dem Platz und machte merkwürdige Bewegungen. Sah benahe so aus, als würde sie sich jeden Moment verrenken. Ich kicherte.
„Wollen wir vorher wählen, wer mit dem Aufschlag beginnt?“, fragte sie während einer Stretchübung.
„Meinetwegen“, murmelte ich.
Meine Kontrahentin hatte die Wahl gewonnen und entschied sich für Rückschlag.
„Du kannst ja von der Schattenseite aufschlagen!“, bestimmte sie einfach.
„Nein!“
Sie schaute mich mit großen Augen an.
„Ich schlage gegen die Sonne auf!“
Schließlich konnte ich rechnen. Beim ersten Seitenwechsel hätte ich den Himmelskörper für zwei Spiele im Rücken. Das wäre ein Vorteil für mich.
„Wir haben uns noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Verena.“
„Ute“, erwiderte ich knapp.
„Dann kann es ja losgehen. Übrigens bin ich dafür, dass wir die Punkte laut zählen. Bei Unstimmigkeiten machen wir zwei neue Aufschläge!“
Ich runzelte meine Stirn. Wieder so eine Ãœbereifrige. Wieso musste ich immer diese
ausgekochten Gegner erwischen. Sicherlich würde es im Verlauf des Matches Ärger geben.
„Wollen wir uns nicht erst einmal einspielen?“, fragte ich.
Der erste geschlagene Ball von mir kam sogleich als Rakete zurück. Ich erwischte ihn natürlich nicht und sie grinste.
Das auch noch. Wieder so eine Person, die mit ihren harten Grundschlägen imponieren wollte.
Ich ging gemütlich zum Spielfeldrand, um die gelbe Filzkugel aufzuheben. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sie auf der Stellte trippelte, um sich warm zu halten. Blöde Kuh.
Durch das katastrophale Einspielen kamen natürlich keine Ballwechsel zustande. Sie haute mir alles um die Ohren, was gelb war. Nach zehn Minuten wollte sie Aufschläge machen.
„Okay“, grunzte ich nur.
Sie knallte ihre Aufschläge wie Geschosse in mein Feld. Verena lächelte zufrieden.
Ich dagegen servierte langsam, um in den Bewegungsablauf zu kommen. Sie schenkte mir einen verächtlichen Gesichtsausdruck. Typischer Hausfrauenaufschlag und das in dieser Klasse, dachte sie bestimmt.
„Wollen wir mit dem Match beginnen?“, fragte Verena.
„Meinetwegen.“
„Auf ein faires Spiel!“, trillerte sie.
„Ja“, antwortete ich nur knapp.
Die ersten Spiele liefen hervorragend für mich. Mit ihrer vorher so knallharten Vorhand machte sie eine Menge Fehler, sodass ich kaum mit Risiko spielen musste. Die erste Hürde war gemeistert und nach kurzer Zeit gewann ich den ersten Satz.
Verena sprach überhaupt nicht mehr mit mir. Sie saß verbiestert auf ihrer Bank und starrte den Schläger an. Die folgenden Spiele verliefen ähnlich. Ich brauchte nur auf die Fehler zu warten. Sie wurde immer zorniger. Geduld schien nicht ihr bester Verbündeter zu sein.
Im zweiten Satz beim Punktestand von 5:3 und 40:15 für mich donnerte sie wieder eine Vorhand ins Aus. Im selben Moment kullerte ein fremder Ball auf meine Spielfeldseite.
„Aus!“, rief ich.
„Den Punkt müssen wir wiederholen! Ich fühlte mich gestört“, schrie Verena zu mir rüber.
„Der war vorher schon im Aus“, erwiderte ich.
„Nein, das stimmt nicht. Ich bestehe auf zwei Neue!“
Zähneknirschend nickte ich. Nur nicht aufregen. Du bist ja noch im Vorteil.
