Bitte lächeln!
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September 2009
Letzter Aufruf
von Marika Bergmann

Warum schickte man gerade ihn nach China? David arbeitete erst seit drei Monaten für "GUCCI". Jetzt saß er im klimatisierten Flieger nach Fernost, das Designer-Outfit seines Auftraggebers klebte an seinem Rücken. Seine Hand krampfte sich um das zerknüllte Flugticket und der bloße Gedanke an die elf Stunden Flug nach Shanghai ließ das Blut in seinen Adern gerinnen – trocken wie der Pulverkaffee vor dem Aufgießen. David spürte ein zartes Klopfen auf seiner Schulter.
„Alles in Ordnung? Möchten Sie etwas Wasser?“
Er schreckte auf und sah die hübsche Stewardess, die ihm mit einem Lächeln einen Becher anbot.
„Sind wir schon in der Luft?“
„Nein, wir starten in wenigen Minuten. Es fehlt noch ein Passagier.“
Erleichtert nahm er einen kräftigen Schluck. Früher, in seinem Job als Einkäufer, hatte er es jedes Mal geschafft, so einer nervenaufreibenden Strapaze geschickt aus dem Weg zu gehen. Wofür gab es ICEs! Er hatte jetzt umsatteln müssen und fühlte sich im Moment, in einem blechernen Vogel gefangen. Die Baldriantropfen von heute Morgen wirkten allmählich – vielleicht war ihm deshalb so flau. Hätte sie besser nicht auf nüchternen Magen nehmen sollen.
Er versuchte, sich zu entspannen und an etwas Schönes zu denken.

„So, dann wolln wa mal!“ Ein Koloss von Mensch, weit über zwei Meter groß, zwängte sich auf den Sitzplatz neben ihm. Davids Blick suchte die freundliche Flugbegleitung von eben. „Darf ick die Armlehne benutzen? Na, wir werd'n uns schon einig. Verdammt heiß hier, nicht wahr?“ Der Riese rammte seinen Ellenbogen in Davids Magen.
„Goliath, Jens Goliath.“
David schluckte. Den Brustkorb mit Sauerstoff füllen, langsam wieder ausatmen und einatmen. Die Stimme des Flugkapitäns kündigte den Start an. David spürte ein überdimensionales Knie direkt neben seinem. Es gab nun kein Zurück mehr. Ausweglos!
„Na, Sie sind ma ja nich jerade der Gesprächigste. Man kann sich seinen Nebenmann leider nich aussuchen. Eene flotte Biene wär dir wohl lieba?“
Erstaunt blickte David dem schwitzenden Nachbarn ins Gesicht.
Zusammengewachsene Augenbrauen und die Mimik eines Neandertalers.
„Wie bitte? Reden Sie mit mir?“
„Mit wem denn sonst? Sitzt hier noch eener? Du bist mir ja 'n janz förmliches Söhnchen und Flugangst haste ooch noch. Bist ja kreidebleich im Jesicht. Trink ma lieba noch 'nen Schluck, sonst wirste mir hier noch ohnmächtig.“
Die wurstigen Finger des Riesen tätschelten jetzt seine Wange. David wollte sich aufbäumen, da schlug ihn auch schon ein fester Hieb in die Eingeweide auf den Sitz zurück und die kräftige Hand zurrte seinen Gurt straff.
„Jüngelchen, wir starten! Schön zurücklehnen und nich die Nerven verlier 'n.
Fliegst wohl det erste Mal? Dat Jefühl kenn ick. Mann, 'ne schicke Nummer wie du.
So gestylt und so und denn sowat.“
David hätte am liebsten losgebrüllt. Er tastete an der Lehne nach einem Klingelknopf für Notfälle – den musste es hier doch geben. Mit dem aufdringlichen Sitznachbarn ringend, schnellte sein Arm nach oben. Ein Handzeichen. Noch ein ’Hallo!‘ nachwerfend, blickte er zur Pranke auf der Lehne zu seiner Linken und sah noch die langsam entschwindenden Lichter der Stadt in der Öffnung zu seiner Rechten. Wenn es in diesem Universum eine höhere Gewalt geben sollte: ’Bitte steh mir bei!‘

