Der Cousin im Souterrain
Der Cousin im Souterrain
Der nach "Dingerchen und andere bittere Köstlichkeiten" zweite Streich der Dortmunder Autorinnengruppe "Undpunkt".
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Oktober 2009
Landung der Wieps
von Susanne Ruitenberg

Sina betrat das Gewächshaus und stutzte. Alles staubtrocken! Ihr Gesicht spannte, als wäre sie ohne Schutzanzug im Freien gewesen.
Schlaff hingen die Auberginenpflanzen in ihren Beeten. Hektisch überprüfte sie die Einstellungen. Bewässerung und Klimaanlage liefen, es musste an der Hülle liegen. Sie startete ihren Elektroroller und brauste los.
In der hintersten Ecke sah sie ein Loch in der Decke, stellte den Roller ab und ging langsam weiter. Ihr Fuß stieß gegen etwas Metallisches. Vorsichtig tippte sie das runde Objekt an. Mit einem SPROING sprang eine Klappe auf. Sina schrie und stolperte rückwärts. Kleine braune Körner flogen in hohem Bogen aus dem Ding und prasselten überall nieder. Die Kügelchen sanken in die Erde, als würde ein unsichtbarer Finger sie hineindrücken. Sie zog den MobCom aus der Tasche und rief die Agro-Kommandozentrale an.
„Quadrant 1, Sina Moor. Notfall, unbekanntes Objekt hat das Dach von Gewächshaus 8 durchschlagen und schieß Körnchen durch die Gegend.“
„Hier Leutnant Sieber. Wir schicken sofort eine Einsatztruppe.“
„OK. Sehen Sie es?“ Sie hielt den MobCom Richtung Zylinder.
„Was ist DAS? Zoomen Sie drauf.“
„So?“
„Samen, die von alleine abtauchen! Das gibt es auf Terra nicht.“

Sina beobachtete den Zylinder. Der Schauer versiegte, die Klappe schloss sich. Auf einmal bohrten sich olivgrüne Dreiecke durch die Erdkrume. Sie wuchsen rasend schnell.
„Frau Moor? Gehen Sie zum Ausgang. Die Einsatztruppe ist da.“
„In Ordnung.“ Sie raste los. Weiß gekleidete Figuren enterten ihr Gewächshaus. Ein Mann kam auf sie zu und hielt ihr einen Schutzanzug hin.
„Kommandant Peroni. Ziehen Sie das an.“
„Die Atmosphäre hat sich aber nicht ...“
„Reine Vorsichtsmaßnahme, bis wir wissen, womit wir es hier zu tun haben.“
Sie schlüpfte hinein, setzte den Helm auf und schloss den Tank mit komprimiertem Sauerstoff an.
„Fahren Sie vor, wir folgen.“
Der Tross setzte sich in Bewegung. An der Kapsel angekommen, bremste sie abrupt. Die fremden Pflanzen waren inzwischen drei Meter hoch. Aus einem armdicken Stamm sprossen Äste mit fleischigen Blättern, groß wie Fußmatten. Dazwischen wucherten haarige Beulen. Die ersten Auswüchse erreichten die Größe von Tennisbällen, auf den Oberflächen erschienen Risse.
PLOPP!
Ein Ball platzte auf. Fasziniert beobachtete Sina, wie ein haariges Wesen zu Boden kraxelte und sich aufrichtete. Es hatte zwei Beinchen, einen birnenförmigen Körper, siebenfingrige Händchen und sah vage humanoid aus. Sein Kopf saß auf einem kurzen Hals. Drei Äuglein funkelten aus dem Fell. Darunter hatte es eine schnabelähnliche Nase über einem lippenlosen Mund.
„Wiep“, sagte es mit einer piepsigen Stimme. Das Kerlchen blickte an seiner Ursprungspflanze hoch. „WIEWIEP!“. Drei andere landeten neben ihm. Kaum standen sie aufrecht, begann eine lebhafte Diskussion.
„Offenbar kommunizieren sie über die Stimmlage.“ Peroni ging in die Knie. „Guten Tag. Wer sind Sie? Sie sind widerrechtlich in ein terranisches Gewächshaus eingedrungen.“ Sina verbiss sich ein Grinsen.
Die Wieps drehten sich zu ihm um. Es wurden immer mehr, eine haarige Armee. „WIEP!“, rief das erste. Es stürmte nach vorne, ballte sein Händchen zu einer Faust und hieb Peroni auf den Stiefel.
