'paar Schoten - Geschichten aus'm Pott
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September 2009
EINE FRAGE DER MOTIVATION
von Eva Kimaris

Angelo runzelte die Stirn. Der kleine Ganove, der zitternd auf dem Stuhl vor ihm hockte, hatte versucht, ihn übers Ohr zu hauen. Leider verlief das Gespräch nicht allzu ergiebig. „Langsam verliere ich die Geduld mit dir, Giovanni!“, donnerte er und knallte mit der Faust auf den grün bespannten Pokertisch. Staubflusen wirbelten empor, tanzten in der abgestandenen Luft. „Zum letzten Mal: Wo sind die Juwelen?“
Giovanni leckte sich die aufgeplatzten Lippen. „Ich weiß es nicht!“, krächzte er und riskierte einen Blick zur Tür. Angelos athletischer Leibwächter, der ihn vorhin als Punchingball gebraucht hatte, schob dort Wache; scheinbar gelangweilt lehnte er an der Wand und säuberte mit der Spitze seines Klappmessers seine Fingernägel.
„Das kannst du meiner Nonna erzählen“, zischte Angelo.
„Bitte“, flehte Giovanni, „du musst mir glauben!“
„Dir glauben?“ Angelo lachte. „Für wie naiv hältst du mich?“
Sein Gegenüber schwieg.
Angelos Miene wurde ernst. „Na gut“, sagte er. „Wenn die freundliche Tour bei dir nicht zieht, muss ich andere Saiten anschlagen. Du lässt mir keine Wahl.“ Er wandte sich ab. Seine Schuhsohlen quietschten auf dem Linoleum. Vor einem Glaskasten in der hinteren Zimmerecke blieb er stehen und betätigte den Lichtschalter. Eine Neonröhre erwachte flackernd zum Leben. „Hast du schon mal Bekanntschaft mit einem Mongolischen Todeswurm gemacht?“, fragte er über die Schulter hinweg.
Giovanni schüttelte den Kopf.
„Faszinierende Tiere. Giftiger als grüne Mambas. Ein Pech, dass sie so scheu sind. Leben im Sand, kommen nur bei Regen an die Oberfläche.“ Er nahm eine Sprühflasche vom Wandregal. „Mal sehen, ob ich ihn herauslocken kann.“ Sein Zeigefinger krümmte sich um den Zerstäuberhebel. Feiner Sprühnebel benetzte die Sandschicht mit den drapierten Steinen und Sukkulenten. „Der bloße Hautkontakt mit einem Allghoi Khorkhoi reicht aus, um einen Menschen ins Jenseits zu befördern.“ Aus einer Plastikdose pickte er eine Grille heraus und ließ sie auf die befeuchtete Stelle fallen. Wo der Chitinpanzer aufschlug, knisterte, zischte, qualmte es. Funken stoben. Dann explodierte das Insekt, detonierte wie eine Miniaturgranate.
Angelo grinste. Seine makellos weißen Zähne blitzten wie in einer Zahnpastareklame. „Nichts für den heimischen Streichelzoo.“ Mit einer Grillzange fischte er eine rötliche, fingerdicke Wurst aus der Wüstenimitation. Das Tier versuchte, sich seinem Griff zu entwinden, doch er ließ nicht los, kehrte zurück an den Tisch und hielt das sich krümmende Etwas seinem Widersacher unter die Nase. „Schau dir meinen Liebling mal aus der Nähe an. Sieht er nicht drollig aus?“
Instinktiv wich Giovanni zurück.
„Ausgewachsene Exemplare bringen es locker auf einen halben Meter Länge. Aber lass dich von der Größe nicht täuschen; dieses Jungtier tötet dich schneller als jeder Profikiller.“
Schweißtropfen glänzten auf Giovannis Stirn, perlten in seine zugeschwollenen Augen. „B-bitte, A-Angelo“, stotterte er, „n-nimm das V-Vieh weg!“
„Sicher, mein Freund“, säuselte Angelo. Als er fortfuhr, nahm sein volltönender Bariton einen gefährlich scharfen Ton an. „Sobald du mir verrätst, wohin du die Steinchen aus dem Bruch beim Gioielliere geschafft hast!“
„Die Klunker habe ich auf dem Friedhof verbuddelt“, sprudelte es aus Giovanni heraus. „In der Familiengruft!“
„Stimmt das wirklich?“
„Beim Leben meiner Mamma, ich schwör!“ Giovannis Stimme überschlug sich fast, wechselte ins Falsett. „Und jetzt bring den verdammten Wurm weg!“
Angelo lächelte zufrieden und gab seinem Handlanger ein Zeichen.
Der Koloss steckte das Messer weg, durchmaß den Raum mit drei Schritten, packte den kleinen Gauner am Kragen und zerrte ihn hinaus.
Nachdem sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, nahm Angelo auf dem von Giovanni angewärmten Stuhl Platz und setzte das zappelnde Wesen auf die Tischplatte. Auf der Suche nach einer Fluchtmöglichkeit robbte es die Tischkante entlang. Die winzigen Beinchen kratzten wie Widerhaken über die Filzbespannung. Er schmunzelte in sich hinein. „Alles eine Frage der Motivation“, murmelte er und streichelte sanft die glänzende, weiche Haut des Tieres. Der Trick mit der Grille zog immer: ein Chemiecocktail aus der Sprühflasche plus einer präparierten Insektenattrappe, dazu die harmlose Riesenraupe eines Weidenbohrers. Mehr war nicht nötig, um selbst die mundfaulsten Schurken zum Singen zu bringen.


Letzte Aktualisierung: 21.09.2009 - 10.25 Uhr
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