Ihren Aufschlag returnierte ich longline auf ihre Rückhandseite. Die Linie wurde touchiert.
„Aus!“
„Wie bitte? Den Ball habe ich an die Linie gespielt.“ Ich lief zum Netz und hielt meinem Finger in die Richtung des Abdruckes.
„Nein. Der war das nicht. 40:30!“
„Okay, dann Wiederholung!“
„Nein, der Abdruck ist deutlich zu sehen!“
Sie zeigte mir einen ganz anderen. Ich kochte innerlich wie ein Teekessel, der durch den heißen Dampf in jedem Moment den Deckel verlieren würde.
Die Konzentration verschwand und ein leichter Rückhandball segelte ins Netz.
„Vorteil für mich!“, rief Verena.
„Soweit sind wir noch gar nicht!“
„Doch, du hast zwei Fehler hintereinander gemacht!“
Sie ging auf die Vorteilseite und wartete bereits auf den nächsten Aufschlag.
„Das kann nicht sein! Der Spielstand stimmt nicht“, rief ich entrüstet.
„Doch. Vorteil für mich!“
Ich war verdattert. Hatte sie Recht? Die letzten Punkte konnte ich nicht mehr rekonstruieren.
Ihren Return schlug ich erwartungsgemäß ins Aus.
„Spiel! 4:5! Verena lief zur Bank.
Jetzt sprang der Deckel ab. Der Schläger landete hart auf meiner Tasche. Mein Kopf hatte sich in eine rote Tomate verwandelt und das lag nicht an den Temperaturen. Ich brauchte nun dringend Abkühlung und schnappte mir ein Handtuch.
„Du darfst den Platz nicht verlassen. Das ist gegen die Regel!“
„Ich gehe nur zum Wasserhahn und werde den Center Court nicht verlassen!“, antwortete ich schnippisch.
Mit dem im kühlen Wasser getränkten Handtuch wischte ich mein Gesicht ab. Das tat gut.
Allmählich verblasste die Röte. Mit dem nassen Tuch im Nacken ging ich zur Bank zurück.
Verena gönnte sich keine lange Pause und lief hektisch wie ein Raubtier im Käfig an der Grundlinie umher. Ich biss noch einmal demonstrativ in aller Ruhe von meiner Banane ab. Sie schüttelte nur mit dem Kopf und rückte hastig die Saiten des Schlägers zurecht.
Verena sah angespannt aus und machte einige Kniebeugen. Ich folgte ihrem Beispiel und dehnte meine Beine.
„Können wir jetzt endlich weiterspielen!“, kreischte sie mir zu.
Ich beachtete sie gar nicht, sondern ging an die Grundlinie und bereitete mich auf meinen Aufschlag vor, den ich auf Verenas Rückhand servierte. Sie antwortete mit einem Slice, der ins Halbfeld landete. Ich erwischte ihn und spielte einen Stopp.
„Aus!“
„Wie bitte?“, entgegnete ich fassungslos.
„Aus!“
„Zeigst du mir bitte den Abdruck.“
Sie seufzte und zeigte mir wieder absichtlich einen ganz anderen.
„Das ist er nicht!“, widersprach ich.
„Das kannst du aus der Entfernung nicht klar erkennen!“
„Ich weiß doch wohl, wohin ich geschlagen habe. Dann wiederholen wir den Punkt!“
„Nein! 0:15!“ Bleibe ruhig.
Das hätte ich nicht denken sollen. Es folgte ein Doppelfehler.
„Doppelfehler! 0:30!“, zählte sie laut und stakste auf die Rückhandseite.
„Scheiße!“, fluchte ich leise.
Mit fragender Miene schaute ich meine Teamkollegen an. Sie bestätigten den Doppelfehler mit Kopfnicken. Jetzt bist du an der Reihe. Ich bin mental stärker als du. Ich unterbrach meine Aufschlagbewegung und fing den Ball auf. Dann band ich mir in aller Ruhe beide Tennisschuhe zu.