„Was zum ...?“
Die Wieps rasten in die Pflanzenreihen hinein. Kurz darauf drangen Nagegeräusche aus dem Dickicht. Die Auberginenpflanzen wackelten.
„Die fressen alles weg!“, rief einer der Männer.
„AgroKom, was sollen wir tun?“
„Bringen sie eins her. Wir müssen das analysieren.“
Peroni gab ein Zeichen. Zwei Männer nahmen Fangnetz und Käfig aus dem Wagen, pirschten sich an die Wieps heran und holten aus. „WIEP!“ schrie eines. Blitzschnell machten alle einen Kopfsprung in das Beet, als wäre es ein Schwimmbecken, und waren verschwunden.
„Mist.“
„Nehmen Sie Betäubungsgas. Wir müssen wissen, wo diese Dinger herkommen. Die Nahrungsmittel sind knapp genug, wir brauchen keine haarigen Vielfraße aus dem All!“, kam es aus dem MobCom.
Einer der Männer holte eine Gaspistole.
„Am Stamm dieser Pflanze ist eins abgetaucht. Schießen Sie das Gas da rein, Steve.“ Peroni zeigte auf das vordere Beet.
Zischend entlud sich die Waffe, Nebelschwaden stiegen aus der Erde auf. Peroni gab ein Zeichen. Zwei Männer schaufelten. Nichts. Sie legten die Wurzeln der fremdartigen Pflanze frei.
„Igitt, alles voll von diesen Beulen. Die meisten Viecher sind unterirdisch geschlüpft. Aber wo sind sie?“, fragte Sina. Zusammen mit den Männern ging sie die Reihen entlang. Überall lagen gefällte Auberginenpflanzen. Alles war angefressen. Dazwischen, unangetastet, die fremden Pflanzen. Es raschelte
„Da, in den Paprikas. Mir nach!“, schrie Peroni.
Die weißgekleideten Gestalten rasten los.
Steve hatte ein Betäubungsgewehr in der Hand und feuerte.
„WIEP!“. Ein Kerlchen fiel um und blieb regungslos liegen.
„Gotcha!“ Steve hob die Faust.
„Vorsicht! Wir wissen nicht, ob die auf das Zeug reagieren.“
Peroni ging in die Knie und stupste das Fellbündel mit dem Lauf seiner Waffe an. Es rührte sich nicht. „Die sind viel größer als vorhin, wie kann etwas so schnell wachsen? Smith, packen Sie es in eine der Boxen und fahren Sie zur AgroKom.“
„Ja, Sir.“
Fünf Reihen weiter gab es eine Diskussion. Erboste „Wieps“ in allen Stimmlagen erklangen aus dem Dickicht.
„Was ist da los?“ Peroni ging voran.
Es sah so komisch aus, dass Sina beinahe losgelacht hätte. Zwei Wieps balgten sich um eine Paprika, die Umstehenden kommentierten den Kampf. Die Kämpfenden traktierten einander mit Fausthieben und Fußtritten, während beide eine Hand in die Frucht gekrallt hatten. Als Peroni nach ihnen greifen wollte, tauchten sie ab.
„Scheiße!. Huber, Meeks, probieren Sie, wie die Dinger auf Wasser reagieren.“
„Ja, Sir.“
Die Männer holten einen Wasserwerfer aus dem Wagen und hielten den Wasserstrahl auf eine andere Gruppe Wieps. Die begannen zu kichern und drehten sich. Eines hob die Ärmchen und tanzte auf der Stelle.
„Wollen die uns verarschen? Die betrachten das als Wellnessdusche. Dann halt Feuer.“
Meeks nahm einen Flammenwerfer, pirschte sich an die Wieps heran und beschoss eines mit einem Feuerstrahl. „WIEEEEEeee ...“, kreischte es, fiel brennend zu Boden und wand sich.
„Nicht, sie tun ihm weh“, schrie Sina.