Es war still. Verwundert sah er nach seinem Nebenmann. Schweißperlen. Offener Mund. Starrer Blick. Angespannte Schultern. – Atemstillstand? David lehnte sich über die Sitzlehne. Der Riese war lahmgelegt. Wie ausgeschaltet saß dieser Goliath da.
„Hey! Was ist los mit Ihnen?“
Hilflos schwenkte sein Blick zur Seite auf den erstaunten Gesichtsausdruck eines Mitreisenden.
„Hilfe! Hallo! Ist ein Arzt an Bord?“, schrie eine Frau hysterisch vom Platz hinter ihm.
Ein Raunen ging durch den Flieger. Das Schnacken von Gurtverschlüssen. David wollte ebenfalls nach dem Metallteil tasten, da umschloss die fleischige Faust des Sitznachbarn seine Hände.
„Wer wird denn gleich in Panik jeraten? Ha, ha! – Hallo, liebe Mitfliejer! Es ist allit in bester Ordnung.“
Die riesige Hand lag jetzt auf Davids geballten Fäusten. Womit hatte er das verdient?

Nicht darüber nachdenken! Es gibt viel Schlimmeres, als so einen verdammten Flug! Einen Berg Masse neben sich, der zu geschmacklosen Scherzen aufgelegt ist. Er würde ihn einfach ignorieren, soweit es möglich war. David spürte das Gesäß seines Nachbarn an seiner linken Körperseite und verlagerte sich in die freie Ecke. Er öffnete seinen Gurt und kramte die Reisekopfhörer samt iPod aus seiner Messangerbag. Hörte Goliath noch laut vor sich hin brabbeln.
„Hoffentlich tischen die uns nicht wieder den üblichen Fraß auf – son richtiges Steak wär doch mal watt!“
Demonstrativ seine Ohrmuscheln verschalend, lehnte David sich entspannt zurück. Wäre ja was, wenn die Dumpfbacke neben ihm das nicht kapiert. Er versuchte, den Rockballaden aus dem iPod zu lauschen.

Was der wohl im Land der aufgehenden Sonne macht? Bestimmt arbeitet der für eine Fastfoodkette. David schloss die Augen und dachte an seinen letzten Abstecher zu McDonalds nach der durchzechten Nacht mit den ehemaligen Kollegen – seinen Ausstand. Das waren noch Zeiten – bei "Kramer & Kramer" in dem Großraumbüro! Jetzt saß er in seinem eigenen Büro isoliert und in den vergangenen Monaten hatte er den Späßen, die die Männer miteinander ausheckten, nachgetrauert. Er dachte daran, wie sie Eistee in eine Weinbrandflasche gefüllt hatten, sich vor den Augen des Vorzimmerengels einen nach dem anderen hinter die Binde gossen und dazu grölten und lallten. Hat die aus der Wäsche geguckt! Sie war sogar peinlich berührt und versuchte, uns zu decken, als der Chef durch das Büro ging. Die Kleine hatte sich tatsächlich vor die Flasche mit Eistee geworfen, damit der alte Kramer das Corpus Delicti nicht sieht. – Vorbei. Was soll‘s! Neues Spiel, neues Glück!

Es ruckte wie bei einer schnellen Fahrstuhlabwärtsfahrt. David erschrak, sah zur Seite auf einen leeren Sitz, nahm die Kopfhörer ab und genoss den freien Raum neben sich. Das Symbol zum Anschnallen blinkte und durch die Bordlautsprecher kam der Hinweis auf leichtere Turbulenzen. Während er nach der Schließe des Gurtes angelte, atmete er erleichtert auf. Nur gut, dass dieser Fettklops jetzt nicht neben ihm saß und durch das Schaukeln womöglich noch auf seinem Schoß gelandet wäre. Mensch, wo blieb der nur? Höchstwahrscheinlich war er auf der Toilette und klemmt jetzt zwischen dem Handwaschbecken und dem Harmoniethron fest. David lachte. Das Zeichen zum Anschnallen erlosch wieder. Die Flugbegleitungen schwebten mit strahlenden Gesichtern durch die schmalen Gänge, als wäre nichts vorgefallen und bereiteten die Essensausgabe vor. Es roch undefinierbar. Der Wagen mit den Getränken klapperte den Gang entlang.
„Was darf ich Ihnen anbieten?“
„Haben Sie auch Bier?“
„Ja, wenn Sie möchten.“
„Ja bitte!“ David nahm den Plastikbecher und das Dosenbier entgegen. „Danke, das ist jetzt genau das Richtige!“