Verena tippelte unruhig auf der Stelle.
Den ersten Aufschlag servierte ich ihr wie einen Einwurf auf ihre Vorhand. Sie hechelte in Richtung Netz, holte gewaltig aus und drosch die Filzkugel mit einer Affengeschwindigkeit ins Aus. Ich konnte gerade noch zur Seite springen und dem Geschoß hinterher sehen.
„Knapp aus! 15:30!“, rief ich mit Schadenfreude.
„Witzig, witzig“, zischte sie.
Es hatten sich mittlerweile einige Zuschauer eingefunden, die dem Spielverlauf gespannt verfolgten. Ihren Return attackierte ich. Unerreichbar für sie. Sie schimpfte wie ein Rohrspatz. Die Zuschauer klatschten mächtig Beifall.
„30:30!“, freute ich mich.
Verenas Wangen glühten und ihr rechter Mundwinkel zuckte vor Wut. Jetzt wurde es spannend.
Ich servierte ihr einen Sliceaufschlag auf die Vorhand. Sichtlich überrascht schob sie den Ball, der über die Netzkante tänzelte, in mein Feld. Mist, zu kurz für mich. Damit hatte ich nicht gerechnet.
„30:40!“, lächelte Verena. Ihre Teamkollegen applaudierten und johlten vor Freude. Dumme Pute.
Mein Aufschlag klatschte auf die Linie.
„Aus!“
„Nee, der war gut!“, entgegnete ich.
Meine Damen diskutierten heftig über Verenas Entscheidung und nickten mir zu.
„Auf meiner Seite des Platzes urteile ich“, entgegnete meine Gegnerin gereizt.
Ich hätte vor Wut in den Schläger beißen können.
„Zwei Neue!“, forderten meine Damen.
Nun schaltete sich Verenas Mannschaftsführerin in das Geschehen mit ein und stand mit meiner im Kreis um den vermeintlichen Abdruck herum und diskutierte heftig.
Es half nichts sie beharrte auf das Aus!
„Schluss jetzt! Ich mache den Zweiten!“, rief ich den Streithähnen zu.
„Doppelfehler! Einstand!“, schrie meine Gegenspielerin wie eine Furie zu mir rüber.
Ich fühlte mich nun allmählich wie David, der gegen Goliath spielte. Ihre größte Waffe war mittlerweile das Schummeln geworden und das musste aufhören. Ich hatte zwar keine Steinschleuder, aber einen Tennisschläger …
Verena stand cirka einen Meter hinter der Grundlinie. Plötzlich hatte ich die zündende Idee.
Meinen Aufschlag servierte ich nicht wie üblich, sondern wie beim Badminton. Sie schrie auf und lief wie von der Tarantel gestochen. Noch zwei Schritte, dann wäre sie nahe genug am Ball. Sie traf ihn nur noch mit der Schlägerspitze und er purzelte kraftlos zu Boden.
„Das ist unfair.“
„In den Spielregeln steht nicht geschrieben, wie serviert werden muss“, konterte ich.
„Finde ich nicht in Ordnung!“, debattierte sie. Ihre Mitspielerinnen schüttelten die Köpfe.
„Na gut, dann eben Spiel und Match!“
Sie ging schnurstracks auf das Netz zu. Ich war verdattert. Spiel und Match? Eigentlich bin ich ja eine ehrliche Spielerin, aber in diesem Fall …
Wir reichten uns die Hände. Verena packte schweigend ihre Sachen zusammen und ging mit gesenktem Kopf vom Tennisplatz.
Meine Teamkolleginnen kamen auf mich zu und gratulierten mir.
„Was sollte das denn?“, fragte meine Mannschaftsführerin.
„Keine Ahnung. Vielleicht die ausgleichende Gerechtigkeit oder wie David Goliath besiegte?“ Ich schmunzelte und verließ als Siegerin den Center Court.