„Junge Dame, wenn wir die Dinger nicht wegbekommen, haben wir ein großes Problem“, entgegnete Peroni. „Stellen Sie sich vor, die fressen Quadrant 1 leer.“
„Aber müssen Sie so brutal sein?“
„Sie sind sowieso alle abgetaucht. AgroKom?“
„Sieber hier.“
„Haben Sie schon Resultate von der Untersuchung?“
„Das Felldings war tot, als es hier ankam. Versuchen Sie, eins mit einer geringeren Dosis zu betäuben.“
„In Ordnung. Wir müssen die Viecher nur finden.“
Von der hinteren Wand kam lautes Klirren. Sie rannten in die Richtung und sahen ein Loch.
„Wie haben die das geschafft?“, fragte Steve.
„Mit dem Bewässerungsrohr.“ Sina deutete auf die metallenen Überreste.
„Warum sind sie raus?“
Da ertönte ein weiteres Klirren.
„In die Wagen, sie sind nebenan.“
Es dauerte eine Zeit, bis alle den Weg zurückgelegt hatten und im nächsten Gewächshaus das hintere Viertel erreichten. Hier wuchs Weißkohl.
Peroni hob die Hand. „Seid stil! Was ist das?“
Sie stiegen aus.
„Es klingt wie jammernde Welpen.“ Sina ging vorsichtig die Kohlreihe entlang, gefolgt von den anderen. Dann sah sie die Wieps. Die meisten knieten oder kauerten auf dem Boden zwischen den angeknabberten Kohlköpfen, die Händchen auf die Körpermitte gepresst. Alle schrien und wiepten lauthals. Sina kniete sich hin, umfasste den Rumpf eines Wieps vorsichtig mit beiden Händen und hob es hoch. Arme und Beine hingen ihm schlaff herunter, es wimmerte leise.
„Passen Sie auf, dass es Sie nicht beißt.“ Peroni ging ebenfalls in die Hocke.
„Das beißt nicht, schauen Sie doch, die sind krank.“ Sie spürte ein Rumpeln unter dem Fell des Wesens. „Das gurgelt mächtig da drin, sind nicht auch die Bäuche aufgebläht?“ Wie zur Bestätigung stieß das Wiep einen Schrei aus und begann, sich in hohem Bogen zu übergeben. Ein fast flüssiges Gemisch mit Farbtupfern von Aubergine, Paprika und Kohl ergoss sich über Peronis Hose.
„Igitt“ Er brachte sich aus der Schusslinie. Sina ließ das Wiep vor Schreck fallen. Es ging in die Hocke, mit einem lauten Pups schoss grünlicher Durchfall aus seiner Rückseite. Hinter Sina ertönten auf einmal mehrstimmige Würgegeräusche. Sie sah sich um. Überall das gleiche Bild. Als hätten sich alle Wieps gleichzeitig einen galoppierenden Magen-Darm-Virus eingefangen. Sie krümmten sich vor Schmerzen, hingen, knieten oder standen an die Kohlköpfe gelehnt. Es würgte, plätscherte, pupte und sprudelte oben und unten aus ihnen heraus.
„Was ist da los, was sind das für merkwürdige Geräusche?“, fragte Sieber von der Zentrale. Sina hatte beinahe vergessen, dass sie ihren MobCom noch immer in der Hand hielt. Sie schwenkte auf die Eindringlinge. „Entweder sie haben sich überfressen, oder sie vertragen terranisches Gemüse nicht.“
„Die Außenverteidigung versucht, herauszubekommen, wo die Kapsel gestartet ist. Sie müssen mir von diesen Viechern welche herbringen, damit wir sie untersuchen.“
„Ich fürchte, da gibt es nicht mehr viel zu untersuchen“, sagte Sina. Ihr Wiep lag in einer übel riechenden Pfütze und zuckte schwach. Dann blieb es bewegungslos liegen. Auch die anderen wurden immer ruhiger.
„Ja, so erging es mir früher auch, wenn ich samstags die Kohlsuppe von Oma essen musste, Blähungen ohne Ende“, sagte Peroni mit einem schadenfrohen Grinsen. „Sammeln Sie ein paar von denen ein und fackeln Sie den Rest ab. Und Sieber, wenn die Sternengucker herauskriegen sollten, wo die Dinger herkamen: Sie möchten denen bitte von mir einen Gruß schicken. Nein, wir haben sie nicht zum Essen eingeladen. Und falls die noch Mal mit uns Kontakt aufnehmen wollen, sollen sie bitte Windeln anziehen. Der Gestank ist ja nicht auszuhalten. Aufräumen!“

Letzte Aktualisierung: 22.10.2009 - 14.42 Uhr
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