Wenn er nicht wüsste, dass er irgendwo über den Wolken schwebte, könnte es ja ganz angenehm sein. Wo blieb dieser Goliath nur? David musste schmunzeln. Er dachte an die Geschichte von "David und Goliath". Eigenartig – machte er sich Sorgen um den Riesen? Eigentlich sollte er froh sein, dass dieser Koloss wegblieb und er sein Bier in aller Ruhe trinken konnte. Er griff in die Sitztasche und suchte nach einem Magazin. Vielleicht würde ja etwas über "GUCCI", die Firma, für die er in die Luft gestiegen war, drin stehen? Da, was war das? Amüsiert lehnte sich David zurück, löste den Riegel der Ablage und legte das Magazin ausgebreitet vor sich aus. Er fühlte an seinen Bartstoppeln. Ein Artikel über Flugangst. Suchend blickte er sich um, von Mr.Goliath war immer noch nichts zu sehen. Dieser Minotaurus und seine spöttischen Kommentare hätten in dieser Situation noch gefehlt. David überflog den Text eilig. Bekämpfe die Angst. (...) Wut und Verzweiflung sind die stärksten Konkurrenten der Angst. (...) Grenzenlose Wut erstickt die Angst im Keim. Am Ende des Artikels war der Autor abgebildet und die sehr klein gedruckte Bildlegende ließ auf den Urheber schließen. David rieb sich die Augen. Interessiert hob er das Heft dichter vors Gesicht.

Der Autor Dr. Jens Goliath von der Charité Berlin ist beim Absturz seines Privatfliegers im Dezember 2008 ums Leben gekommen.

Das war im letzten Jahr. David traute dem, was er da sah, nicht. Das Bild und der Name stimmten überein. Es konnte nicht sein. Das war ein und derselbe Mann. Der war doch noch putzmunter. Er starrte auf den Artikel.

„Huhn oder Fisch?“
Davids Unterlippe war vorgeschoben und ein Luftschwall wich aus seinem Mund. Er zog sie hastig mit dem Speichel, der von ihr tropfte, wieder ein. Versuchte seinen Mund zum Sprechen zu formen: „Wie bitte?“
„Möchten Sie lieber Huhn oder Fisch essen?“ Die Stewardess sah ihn fragend an.
David hob den Artikel in ihre Richtung und zeigte auf das Foto.
„Sie kennen diesen Mann!? Er saß seit dem Start neben mir.“
„Nein! Der Platz neben Ihnen war die ganze Zeit leer.“
„Das kann nicht sein. Der ist doch nur zur Toilette gegangen.“
„Die haben wir erst wieder aufgeschlossen, als die Turbulenzen vorbei waren.“
„Der war doch – der hat doch nach dem Abheben so getan, als würde er kollabieren und hat uns allen einen Schrecken eingejagt.“ David drehte sich zur hinteren Sitzreihe.
„Sie hatten noch nach einem Arzt gerufen.“ Er sah in ein Gesicht, das ratlose Falten zog.
„Mein Herr, Sie haben den Start doch verschlafen und eine ganze Weile nachher noch laut geschnarcht.“
Fassungslos glitt David in den Sitz zurück.
Die Stewardess sah ihn beruhigend an: „Wenn Sie sich jetzt noch nicht entscheiden können, komme ich auf dem Rückweg noch einmal wieder. OK?“
„Hm – ja, geht in Ordnung.“

David rieb nachdenklich mit dem Daumen an seiner Unterlippe. Wie war das möglich?
Konnte der Geist des Doktors ihm die Panik vor dem Fliegen genommen haben?
Hatte er, "David", mit Hilfe von "Goliath" seine Angst besiegt?

Es ging David sehr gut und irgendwie bekam er Lust auf ein saftiges Steak.

Letzte Aktualisierung: 17.09.2009 - 10.41 Uhr
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